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Kultur: 50. Berliner Festwochen: Not und Spiele

Seit ungefähr zehn Jahren gleichen die Berliner Festwochen dem Römischen Reich in der Endphase seines Bestehens. Ohne inneren Zusammenhalt definiert sich das Konvolut ihrer Einzelgebiete fast nur noch durch Äußerlichkeiten und Symbole: durch dicke Programmbücher, die das kulturelle Gewicht ihrer Veranstaltungsreihen versinnbildlichen sollen, und durch ein kleines stilisiertes Fenster auf den Eintrittskarten, das für das einstige kulturpolitische Anliegen eines weltoffenen Festivals steht.

Seit ungefähr zehn Jahren gleichen die Berliner Festwochen dem Römischen Reich in der Endphase seines Bestehens. Ohne inneren Zusammenhalt definiert sich das Konvolut ihrer Einzelgebiete fast nur noch durch Äußerlichkeiten und Symbole: durch dicke Programmbücher, die das kulturelle Gewicht ihrer Veranstaltungsreihen versinnbildlichen sollen, und durch ein kleines stilisiertes Fenster auf den Eintrittskarten, das für das einstige kulturpolitische Anliegen eines weltoffenen Festivals steht. Und wie das alte Rom leben auch die Festwochen von der Erinnerung an eine große strahlende Vergangenheit, die jedoch als Rechtfertigung für ein Fortbestehen Jahr für Jahr fadenscheiniger wird. Mehr und mehr existiert Berlins einst bedeutendstes Festival nur noch, weil es eben existiert. Im letzten Jahr spielten die Berliner Philharmoniker Sinfonien von Gustav Mahler, so wie sie es auch sonst tun. An das Motto des vorvergangenen Jahres erinnert sich längst niemand mehr.

Die alarmierende Bilanz hat schon längst Kritiker und Kulturpolitiker auf den Plan gerufen: Immer lauter wurde der Ruf nach Erneuerung oder Abschaffung. Plötzlich standen sie bei der Umgestaltung der Berliner Kulturlandschaft zur Disposition: Sollten sie übers Jahr verteilt werden? Wäre die Anbindung an ein Opernhaus sinnvoll? Oder könnte man mit einem erweiterten Festival-Konzept gar einen Kulturmanager vom Range eines Gerard Mortier in die Stadt locken? Eine gewisse Schicksalsironie ist dabei nicht zu übersehen. Diente das zugleich repräsentative wie innovative Programm in Vorwendezeiten dazu, den kulturellen Hauptstadtanspruch der Inselstadt zu unterstreichen, setzte das Siechtum just in dem Moment ein, in dem die ideell vorweggenommene Hauptstadtsituation tatsächlich eintrat.

Zusehends wirkten die Leitlinien der Festwochen-Programme in den 90er Jahren wie Rückzugsbewegungen auf historisierendes Terrain: Ob "Berlin-Moskau" 1995 oder "Marianne und Germania" 1996 - deutlich wurde bei diesen Leitthemen allenfalls, wie sehr solche nationalen Konfrontationen mit der Öffnung der Grenzen in Europa an Brisanz und Relevanz verloren hatten. Noch in den multikulturell geprägten Achtzigern konnten Themen wie "Südostasien" (1985) oder "Russischer Futurismus" (1983) das Ideal der Neubewertung und Begegnung mit einer bislang nur ungenügend rezipierten kulturhistorischen Bewegung einlösen. In den Neunzigern reduzierten sich die Festwochen jedoch zusehends auf pure Festlichkeit und Opulenz - ohne selbst noch Fragen oder Kontroversen aufwerfen zu können.

Auch das musikdominierte "Jahrhundertklang"-Thema dieses Jahres reiht sich in diese retrospektive Tendenz ein: Die 83 "bedeutendsten Komponisten des Jahrhunderts" werden mit je einem Konzertabend präsentiert - ein beliebigeres Konzept ist kaum vorstellbar. Warum vertraut man allein auf die Zugkraft großer Interpreten- und Komponistennamen? Wäre es nicht klüger gewesen, eine musikalische Jahrhundert-Bilanz nicht mit den Mitteln eines überkommenen Geniekonzeptes zu versuchen und statt dessen nationenübergreifende Stile und Gedankenströme zu verfolgen? Wäre es nicht zeitgemäßer, Kultur als Ergebnis von Austausch und Dialog über ideologische Grenzen hinweg zu zeigen, statt das Bild der Inspiration im stillen Kämmerlein zu pflegen? Warum setzt man nicht mutige Thesen und sorgt für Überraschungen?

Ohnehin wären die fünfzigsten Festwochen eher der Zeitpunkt gewesen, den verlorenen Sinn durch eine Aufarbeitung der eigenen Westberliner Kulturgeschichte wiederzufinden und die anstehende Zukunftsdebatte damit zu einer öffentlichen zu machen. Denn auch zu Inselzeiten waren die Festwochen keineswegs eine unveränderliche Institution. Immer wieder ist es ihnen durchaus gelungen, die kulturelle Position eines sich verändernden Berlins neu zu definieren. So hat Ulrich Eckhardt, dessen Ära als Festspielintendant in diesem Jahr zu Ende geht, in den siebziger und achtziger Jahren durchaus Akzentverschiebungen vorgenommen. Während die ersten zwanzig Festwochen-Jahre durch eine Mischung aus Nachholbedarf und dem Versuch der Neubegründung der eigenen Tradition geprägt waren, gelang Eckhardt in seinen Vorwendeprogrammen die Spiegelung eines neuen Westberlin, dessen Atmosphäre von Neugier und kultureller Offenheit geprägt war. Das Fenster als Festwochen-Logo bedeutete: Man blickt hinein in die Vielfalt des Westberliner Mikrokosmos, und man blickt hinaus auf die Welt jenseits der Mauer. Dass der Mauerfall dieses Fenster überflüssig machte, wurde erst nach dem Abebben der Vereinigungs-Euphorie deutlich.

Der neue Festspiel-Intendant und Eckhardt-Nachfolger Joachim Sartorius wird einen grundlegenden Umbau der Festwochen vornehmen müssen - und zwar möglichst bald. Denn nach wie vor ist ein solches Festival wichtig für Berlin. Allein, damit der Hauptstadtcharakter sich nicht nur mit einer quantitativen Häufung von Opernhäusern und Sinfonieorchestern, sondern auch mit innovativen Programmen bemerkbar macht. Die Festwochen brauchen mehr Risikofreudigkeit. Kein Festival der etablierten Kultur, sondern ein Forum für die Entdeckung all dessen, was bisher zu Unrecht im Schatten des Repertoirebetriebs stand, auch des Unpopulären. Das Publikum wird trotzdem kommen - aus Berlin wie von außerhalb. Denn dass es genug Menschen gibt, die es mit Unkonventionellem aufnehmen wollen, haben die Festwochen bis zur Wende bewiesen.

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