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Kultur: 75 und ein bisschen weißer

Lange angefeindet und nun geehrt: Stuttgart feiert das Jubiläum seiner Weißenhofsiedlung mit zwei Ausstellungen und einem Kongress

Von Michael Zajonz

Nach einem dreiviertel Jahrhundert gilt sie nun auch im Land spitzdachverliebter Häuslebauer als Glücksfall prophetischer Architektur. Stuttgarts Weißenhofsiedlung, am 23. Juli 1927 als Kernstück der Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ eröffnet, entpuppt sich rückblickend als die exemplarische Einfamilienhaus-Siedlung der klassischen Architekturmoderne. Wer heute das sanft geschwungene Gelände am Killesberg durchstreift, wird die heftigen Prügel, die ihr künstlerischer Leiter Ludwig Mies van der Rohe einst bezog, kaum nachvollziehen können. Zu vertraut ist uns die städtebauliche Figur der den Hang begleitenden Kuben, die Reduktionsästhetik flacher Dächer, scharf eingeschnittener Fensterbänder oder der Luxus kühn ausgreifender Terrassen. Fast schon ein Hauch Kalifornien – und für die Stadt Stuttgart Anlass, den Weißenhof-Geburtstag mit zwei die Historie nachzeichnenden Ausstellungen sowie einem international besetzten Kolloquium zu feiern.

1927 jedoch waren die 21 an den Ansprüchen bürgerlicher Haushalte orientierten Villen, Reihen- und Apartmenthäuser, die 17 Architekten aus Deutschland, Holland, Österreich, Belgien und der Schweiz auf Rechnung der Kommune errichtet hatten, ein veritabler Schock. „Was Ihr vorne seht, sind keine Baracken, sondern die Häuser der Zukunft“, notierte einer der über 500000 Besucher halb belustigt, halb entsetzt auf eine Ansichtskarte. Die von Mies übergangenen Stuttgarter Architekten Paul Bonatz und Paul Schmitthenner wollten sich gar an italienische Bergnester oder – die Katze des Antisemitismus aus dem Sack lassend – an die Vororte Jerusalems erinnert fühlen.

Die Wortführer der auf handwerkliche Solidität wie völkische Tradition bedachten „Stuttgarter Schule“ hatten recht verstanden: Dass 1925 Mies, und mit ihm Stars der modernen Bewegung wie Le Corbusier, Oud und Gropius den Zuschlag erhielten, war ein Politikum. Mies hatte zwar nur intern davon gesprochen, „alle auf dem linken Flügel stehenden Architekten heranzuziehen". Gleichwohl ging es um nichts Geringeres, als die Idee sozialen Wohnens mit den industriellen Technologien der Zukunft zu versöhnen. Doch fast alle Beiträge bedienten vorrangig das Lebensgefühl einer intellektuellen Elite. Eine derart unbekümmerte, auf das Experiment setzende Manifestation des Neuen Bauens war nur in der kurzen Zeitspanne der scheinbar konsolidierten deutschen Republik Mitte der 20er Jahre möglich.

Entsprechend hart haben spätere Jahrzehnte der Versammlung schöner Querulantinnen am Weißenhof mitgespielt. Nicht erst 1933 machte das unschöne Wort vom Araberdorf die Runde. 1938 schlug die Stadt ihre einstige Mustersiedlung an das Deutsche Reich zum Abriss los. Bombenschäden zerstörten knapp die Hälfte der Häuser. Ihre Lücken ersetzte man durch banale Neubauten. Allein einer Bürgerinitiative ist es zu danken, dass ab Anfang der 80er Jahre eine Renovierung des im Besitz der Bundesvermögensanstalt befindlichen Bestandes erfolgt ist.

Nun hat das in Stuttgart residierende Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) zusammen mit der Architekturhistorikerin Karin Kirsch zwei Wanderausstellungen konzipiert, die, in der Galerie der Stadt Stuttgart erstmals vorgestellt, nahtlos ineinander greifen. Einer knappen Darstellung der Weißenhof-Baugeschichte – in Stuttgart durch originale Möbel ergänzt – ist eine Dokumentation jener Schau zur Seite gestellt, die dem Publikum 1927 die Augen für die aktuelle Architektur der Nachbarländer öffnen sollte: die von Ludwig Hilberseimer kuratierte „Internationale Architektur- und Modellausstellung". Ob Hans Poelzigs altrosa lackierte Salonmöbel oder Hilberseimers Projektauswahl – einmal mehr widerlegt sich das Vorurteil, dass die Architektur der Moderne stets weiß, kalt und scharfkantig gewesen sei, bei näherer Betrachtung selbst.

Die Vielfalt des klassisch-modernen Kulturerbes und die daraus abzuleitenden Zielvorstellungen einer zeitgemäß reflexiven Moderne war Generalthema der Stuttgarter UIA-Vorkonferenz „Von der Moderne zur europäischen Stadt". Bei einem Weltkongress der Architekten, der sich der Nachhaltigkeit widmet, ist es schon erstaunlich, das Thema Denkmalpflege nur im Rahmenprogramm zu finden. Doch mit der Wüstenrot Stiftung, die den hohen Standard ihres Denkmalprogramms demnächst auch bei der Restaurierung von Le Corbusiers Doppelhausvilla auf dem Weißenhof unter Beweis stellen wird, hatte man immerhin den bestmöglichen Mitorganisator für eine derartige Veranstaltung gewonnen. Nur ein Anfang: Bei einer Baukultur, in der „restaurierte“ Bauwerke oft genug so porentief rein ausschauen, als hätten sie gerade den Hauptwaschgang überstanden, haben Konservatoren und Architekten noch einiges zu klären.

Bis 6. Oktober, Galerie der Stadt Stuttgart, Schlossplatz 2, Di-So 11-18 Uhr. Der Katalog „Neues Bauen International 1927/2002“ (Gebr. Mann Verlag, Berlin) kostet in der Ausstellung 16 Euro, die Dokumentation zur Weißenhofsiedlung 9 Euro.

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