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Kultur: 300 000 Kubikmeter voller Erinnerungen

Abschied von einer Berliner Institution: Die Deutschlandhalle wird bald geschlossen - und dann wohl abgerissenVON JAN GYMPEL"Berlin ohne Deutschlandhalle - das wäre genausowenig vorstellbar wie Paris ohne Eiffelturm, London ohne Wembley-Stadion oder New York ohne Freiheitsstatue", schrieb Eberhard Diepgen 1985.Doch daß der gleiche Regierende Bürgermeister inzwischen die Schließung des dereinst von ihm so hoch gelobten Bauwerks abgesegnet hat und gar auf dessen Abriß hinarbeitet, zeigt nicht nur, wieviel von all den schönen Dingen zu halten ist, die Politiker so sagen und schreiben.

Abschied von einer Berliner Institution: Die Deutschlandhalle wird bald geschlossen - und dann wohl abgerissenVON JAN GYMPEL"Berlin ohne Deutschlandhalle - das wäre genausowenig vorstellbar wie Paris ohne Eiffelturm, London ohne Wembley-Stadion oder New York ohne Freiheitsstatue", schrieb Eberhard Diepgen 1985.Doch daß der gleiche Regierende Bürgermeister inzwischen die Schließung des dereinst von ihm so hoch gelobten Bauwerks abgesegnet hat und gar auf dessen Abriß hinarbeitet, zeigt nicht nur, wieviel von all den schönen Dingen zu halten ist, die Politiker so sagen und schreiben.Der bevorstehende Tod der Deutschlandhalle gibt vor allem ein Lehrstück dafür ab, wie man solch eine weithin bekannte und beliebte Institution beseitigen kann: Erst zaghaft andeuten und nach und nach immer deutlicher machen, worauf man hinaus will.Noch ist ja auch "nur" die Schließung beschlossene Sache, euphemistisch verpackt als "vom Markt nehmen"; der folgende Abriß muß dem Publikum noch schonend beigebracht werden. Unmut ist durchaus zu befürchten, dürften doch die meisten Berliner mit der Deutschlandhalle zumindest angenehme Stunden, womöglich Höhepunkte ihres Lebens verbinden.Hier wurden die olympischen Boxturniere von 1936 ausgetragen, hier ging ab 1937 x-mal "Menschen Tiere Sensationen" über die Bühne, hier sang Ella Fitzgerald 1961 zum ersten Mal "Mack The Knife" (und vergaß prompt den Text), hier gab es zahllose Steher- und Sechstagerennen, Reit- und Spring- und Hallenfußballturniere, und auch "Take That" und ihre hysterischen Fans sind schon Geschichte.Im Eiltempo zwischen März und November 1935 errichtet, war die Deutschlandhalle mit 300 000 Kubikmetern umbauten Raums eines der größten Veranstaltungshalle ihrer Zeit.Noch im gleichen Jahr fand hier das weltweit erste Reitturnier in einem geschlossenen Raum statt, 1938 unternahm Hanna Reitsch hier mit einem Hubschrauber den ersten Hallenflug der Welt, 1967 wurde von hier aus die Eröffnung des deutschen Farbfernsehens mit dem "Goldenen Schuß" übertragen.Darüber hinaus ist die Deutschlandhalle der letzte große Veranstaltungsbau Berlins aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, der heute noch seinem Zweck dient - Admirals- und Sportpalast, Scala (ursprünglich auch ein Eispalast) und Neue Welt, die Ausstellungshallen am Zoo und die Automobilhallen am Funkturm sind längst verschwunden oder wurden "umgenutzt".1943 zerstört, war die Deutschlandhalle bei ihrer Wiedereröffnung vor vierzig Jahren noch immer die größte Mehrzweckhalle Deutschlands. Geschichte wiederholt sich angeblich nicht.Doch beispielsweise das Gesundbrunnen-Viertel wurde nicht nur dem Zeitgeist der sechziger Jahre und einer übermütigen, bevormunden Politik der Sozialdemokratie geopfert.Die Kahlschlagsanierung - im Wedding noch in den frühen achtziger Jahren fortgeführt, als derlei im rebellischen Kreuzberg schon nicht mehr durchzusetzen war - erfolgte auch, damit die - vielfältig mit der SPD und dem damals von ihr beherrschten Senat verbandelten - Wohnungsbaugesellschaften ihre hoch subventionierten Neubauten am Stadtrand vollbekamen.Dazu mußte "umgesetzt" und abgerissen werden, was das Zeug hielt, egal ob die Mieter wollten oder nicht - die billige Konkurrenz, noch dazu mit ihrem anvertrauten Milieu, hatte zu verschwinden.Auch in Sachen Deutschlandhalle ist es ja nicht etwa so, daß diese sich nicht mehr auf dem Markt behaupten könnte - sie wird vielmehr "von diesem genommen", weil bestimmte Leute ihre Interessen durchsetzen konnten und der Staat in ihrem Sinne in den Wettbewerb eingreift und die größere und vertrautere Konkurrenz der Neubauten an der Landsberger Allee beseitigt. Schon beim Abriß des Sportpalastes spielte auch eine Rolle, daß sich der Senat des schärfsten Wettbewerbers der indirekt von ihm betriebenen Deutschlandhalle entledigen wollte.Indem sie nun das gleiche Schicksal erleiden dürfte, wird die Deutschlandhalle vollends das Erbe des Hauses an der Potsdamer Straße antreten, dessen Realität nach 1945 ja viel weniger glänzend war als sie heute in der verklärenden Erinnerung erscheint: Nicht nur wirtschaftlich steckte das Unternehmen oft in der Krise, auch hatte ja nur der Kopfbau den Krieg überstanden, dahinter war eine ziemlich simple neue Arena entstanden, mit dem Charme eines Behelfsbaus und viel kleiner als ursprünglich.In dieser Hinsicht kann der Deutschlandhalle eigentlich gar nichts besseres als das jetzt Geplante geschehen: Durch ihre Vernichtung dürfte sie schon bald zu einem solchen Berliner Mythos wie der Sportpalast, der Anhalter Bahnhof oder Wertheim am Leipziger Platz werden.Wir freuen uns schon auf die vielen wehmütigen Artikel, Bücher und Filme, die in zwanzig, dreißig Jahren über die Deutschlandhalle entstehen werden, wenn sich an ihrer Stelle noch immer dasselbe Brachland ausbreiten wird wie an so manchem Ort heiligen Abrisses für einen "Wiederaufbau" und vermeintlichen Fortschritt, der nie kam. Die Zerstörung der Deutschlandhalle ist aber auch eine Lektion für die Nachgeborenen, die den Abriß des Sportpalastes bestenfalls als Kinder miterlebt haben."Wie konntet ihr das nur zulassen?" haben wir seither gefragt.Jetzt können wir anfangen, uns eine Erklärung auszudenken, warum wir das Verschwinden der Deutschlandhalle hingenommen haben.

JAN GYMPEL

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