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Der große Amerikaner. Clint Eastwood in „Erbarmungslos“ (1992). Foto: Mauritius Images

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80. Geburtstag: Clint Eastwood: Ein Mann, ein Ort

Clint Eastwood wird 80: Wir gratulieren mit Lieblingsszenen aus fünf Filmen.

DAS LIED VOM TOD

Für ein paar Dollar mehr (1965)

Er beißt auf den Zigarillo im Mundwinkel, sein Gesicht ist sonnenverbrannt. So müssen die Männer im Westen damals ausgesehen haben: dreckig und verwegen. Im Hintergrund der Großaufnahmen spannt sich ein azurblauer Himmel über weiß verputzte Pueblo-Häuser. Ein namenloses Wüstenkaff irgendwo im texanisch-mexikanischen Grenzgebiet ist in Sergio Leones Italowestern „Für ein paar Dollar mehr“ die archetypische Bühne für das finale Shoot-out zwischen Gut und Böse.

Spiel mir das Lied vom Tod. Das Lied vom Tod ist die Spieluhrenmelodie einer Taschenuhr. Clint Eastwood hält die aufgeklappte Uhr in seiner Hand. Wenn das Lied endet, wird er schießen. Er ist der Vollstrecker. Nervöse Gitarrenakkorde und das Geigenstakkato aus Ennio Morricones Filmmusik: Unendlich langsam läuft Eastwood zum Dorfplatz. Der Sand knirscht unter seinen Schritten. Sein Gang wirkt steif und statuarisch, nicht so tänzelnd wie bei John Wayne oder so federnd wie bei Henry Fonda. Aber unendlich cool. „Indio, du kennst ja das Spiel“, sagt er. El Indio, der Banditenboss, kennt das Spiel. Clint Eastwood ist bei Lee Van Cleef angekommen, seinem Kompagnon, und reicht ihm einen Pistolengurt. Eine Totale auf den Dorfplatz. Großaufnahmen auf die Gesichter. Augen verengen sich zu Schlitzen, Schweiß klebt auf Männerhaut. Schuss, Gegenschuss. Eastwood pafft. Indio blinzelt. Van Cleef zieht schneller. „Wo das Leben keinen Wert hatte, hatte der Tod manchmal seinen Preis“, stand im Vorspann. Eastwood ist ein Kopfgeldjäger. Er tötet für Geld. Jetzt holt er ein Pferdefuhrwerk und wirft El Indio zu den anderen Leichen. Wir schreiben das Jahr 1965. Eastwood ist 35 und hat die Fernsehserien und B-Filme hinter sich. Vor ihm liegt die Wüste und eine Weltkarriere. Christian Schröder



NICHT OHNE MEINE WAFFE

Dirty Harry (1971 )

Die wichtigste Frage stellt ihm sein neuer Assistent: „Warum werden Sie eigentlich Dirty Harry genannt?“ Und statt Inspektor Harry Callahan alias „Dirty Harry“ alias Clint Eastwood antwortet ein Kollege in Don Siegels erstem „Dirty-Harry“-Film: „Weil er am liebsten im Dreck wühlt. Und weil er alles hasst, das Leben, den Tod, Schwule, Neger, Ausländer, Kellnerinnen und auch sich selbst.“ Trotzdem weiß Callahan genau, was richtig und was falsch ist und dass es das Böse knallhart und kompromisslos zu bekämpfen gilt. Und wenn es sein muss, unter Umgehung von Recht und Ordnung, weil Recht und Ordnung, so wie sie das Gesetz vorsieht, nicht mehr funktionieren, gerade nicht in einem Amerika, das unter dem Vietnamkrieg leidet, dessen öffentliche Kassen leer sind.

„Dirty Harry“ ist der Außenseiter im Polizeiapparat, der Outlaw im System. Harry Callahan liebt es, Verbrecher zu jagen, und sieht sich nur allzu oft dem Vorwurf der Selbstjustiz ausgesetzt. Den Serienmörder, der in Siegels Film wahllos Menschen erschießt, stellt Callahan zweimal – in einem leeren Stadion, in dem dieser blutend und wimmernd auf dem Boden liegt und von Callahan regelrecht gefoltert wird. Und am Ende, da er ihn endgültig zur Strecke gebracht hat und anschließend seine Polizeimarke ins Wasser wirft. „Wenn die richtigen Leute getroffen werden, ist gegen den Gebrauch der Waffe nichts einzuwenden.“

Don Siegels „Dirty Harry“ gilt als eine der zwiespältigsten Figuren der Filmgeschichte – die vier „Dirty Harry“-Filme, die folgten, modifizierten sie weiter und variierten das Thema Selbstjustiz. Einmal lässt Callahan eine Frau laufen, die ihre Vergewaltiger nach vielen Jahren selbst tötet. Ein anderes Mal muss er gegen ein paar Polizisten kämpfen, die das Gesetz mit der Waffe in der Hand selbstherrlich interpretieren. Am Ende siegt immer Dirty Harry, der Mann für die Drecksarbeit, der weiß: „Ein Mann muss seine Grenzen kennen“. Und diese oft genug überschreitet. Gerrit Bartels

KILLERAUGEN, WAIDWUND

Erbarmungslos (1992)

Kann ein Mann seine Vergangenheit ablegen? Für immer? Muss er eines Tages doch noch einmal raus zum letzten Kampf? Der Modellfall heißt „High Noon“ (1952). Gary Cooper, im Film frisch verheiratet, hat dem Colt abgeschworen und wird von der Miller-Bande zum finalen Tanz gefordert. „Do not forsake me, oh my darling“. Dieser herzzerreißende Song, das Ticken der Uhr, das Pfeifen des Zugs, mit dem der Killer aus dem Gefängnis kommt ... und dann Schnitt, vierzig Jahre später: Clint Eastwood plagt sich als Farmer mit dem lieben Vieh. Der Revolverheld William Munny hat geheiratet und Kinder gezeugt, ein friedliches Heim aufgebaut, da stirbt ihm die junge Frau an einer Infektionskrankheit.

„Erbarmungslos“ (Unforgiven), ein sogenannter Spätwestern. Aber ist der Western an sich nicht schon ein spätes, ewig sich selbst und andere zitierendes Genre? „Die glorreichen Sieben“ zitieren Kurosawa, Sergio Leone zitiert „High Noon“, und in Eastwoods Gesicht liegt all die Trauer, die Cooper und Co. je erlitten haben, wenn er vom Grab seiner Frau aufschaut, von den Trümmern seiner friedlichen Existenz. Dieser Blick, diese Falten, das Antlitz einer untergegangenen Landschaft, diese waidwunden Killeraugen, als ein Pistolero bei Munny auftaucht und ihm noch einmal einen dreckigen Job anbietet. Ja, er ist alt, und er braucht das Geld, für seine Kinder. Er quält sich auf sein Pferd – und in diesem Blick zurück nach vorn, im schmerzhaften Aufsitzen und Abreiten liegt das ganze große Westernkino. John Wayne ist Boulevard und Propaganda, Eastwood ist griechische Tragödie. Der Rest ist Schießen, Munny kommt in die Stadt, macht Tabula rasa. Erbarmungslos. Eastwood, die Feuerwalze. Der aufgestaute Ekel. Der Hass auf den Tod, der nicht verschwinden will aus dem Leben.Rüdiger Schaper

TOUGH AIN’T ENOUGH

Million Dollar Baby (2004)

Ein Film, in dem er ausnahmsweise keine Wumme hat. Dafür benutzt Hilary Swank ihre Fäuste, und wie, aber eigentlich geht es in der Geschichte um den alten Trainer und die spätberufene Boxerin um zwei höchst gefährdete Seelen. Tough ain’t enough – am Anfang sagt er’s, und am Ende ist der Spruch an die Wand gekliert in seinem Boxkabuff, vielleicht mit Blut, als sei’s ein Abschied für immer. Meine Lieblingsszene? Keine dramatische, keine von den lustigen, ja, sogar die gibt es, sondern eine stille, ein Moment bloß mitten im Leben.

Clint und Hilary an der Tankstelle, es ist ihr einziger Ausflug raus aus den Boxhallen ins Freie, fast blendend die Sonne, und gerade ist der Besuch bei Hilarys schrecklicher Familie ganz furchtbar danebengegangen. Clint putzt in aller Ruhe die Windschutzscheibe, während Hilary still auf dem Beifahrersitz wartet, und da sieht sie – langsamer Zoom zwischen zwei Zapfsäulen hindurch – ein kleines Mädchen in einem anderen Auto, es ist glücklich, es hat seinen Hund auf dem Schoß, es hat das Leben noch so was von vor sich, und als die Blicke sich treffen, schenkt es Hilary ein hübsches Fremdemenschenlächeln. Hilarys Lächeln zurück, ein verstohlenes Winken mit der Hand vorm Mund, das Leben geht ja weiter, man kann wieder lächeln irgendwohin. Und was macht Clint, der die ganze Zeit geschwiegen hat, der Mann im Hintergrund beim Verwandtenbesuch? Nur sein Rücken im Bild, er ist inzwischen zahlen gegangen. Später im Auto, aber das ist schon die nächste Szene, werden die beiden, Traumtochter und Irgendwievater, wunderbar langsam miteinander zu reden beginnen. Jan Schulz-Ojala

PROPHET IM EIGENEN LAND

Gran Torino (2009)

Er fällt mit ausgebreiteten Armen, in Zeitlupe und Gegenlicht, durchsiebt von Kugeln, und die Kamera zieht ganz hoch, blickt herunter auf die einsame Gestalt im Gras. Es ist eine Apotheose, ein Opfertod als Christus Weltenretter: Walt Kowalski, Koreakrieg-Veteran, verbitterter Witwer in veränderter Welt, wird zum Erlöser, als er alles verliert. Sein größtes Opfer ist sein größter Sieg.

Clint Eastwood, Regisseur und Hauptdarsteller in „Gran Torino“, zeigt zuletzt immer deutlicher religiöse Züge. Nicht umsonst liefert sein Kowalski sich heftigste Debatten – nicht mit seinen degenerierten Nachkommen, nicht mit den asiatischen Zuzüglingen nebenan, sondern mit dem jungen Priester, der ihn zurück in die Kirche holen will. Es geht um die großen Themen, um Alter, um Freiheit, um Nation, Religion, Tod und um Gott. Ein Mann, eine Mission. Fundamentalismus, auch das. Und zugleich trotziges Beharren auf Freiheit und Selbstbestimmung. Vorher war Kowalski der Prophet im eigenen Land, der nichts mehr gilt. So rostig wie sein Gewehr, so knarzig wie der Holzstuhl auf seiner Veranda, so unzeitgemäß-ikonenhaft wie sein liebevoll gepflegter 1972er Gran Torino.

My home, my rifle, my car – nur dass die alten amerikanischen Werte nun nichts mehr gelten und Eastwood sie immer mehr demontiert, mit einer Bitterkeit, die an Rachsucht grenzt. Da ist einer aus dem Leben gefallen und aus seinem Land. Und hat dadurch zu sich selbst gefunden. Bis er das letzte bisschen Freiheit findet: entscheiden zu können, wann man geht.Christina Tilmann

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