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Die Amerika-Gedenkbibliothek, schon immer mitten in der Stadt gelegen, ist wieder als Standort der zentralen Landesbibliothek im Gespräch.

© Imago/Caro

60 Jahre Amerika-Gedenkbibliothek: Die AGB ist eine Säule unseres Gemeinwesens

Vor 60 Jahren wurde die Amerika-Gedenkbibliothek eröffnet - und ist beliebt wie nie. Ex-Kulturstaatssekretär André Schmitz plädiert für ihren Ausbau.

So viele Besucher hat keine andere Kulturinstitution. Die Amerika-Gedenkbibliothek ist einer der wichtigsten Orte der Stadt. Hierher, in die größte Öffentliche Bibliothek Berlins, kommen täglich bis zu 3500 Menschen, um sich zu bilden, zu lernen, das große Medienangebot zu nutzen und dort zu arbeiten. Hierfür stehen, zusammen mit dem zweiten Bibliotheksstandort der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) in der Breiten Straße, gut 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter täglich ein. Sie sichten die Medienlandschaft, wählen aus, katalogisieren und beraten. Und dies nun seit 60 Jahren.

Die Geschichte der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) ist eine Erfolgsgeschichte. Was für eine kluge Entscheidung von Ernst Reuter und John J. McCloy, als Geschenk für die West-Berliner nach der überstanden Blockade eine öffentliche Bibliothek zu wählen. Von Anfang an wurde die Bibliothek überrannt von bildungsinteressierten Menschen, und so ist es bis heute geblieben.

Mit der Amerika-Gedenkbibliothek zog im September 1954 ein neues Bibliotheksverständnis in Deutschland ein. Denn der freie Zugang zu Medien aller Art und jedweden Inhalts als wichtiges Element einer freien Gesellschaft, der uns heute selbstverständlich scheint und den Öffentliche Bibliotheken wie kaum eine andere Institution verkörpern, war damals eben nicht selbstverständlich. Der vorherrschende Bibliothekstyp war die sogenannte Thekenbücherei. Über einen Schalter bestellten die Kunden die Bücher beim Bibliothekar, der sie heraussuchte und dann aushändigte.

Die Amerika-Gedenkbibliothek stand von Anfang an für ein anderes System. Orientiert an den amerikanischen Public Libraries, bot die AGB freien Zugang zu einem großen Teil ihrer Bestände und war damit die mit Abstand modernste Bibliothek in der Bundesrepublik Deutschland. Fritz Moser, unter den Nationalsozialisten rassistisch verfolgt und mit Schreibverbot belegt, wurde der erste Bibliotheksdirektor und prägte bis in die 70er Jahre die Entwicklung dieser Bibliothek.

Die öffentliche Bibliothek ist eine Säule unseres Gemeinwesens

Und heute? Was ist das überhaupt heute noch, eine öffentliche Bibliothek? Wird sie gebraucht? Die Abstimmung mit den Füßen spricht dafür. In einer zunehmend digitalisierten Welt ist der kostenfreie und nicht kommerziell orientierte Zugang zu Wissen wichtiger denn je. Öffentliche Bibliotheken verbinden Menschen, sie sind praktische Demokratie. Hier hat jeder eintrittsfreien Zugang zum Wissen der Welt und den Themen der Stadt. Allein in der ZLB stehen 3,4 Millionen analoge und digitale Medien zur Verfügung. Von Computerarbeitsplätzen und Beratung durch fachkompetentes Personal ganz abgesehen.

Die öffentliche Bibliothek als eine der Säulen unseres Gemeinwesens braucht aber auch Unterstützung, in Politik und Gesellschaft. Eine Unterstützung, die darauf zielt, dass Kultur und Bildung ein Netz bilden, zusammengehören, aufeinander aufbauen. Bibliotheken sind ein Grundstein der Wissensgesellschaft.

Heute gehört die AGB auch zu den interkulturellsten Orten der Stadt. Ein Drittel der Bibliotheksbesucherinnen und -besucher hat einen Migrationshintergrund. Wer auf der Suche nach Romanen in der Muttersprache seiner Eltern oder Großeltern ist, hier wird er fündig. Kinder und Jugendliche aus allen Kulturen nutzen diesen Ort, auch und gerade wenn zu Hause nicht viel Platz zum Lernen ist. Hier werden seit 60 Jahren Bildungsbiografien geschrieben.

Die räumliche Trennung der Landesbibliothek ist letztes Relikt der Teilung Berlins

Praktische Demokratie. In der Amerika-Gedenkbibliothek werden seit Jahrzehnten Bildungsbiografien geschrieben.
Praktische Demokratie. In der Amerika-Gedenkbibliothek werden seit Jahrzehnten Bildungsbiografien geschrieben.

©  Kitty Kleist-Heinrich

In der AGB treffen das Kopftuchmädchen und der Kreuzberger Punk aufeinander, holt sich der Berliner Philharmoniker Noten, und die Fans finden ein riesiges Angebot an internationalen Filmen. Wer einmal ein Originalkunstwerk an die häusliche Wand hängen will, sucht in der Artothek, wo gut 7000 Kunstwerke zur Ausleihe bereitstehen. In der größten Kinder- und Jugendbibliothek Deutschlands finden Kinder Kuschelecken zum Lesen und Eltern Beratung über die beste Lektüre für den Nachwuchs. Und die große Comicsammlung interessiert nicht nur die Jugendlichen. Im Themenraum finden Interessierte digitale und analoge Medien zu aktuellen politischen, gesellschaftlich relevanten oder Kulturthemen. Die Amerika-Gedenkbibliothek hat jüngst ihre Öffnungszeiten erweitert, nun abends bis 21 Uhr.

Bis heute ist die größte öffentliche Bibliothek Deutschlands aufgeteilt auf die beiden Standorte im ehemaligen West- und ehemaligen Ost-Berlin. Organisatorisch ist sie seit 1995 zusammengeschlossen zur Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB). Durch die räumliche Trennung ist sie eines der letzten Relikte der Teilung der Stadt. Dazu hat die ZLB noch ein großes Außenmagazin im Berliner Westhafen. Alle Bibliotheksteile platzen ob des großen Zuspruchs aus allen Nähten. Die Fachgebiete sind verteilt, die Nutzer müssen pendeln. Es ist wenig Raum für neue, innovative Bibliotheksangebote wie Gruppenarbeitsplätze und -räume oder auch für digitale Werkstätten. Die ZLB macht das Beste aus dem begrenzten Platz, die AGB ist frisch renoviert und bietet einen Raum an, der die Leichtigkeit des Architekturentwurfs der Gründung wieder aufleben lässt.

Der andere Standort, die Berliner Stadtbibliothek in der Breiten Straße, zusammengestückelt aus insgesamt neun Häusern, ist schadstoffsaniert und hat den Lesesaal frisch gestaltet. Das alles wird goutiert. Doch eine Metropole braucht mehr, notwendig ist eine Zentralbibliothek an einem Ort, ausreichend groß und mit den modernsten medialen Möglichkeiten ausgestattet. Andere Städte machen es vor. Die Zentralbibliotheken in Stuttgart, Amsterdam oder neuerdings auch Birmingham sind zu Zentren ihrer Städte geworden. Berlin muss mithalten mit den Metropolenbibliotheken in der Welt.

Seit 1914 plant die Stadt eine Zentralbibliothek an einem Ort. Jetzt ist es an der Zeit, diese Planungen endlich zu verwirklichen – sei es durch einen Ausbau der AGB, sei es mit einer neu zu errichtenden Zentralbibliothek an einem anderen gut angebundenen Ort. Hundert Jahre Planung sind genug.

André Schmitz war von November 2006 bis Februar 2014 Kulturstaatssekretär in Berlin.

André Schmitz

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