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Kultur: 60 Jahre Stephen Frears: Alter und Ego

Sechzig muss ein schönes Alter sein. Rebellen haben ihre Rebellenphase lange hinter sich und etwas viel Komplizierteres, ihr Restleben, schon weitgehend runtergerissen.

Sechzig muss ein schönes Alter sein. Rebellen haben ihre Rebellenphase lange hinter sich und etwas viel Komplizierteres, ihr Restleben, schon weitgehend runtergerissen. Popstars dagegen sind sowieso forever young - man denke nur an Bob Dylan oder Tina Turner, die das magische Datum gerade abgefeiert haben. Angestellte wiederum arbeiten sich jetzt eisern in ihr Hobby ein oder lassen daran zumindest endlich das Eiserne bleiben. Sechzig zu werden ist aber vor allem aus einem Grund schön: Mit ein bisschen Glück kriegt man zum ersten Mal im Leben einen Geburtstagsartikel.

Willkommen im Club, Stephen Frears! Ein Rebell war der Brite durchaus, als er, etwas spätberufen in den achtziger Jahren, das rohe, kraftvolle New British Cinema mit aus der Taufe hob. Als kleiner Angestellter dagegen wird er sich schon bald darauf in Hollywood gefühlt haben, wo er bis heute, meist mit eleganten Genrefilmen, eine Art Parallelkarriere verfolgt. Wohl deshalb hat es zum (Pop-)Star nie so ganz gereicht: Dem geschmeidigen Gast-Amerikaner, der mit Leuten wie Dustin Hoffman oder Julia Roberts arbeitete, sind die realitätshaltigen eigenen britischen Filmstoffe im Weg; und umgekehrt hat Frears, in den Augen seiner gestrengen europäischen Fangemeinde, mit gewissen Weichspülfilmen wie "Mary Reilly" oder zuletzt "Hi-Lo Country" die reine Lehre des Polit-Sozial-Multikulti-Cineasten gar zu oft verraten.

Womit wir ihn, den unverwüstlichen Viel- und Weiterfilmer, identifizieren? Am meisten denn doch mit dem, womit er sich zuerst einprägte: mit "Mein wunderbarer Waschsalon" und "Sammy und Rosie tun es" - jenen Filmen, die ohne ihren Autor Hanif Kureishi nicht denkbar wären und in denen er drastisch und fein die zwischenmenschlichen Fugenrisse in der Welt-Metropole London dokumentierte. Schlechte Zeiten, gute Zeiten: Die knochenharten Jahre unter Maggie Thatcher lieferten den explosiven politischen und sozialen Stoff; und das plötzliche cineastische Engagement des TV-Senders Channel Four vor allem machte es möglich, diesen Stoff nun auch auf der Weltkino-Leinwand zu spiegeln.

Noch einmal war, zehn Jahre vor dem dänischen Dogma, mit dem NEW British Cinema, etwas NEU in jenem Kino-Jahrhundert - so wie zuvor der NEUE Deutsche Film, das NEW American Cinema, die NOUVELLE Vague der Franzosen und der italienische NEO-realismo. Die letzten waren auf einmal die ersten geworden. Endlich verkörperte wieder jemand das Gefühl, die eigene Kunst neu zu erfinden und damit auch gesellschaftlich etwas bewirken zu können. Stephen Frears ist dabei - anders als Ken Loach mit seinen Mutmacherfilmen und Mike Leigh, dessen präziser Blick eher weh tut - immer zärtlich geblieben: zärtlich mit seinen Figuren und deren rührendem Versuch, das Chaos ihres Lebens in den Griff zu kriegen. Zärtlichkeit zu bewahren: Vielleicht ist dies das schönste Prädikat, mit dem sich ein kreatives Älterwerden schmücken kann.

Bevor wir uns nun seelisch auf die nächsten wirklich wichtigen 60. Geburtstage einstellen (Rebellin Madonna: 16. August 2018, Popstar Wim Wenders: 14. April 2005, Angestellter Gerhard Schröder: 7. April 2004), schnell noch die Frage: Was kann der allerneueste deutsche Film von Stephen Frears lernen? Erstens: Die Menschen lieben Filme, die soziale Wirklichkeit spiegeln, sofern sie darin nur originell und genau abgebildet ist. Zweitens: Regisseure mögen nach Hollywood gehen, sofern sie nur hin und wieder von dort zurückkehren. Und: Wenn die Lage am trostlosesten erscheint, ist - sofern man sich nicht immer nur jammernd auf andere verlässt - der Neubeginn nah.

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