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Straßenköter gegen das Starsystem. 1972 entwirft der Kabarettist und Zeichner Tommi Busse dieses Logo für das Label.

© Trikont

50 Jahre Trikont: Pop ist Eigensinn

Mainstream? Nicht mit uns! Seit 50 Jahren bringt das Indielabel Trikont Musik jenseits aller Moden heraus.

Der Kinnhaken hat ziemliche Schlagzeilen gemacht, neulich, auf der Frankfurter Buchmesse. „Kinnhaken?“, protestiert Achim Bergmann. „Das war ein Killerschlag!“ Der Chef des linken Trikont-Verlags ist sich sicher: Der Angreifer, der ihn am Stand der neu-rechten „Jungen Freiheit“ niedergestreckt hat, wollte ihn, den Zwischenrufer, zum Schweigen bringen, ja am Boden sehen. Als Bergmann sich benommen und blutend wieder aufgerappelt hatte und mit seiner Partnerin Eva Mair-Holmes an den Tatort zurückkehrte, um den Mann zu identifizieren und die Polizei zu rufen, da wurde auch sie zu Boden geschleudert.

Die Attacke ist jetzt vier Wochen her, das juristische Nachspiel läuft. Und obwohl die beiden Münchner in Berlin sind, um das Geburtstagskonzert ihres Labels vorzubereiten, das an diesem Mittwoch im Kreuzberger Bi Nuu mit Sängerinnen wie Bernadette La Hengst und Lydia Daher und der bayerischen Band Kofelgschroa steigt, steckt ihnen der Schock noch in den Knochen. Dabei sind Bergmann, 74, und Mair-Holmes, 66, sowohl musikalisch als auch politisch als Musikverleger mit Mumm bekannt. „Dieses Selbstbewusstsein“, staunt Mair-Holmes noch im Nachhinein über das zugleich bürgerlich-seriös und rabiate Auftreten der Rechten. „Vor fünf Jahren wäre das auf der Buchmesse undenkbar gewesen.“ Es war eine unterschwellig bedrohliche Atmosphäre, die von den „Junge Freiheit“-Anhängern ausging, ergänzt Bergmann. Deren Zorn zog er sich zu, weil er einem Diskutanten, der die 68er-Bewegung für den angeblichen Verfall des bundesrepublikanischen Wertekanons verantwortlich machte, spontan „Du redest Scheiße!“ zurief.

Das war für jemanden, der seit 1969 das politische Erbgut des zwei Jahre zuvor als linksradikaler Buchverlag gegründeten Hauses Trikont in den Genen trägt, eine eher harmlose Einlassung. Che Guevaras „Bolivianisches Tagebuch“, die Mao-Bibel und „Wie alles anfing“ von Bommi Baumann waren frühe Verkaufsschlager des längst verblichenen Buchverlags, aus dem 1980 unter Bergmanns Führung das älteste und musikalisch ambitionierteste Indielabel Deutschlands hervorgegangen ist.

Die erste Platte singen sie noch selbst

„Wir befreien uns selbst“ lautet der Titel der ersten von den Trikontlern noch selbst eingesungen Platte, die heute eher kurios klingende, mit heiligem Ernst vorgetragene Graswurzel-Arbeiterlieder versammelt. Dass der Labelslogan „Our own voice – unsere Stimme“ von Anfang an wörtlich gemeint war, lässt sich auch schön in dem Prachtband „Die Trikont- Story – Musik, Krawall und andere schöne Künste“ nachlesen. Den Autoren Christof Meueler und Franz Dobler ist damit nicht nur die mitunter fast zu detailreiche Abenteuergeschichte eines sich stets als Dorn im Fleisch der Musikindustrie verstehenden Labels gelungen, sondern auch ein deutsches Geschichtsbuch.

Mehr Hingabe. Die Musikverleger Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann.
Mehr Hingabe. Die Musikverleger Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann.

© S. Weidenbach

Darin schlägt sich die Studentenbewegung nieder und deren Verdienst, die restaurative Nachkriegsgesellschaft liberalisiert zu haben, worauf Achim Bergmann bis heute pocht. Und ebenso die Frauen-, Schwulen-, Anti-Atomkraft- und Hausbesetzerbewegung, sowie die maßgeblich Trikont zu verdankende Entdeckung der alten und der neuen Volksmusik – sei es in Bayern oder im weißen und schwarzen Amerika. Nicht von ungefähr zählten immer auch internationale Popmusikhelden wie der britische Radio-DJ John Peel zu den Fans der stets sorgfältig editierten Trikont- Sampler und Band-Neuheiten. Filmregisseur Aki Kaurismäki orderte von einem dem Finnischen Tango gewidmeten Album gleich mehrere hundert Stück.

Rund 500 Alben hat das seit 25 Jahren gemeinsam von Bergmann und Mair- Holmes geführte Label veröffentlicht und damit Musikrichtungen wie den griechischen Rembetiko und vietnamesische Straßenlieder, Bands wie Attwenger und La Brass Banda und Sänger wie Hans Söllner, Funny van Dannen oder Rocko Schamoni ins Hörbewusstsein gerückt.

Sie reden über Inhalte, nicht über Marketing

Indiepop-Sängerin Bernadette La Hengst brachte 2002 ihr Solodebüt „Der beste Augenblick in deinem Leben“ bei Trikont heraus. Mit ihrer Band „Die Braut haut ins Auge“ war sie zuvor beim Major BMG Ariola unter Vertrag. Dort habe man ihr allerdings viel zu viele künstlerische Kompromisse abverlangt, erzählt die Berliner Musikerin, die immer wieder auch gesellschaftskritische Theaterprojekte auf die Bühne bringt. Ganz anders dagegen Trikont. Da werde nur über Inhalte gesprochen, nie über Marketing. „Ich will gleichzeitig Politik und Pop sein, damit passe ich da richtig gut hin.“

Die Berliner Lyrikerin und Musikerin Lydia Daher ist seit 2007 bei Trikont.
Die Berliner Lyrikerin und Musikerin Lydia Daher ist seit 2007 bei Trikont.

© Gerald von Foris

Ihre Kollegin Lydia Daher ist seit 2007 dabei. Gerade ist das feine Pop-Album „Wir hatten Großes vor“ der Lyrikerin und Sängerin erschienen. „Ich bin ja sowieso schwer vermittelbar“, leitet sie das Gespräch über das Label ihrer Wahl ein, „das weder dem Markt, noch den Trends folgt“ und verleiht dessen Chefs Bestnoten in Sachen musikalische Hingabe. „Eva und Achim sind Leute, die Betriebswirtschaftler zum Verzweifeln bringen“, sagt Daher. „Wer, wenn nicht Trikont, hätte denn sonst eine Eigenbrötler-Band wie Kofelgschroa herausgebracht?" Inzwischen haben es die zwischen Blasmusik und Singer-Songwriter-Lakonik anzusiedelnden vier Jungs aus Oberammergau zu einem Dokumentarfilmporträt und einer soliden Fanbasis bis weit hinauf ins Preißische, also nach Berlin gebracht.

Dass die Trikontler sich mit ihrer Veröffentlichungspolitik, die auch Preziosen wie das akustische Gesamtwerk von Karl Valentin oder eine sechsteilige Compilations-Reihe mit Einspielungen von „La Paloma“ enthält, keine Reichtümer erworben haben, tragen Mair-Holmes und Bergmann mit Fassung. „Reich wollte ich sowieso nie werden“, sagt er. „Doch wir hätten auch kein Problem damit gehabt“, sagt sie. Die beiden und drei Angestellte, das ist schon der ganze Musikverlag in München-Obergiesing. Wobei drei der vier Kinder, den Eltern schon als Homepage-Designer, Grafiker und Social-Media-Beauftragte zuarbeiten.

Aber sicher hat die Kunstform Album eine Zukunft

Der durch Streaming- und Download- Angebote ausgelöste Einbruch des CD-Markts hat die Sumpfblüte Trikont selbstredend ebenso erwischt wie die ganze Musikindustrie. Den schwindenden Einnahmen aus dem Albenverkauf begegnen sie mit dem Entwickeln eigener Downloads und einem stärkeren Fokus auf das Live-Geschäft. Dank des eingestellten Bookers sind sie nun auch Konzertagentur.

Agit-Pop. Bernadette La Hengst hat 2002 ihr Solodebüt bei Trikont herausgebracht.
Agit-Pop. Bernadette La Hengst hat 2002 ihr Solodebüt bei Trikont herausgebracht.

© C. Stephan/Trikont

An die Zukunft der Kunstform Album glauben Mair-Holmes und Bergmann aber genauso unverbrüchlich, wie die von ihnen vertretenen Künstlerinnen. Ihre Themensampler wie „Stimmen Bayerns“ oder „Swamp Music“ erfüllten die kulturpflegerische Funktion längst ausgestorbener Radiosendungen, sagt Mair- Holmes. Und Bergmann weigert sich zu glauben, dass der derzeit festzustellende Bedeutungsverlust der Populärmusik dauerhaft ist. „Die existenzielle Erzählung, die Musik ist, lässt sich nicht auf einen Song reduzieren“, sagt sie. „In einem 80-Millionen-Volk müssen sich doch 2000 Leute finden lassen, die verstehen, dass sie auf dieses spezielle Album partout nicht verzichten können“, sagt er.

Ja, diese Trikontler brennen. Die Musik ist der Sound ihre Ideals „Freiheit, Glück, gemeinsames Leben“. Und dessen heutige politische Verortung? Da einigen sie sich auf „radikaldemokratisch“.

Einen Steinwurf von ihrem Kreuzberger Hotel steht das alte Bethanien-Krankenhaus, das in den Siebzigern besetzt war. Auch die Politrocker von Ton, Steine, Scherben lebten hier. Natürlich hat niemand anders als Trikont deren Album „Keine Macht für Niemand“ vertrieben. Die 1972 erschienene Platte wurde nebst eingelegter Protestler-Zwille verkauft. Einmal habe er zwei Tage warten müssen, weil der Zwillen-Nachschub aus Asien stockte, amüsiert sich Achim Bergmann und schiebt noch die Anekdote nach, dass die Scherben damals nur in München auftreten wollten, wenn darauf eine Hausbesetzung folgte. Inzwischen ist das Bethanien ein Kunstquartier, sind die Scherben Folklore. Nur Trikont macht weiter wie bisher.

Konzert: Trikont Labelnight, 15.11., 20.30 Uhr, Bi Nuu im U-Bahnhof Schlesisches Tor. Buch: Christof Meueler, Franz Dobler: Die Trikont-Story – Musik, Krawall und andere schöne Künste, Heyne Verlag München, 464 S., 30 €

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