zum Hauptinhalt
Nachgestellt. Auf dem ehemaligen Grenzstreifen an der Bernauer Straße geben Infotafeln Auskunft über die Geschichte. Foto: Davids

© DAVIDS

50 Jahre Mauerbau: Die Gedenkstätte Berliner Mauer wird erweitert

Am 13. August wird der zweite, 450 Meter lange, Erweiterungsabschnitt die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße eingeweiht. Seit der Eröffnung 1998 hat sich die Gedenkstätte zu einem Besuchermagnet entwickelt.

Touristen lugen durch die rostroten Stahlstangen, die den Verlauf der 1990 abgerissenen Mauer markieren, lauschen den Tönen der Hörstationen und verfolgen Bodenspuren mit dem Finger. Gegenüber, im Besucherzentrum der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße, herrscht dichtes Geschiebe, geht die angebotene Literatur zum Mauerbau zügig über die Ladentheke. Die Gedenkstätte, zur Zeit ihrer Erstkonzeption 1993 als hoffnungslos abgelegen und vereinsamt beurteilt, hat sich ganz im Gegenteil zum Besuchermagneten entwickelt. 1998 wurde das eigentliche Denkmal eröffnet, 2001 kamen 67 000 Besucher. In diesem Jahr wird mit der zehnfachen Anzahl gerechnet.

Am 13. August wird die Gedenkstätte ihre große Stunde erleben: Bundespräsident und Regierender Bürgermeister, die beide die Mauer aus westlicher Perspektive kennen, werden in Gegenwart der Kanzlerin, die sie auf östlicher Seite erlebt hat, den zweiten, 450 Meter langen Erweiterungsabschnitt einweihen. 1450 Stahlstangen, sieben „Themenstationen“, 26 „Infostelen“, 76 „Ereignismarken, drei „archäologische Fenster“ sowie „Nachzeichnungen“ von fünf Fluchttunneln sind nach dem Entwurf des Berliner Büros sinai Faust. Schroll. Schwarz in den kargen Boden gestellt worden.

Nun sind bald 22 Jahre seit der Öffnung der Mauer und ihrem sich anschließenden Abriss vergangen. 28 Jahre lang hatte sie gestanden, als „Staatsgrenze der DDR“, und nun dauert es bereits vergleichbar lange, um an die Zeit von Trennung, Schießbefehl und Einmauerung von 16 Millionen Deutschen in der DDR würdig zu erinnern.

„Warum haben wir die Mauer flächendeckend abgerissen“, fragte Klaus Wowereit bei der Vorstellung des Erweiterungsgeländes gestern Vormittag und antwortete sich mit zwei weiteren Fragen: „Wie war denn die Stimmung? Wollten wir dieses menschenverachtende Bauwerk länger in unserer Stadt haben?“

Gewiss nicht – doch Abriss und Amnesie liegen nah beieinander. Die Beseitigung der Mauer erfolgte unter aller Augen – und unter erheblicher Mitwirkung der Bevölkerung, die sich in Gestalt der „Mauerspechte“ des Stahlbetons bemächtigte. „Die Mauer muss weg!“ lautete schließlich die alles überwölbende Losung der DDR-Demonstranten vom Herbst 1989. Einen politischen Willen zur Erhaltung auch nur von besonders belasteten Grenzabschnitten gab es nicht. Die unter der Mauer gelitten hatten, feierten ihre Austilgung, und die sie DDR-seits als „antifaschistischen Schutzwall“ guthießen, wollten an dieses bornierte Fehlurteil nicht erinnert werden.

Erst als es fast zu spät war, wurden die eben noch vorhandenen Mauerstückchen bewahrt. Mit der 1994 durch einen Wettbewerb bestimmten und 1998 eröffneten Mauergedenkstätte Bernauer Straße war ein Kompromiss gefunden, zwischen dem Wunsch nach Überwindung und dem nach Erinnerung des Schrecklichen. Der Kompromiss wurde ins Ästhetische gewendet: in die baukünstlerisch gestaltete Gedenkstätte, bei der spiegelnde Seitenwände die monströse Länge der Grenze im wörtlichen Sinne „vorspiegeln“ sollten. Doch die Realität lässt sich nicht als hübscher Schaukasten bewahren. Bald darauf zeigte das Holocaust-Mahnmal, dass Denkmalkunst in der Annäherung und Verdichtung besteht, nicht aber in der ausschnitthaften Verdoppelung.

Das Ungenügen im Umgang mit der Berliner und deutschen Teilung führte 2006 zur Verabschiedung des „Gesamtkonzepts zur Erinnerung an die Berliner Mauer“ und zwei Jahre darauf zur Errichtung der Stiftung Berliner Mauer. Das unverändert gültige Senatskonzept spricht eine deutliche Sprache: „Die Mauer war das sichtbarste Zeichen des Eisernen Vorhangs im Kalten Krieg. Sie war und bleibt damit das Symbol der Verweigerung elementarer Menschenrechte in der DDR, das Symbol politischer Unterdrückung und struktureller Schwäche des staatssozialistischen Systems insgesamt.“

Es zeichnet sich ab, dass es zu einer veritablen „Gedenklandschaft“ teils bereits gekommen ist, teils noch kommen wird. Das Brandenburger Tor als weltweit bekanntes Symbol der deutschen Teilung hatte bereits der Bundestag im Jahr 2005 angemahnt, die Mehrzahl zumal der jüngeren Touristen zieht es zum ehemaligen Checkpoint Charlie, an dem sich Blockteilungsatmosphäre folkloristisch genießen und fotografisch festhalten lässt. Die „Tränenpalast“ genannte Abfertigungshalle des „Grenzübergangs Friedrichstraße“ steht mittlerweile im Schatten eines Bürogebäudes, aber immerhin.

Insgesamt zählt das Senatspapier eine solche Fülle von Gedenkorten, -steinen und -tafeln auf, dass der Eindruck entstehen könnte, es sei der Erinnerung längst Genüge getan.

Nicht so in den Augen der Historiker, die das Konzept des „Geschichtsverbunds Aufarbeitung der SED-Diktatur“ erarbeitet haben: „Es steht außer Frage“, heißt es da, „dass die gegenwärtige bruchstückhafte Erinnerungslandschaft in ihrem Wildwuchs das öffentliche Interesse an einer reflektierten Erinnerung auf Dauer nicht angemessen befriedigen kann“. Verwiesen wird auf die „konkurrierenden historischen Schichten“ des Mauerareals. Man denke ans Gelände der „Topographie des Terrors“, wo ein erhaltenes Mauerstück oberhalb der freigelegten Keller der Gestapo-Zentrale verläuft.

Ein mehrdimensionaler Ort ist auch der „Checkpoint Charlie“. Hier hatte die Mauer einen Durchlass für Ausländer und Alliierte. Hier überlagerte die Teilung Europas in zwei feindliche Blöcke die deutsche Teilung. Hier rollten die Panzer der sowjetischen und amerikanischen Truppen aufeinander zu und kündeten der Welt vom Abgrund eines Dritten Weltkriegs. „Ein Museum des Kalten Kriegs“ – wie es das Senatskonzept vorsieht – könnte an die Teilung Europas und deren Überwindung erinnern.

Derzeit sieht die Alltagsrealität anders aus. Checkpoint Charlie ist zum „Disneyland des Kalten Krieges“ verkommen, wie sich „Der Spiegel“ in dieser Woche belustigt. Vopo-Darsteller in Uniform, Mützenverkäufer und Curry-Buden ergeben ein Bild, das man in seiner Geschmacklosigkeit für berlintypisch halten mag. Indes spiegelt sich darin der Wunsch der Besucher, den authentischen Ort zu erfahren, der ihnen durch Zeitungsfotos und Fernsehbilder seit jeher vertraut ist. Zu den Bildern die Erklärung zu liefern, deutlich zu machen, dass hier kein jahrzehntelanger Kostümumzug stattgefunden hat, sondern bewaffnete Konfrontation, ist die Aufgabe eines Museums an diesem Ort.

Mittlerweile stehen die Chancen besser. Die Möglichkeit, in einem zu schaffenden Neubau eine Fläche von immerhin 3200 Quadratmetern dauerhaft zu mieten, ist sogar grundbuchlich abgesichert. Der Eigentümer des freien Grundstücks nordöstlich der Kreuzung Friedrich-/Zimmerstraße, ein irischer Investor, will nach einem Architektenwettbewerb 2013 mit dem Bau beginnen können. Das Museum könnte 2015 eröffnen.

Weitaus näher liegt die für Ende September vorgesehene Eröffnung der Dauerausstellung „Grenzerfahrung. Alltag der deutschen Teilung“ im Tränenpalast, die das Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik bestückt. Dann kehrt neben den Orten der waffenstarrenden Grenzsperre auch der Ort der befristeten und kontrollierten Begegnung der Menschen in Ost und West wieder ins Bewusstsein zurück.

Die Mauer, die im Überschwang der Wiedervereinigung abgeräumt wurde und jetzt – Ironie der Geschichte – vorwiegend durch Spurensuche erahnt werden kann, bleibt als Narbe der deutschen Geschichte, als Scharte in der kollektiven Erinnerung ohnehin gegenwärtig.

Gedenkstätte Berliner Mauer, Besucherzentrum Bernauer Str. 111, Katalog 9 €. www.berliner-mauer-gedenkstaette.de Programm zum 13. 8.: www.50JahreMauerbau.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false