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Kultur: 2500 Jahre Wahnsinn

Das große Antikenprojekt der Schauspielschule „Ernst Busch“

Am Anfang ist das Staunen. Und das Staunen bleibt bis zum Schluss. Sechs Regie- und fünfzehn Schauspiel-Studenten begegnen einem antiken Mythos, suchen in den Stücken der griechischen Tragiker Aischylos und Euripides nach der Möglichkeit, einen grausamen Krieg zu verstehen und in das seltsam blutige Schicksal einer Familie einzudringen. Die Studenten des 3. Studienjahres der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ wollen sich die alten Geschichten um Mord und Rache und Versöhnung erschließen mit ihren Erfahrungen, sie verweigern die Unterwerfung und kommen doch immer wieder zurück zur gnadenlosen Folgerichtigkeit und zum Formbewusstsein der 2500 Jahre alten Texte. Staunen, immer wieder.

Die Botschaft der Dichter wird befragt, leidenschaftlich und grüblerisch zugleich. Warum sind sich Täter und Opfer so nahe, warum schafft das Blutvergießen Lust und Qual zugleich, warum kommen Zärtlichkeit und Brutalität aus einer Wurzel? Immer wieder versuchen die jungen Theaterleute aus der Überlieferung auszusteigen, sie rücksichtslos ins Heute zu bringen, aber der Protest und das aufschießende Unverständnis führen zwanghaft zurück in die alten Geschichten, die aller Unrast und Ungeduld zum schnellen Verständnis hin widerstehen. Gerade dieses nach Kämpfen gewonnene Vertrauen zu Aischylos und Euripides, so trotzig und verspielt es auch sein mag, macht das Außerordentliche des fast siebenstündigen Abends im Studiotheater bat aus.

Die Orestie des Aischylos wird gerahmt von der „Iphigenie in Aulis“ des Euripides und zwei zeitgenössischen Versuchen, dem Stoffkreis um das Schicksal der Atriden vom Heute aus nahe zu kommen. „Agamemnon im Saunagarten“ von David Lindemann dient als Prolog, „Peace for Tauris“ von Alexander Matusch als medialer Epilog, als Nachrichtensendung aus nicht allzu ferner Zukunft und eine Art Verklammerung der Jahrtausende. Für das Geschehen gibt es einen strengen Rahmen, einen mit doppelwandigen, klappbaren Wänden aus Stahlblech eingegrenzten Raum, mit dem schwarzen, offenen Tor ins Draußen, zum Tempel oder Palast, und dem grauen, wandernden Block, der Altar und Opferstätte ist.

Die Spieler haben den Mut zu angespannter Ruhe, sie zeigen wilde Leidenschaft in hochgetrieben großer Gestik, und sie beherrschen das Chorische, stellen sich mit hinreißender Disziplin der emotionalen Entgrenzung von Musik und Gesang. Sie machen die Figuren besonders und ungewöhnlich, sie schenken ihnen Wildheit und Besonnenheit zugleich, die Gewalt zwischen Männern und Frauen leben sie aus mit rücksichtslosen körperlichen Attacken. Gerade hier entsteht eine Sehnsucht nach Nähe, im schreckhaften Verharren angedeutet, wenn Blut gefordert wird, im Spiel der Hände und Finger, die sich zögernd finden.

Demokratie als Humbug

Die Regisseure suchen ihren eigenen Weg und ordnen sich doch dem gemeinsamen Anliegen unter. Die Verzweiflung des Agamemnon, töten zu müssen und nicht zu wollen, stellt Nico Dietrich heraus („Agamemnon im Saunagarten“), die Opferbereitschaft der Iphigenie als eine Art überschäumender nationalistischer Begeisterung zeigt Christine Hofer („Iphigenie in Aulis“), eine wüste schwarze Orgie der Rache, mit burlesken Einsprengseln, zelebriert Agnes Hansch (!Agamemnon“). Die reifste Arbeit schuf Tilman Köhler mit seiner Interpretation der „Cheophoren“ des Aischylos. Der Chor nimmt das Spiel auf, trägt die Individuen und die Gemeinschaft, verwandelt sich in vielfacher Weise, wird zum kollektiven Spiegel des Geschehens. Nach großem Beginn lässt Kai Tuchmann „Die Eumeniden“ fragwürdig enden: Die Erfindung der athenischen Demokratie entlarvt er als Humbug, der in ein von den nicht versöhnten Rachegöttinnen geplantes Attentat auf den Bundeskanzler endet.

Aufführungen im bat wieder am 13. und 20. März, Beginn 16 Uhr. Tel. 030 - 44 01 89 12.

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