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Kultur: 27 Weintrauben

Berliner Disput über Moscheen & Kirchenkunst

Enthüllung heißt griechisch: Apokalypse. Beim Disput über „Das Jenseits im Diesseits. Der Streit um Moscheen und Kirchenfenster“ berichtet in der Akademie der Künste am Pariser Platz der Enthüllungsjournalist Günter Walraff: wie ihn die Glasmalerei Gerhard Richters im Kölner Dom anspricht. „Es strahlte“, beschreibt der Ex-Katholik den Effekt des Sonnenlichts, das durch die „Ursuppe“ von 72 Zufallsfarben gebrochen wird. „Es hat den ganzen Raum erfüllt.“ Der Koranphilologe Michael Marx merkt allerdings an, in einer Moschee – wo Kardinal Meisner Richters Abstraktion gern untergebracht sähe – würde das Fenster in Ermangelung floraler oder kalligrafischer Muster „sehr auffallen“. Der Philosoph Boris Groys erkennt in Richters Arbeit die Ikonen-Tradition der Visualisierung des Unsichtbaren: eine Kunst, die mehr schaffen wolle als Kunst. Selbst der Computer, „eine christliche Erfindung“, zeige Verborgenes, was wir nicht sehen können. Durch Richters „Bildschirm“ falle göttliches Licht neu gemischt in den Kirchenraum. Auf der anderen Fensterseite sei: Gott – oder das Zufallsprogramm = die Dynamik der Globalisierung.

Der Moderator Friedrich Dieckmann kontert, Domfenster seien keine Kunst, nur Kunstgewerbe. Man könne ebenso sagen: Auf der anderen Fenster-Seite sei nur Köln. Klaus Staeck hat wolkenverhangen festgestellt: Das Fenster wirkt nur bei Sonne. Der Akademie-Präsident erwähnt seine durch Konfirmationspräsente – 13 betende Hände! – belastete ProtestantenKindheit. Seine Sakralphase: als er einer Pfarrei ein Abendmahlsbild zum Hunger in der Dritten Welt angeboten habe. Auch Dieckmann kennt Zeitgenössisches, das im Sakralraum funktioniert, tschetschenische Kinder-Bilder in einer Kirche bei Bernau. Beide Beispiele verfehlen das Thema Transzendenz haarscharf. Am „Jenseits im Diesseits“ sind Walraff, Dieckmann, Staeck kaum interessiert.

Die meiste Zeit wird auf Diskurs-Trampelpfaden über Moscheebauten, IslamIdeal und Praxis, Dialog-Muslime und orientalische Finanziers räsonniert, über falsche Toleranz. Walraff entwertet sein Menschenrechts-Engagement durch Stammtisch-Polemik. Er fordert von Michael Marx, der an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften das Projekt „Corpus Coranicum“ zur kritischen Textsicherung und Erforschung des muslimisch-europäisch-spätantiken Kulturaustauschs leitet, die „27 Jungfrauen“ zu beseitigen. Im Urtext sei von 27 Weintrauben die Rede! Als Marx erwidert, es gehe um „72 Jungfrauen“, die Trauben-Lesart vertrete nur ein Kollege, heilige Texte dürfe man nicht manipulieren, poltert Walraff: Es gebe für ihn keine heiligen Texte! Wegen der Paradies-Jungfern gebe es all diese Selbstmordattentäter! Nein, meint Boris Groys, man werde Selbstmordattentäter, um in einem Helden-Video ausgestrahlt zu werden. Es gehe um Eroberung medialer Räume. Um Anerkennung. „Dass wir hier sitzen und diskutieren, ist auch ein Effekt davon.“ Es geht: ums Rampenlicht. Keine göttliche Erleuchtung der Ursuppe heut’ nacht. Thomas Lackmann

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