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90. Geburtstag von Illustrator Werner Klemke: Der gestrichelte Kater

Seine Helden hießen Mautz, Moppel und Emil Nolde. Morgen wäre der Berliner Zeichner und Illustrator Werner Klemke 90 Jahre alt geworden.

Nicht, dass man sie vermisst oder auch nur hin und wieder an sie gedacht hätte: das fluffige Wolkenschaf und das verschreckte Hündchen auf der Eisscholle, Rotkäppchen mit der extravaganten Phrygischen Mütze und den vom Heimweh nach China geplagten Hirsch Heinrich. Doch jetzt, da man all die von Werner Klemke illustrierten Kinderbücher auf dem Tisch ausgebreitet sieht, kommt es einem vor, als wären sie nie fort gewesen, diese Mitbewohner einer DDR-Kindheit.

Christine Klemke sitzt vor dem Bücherstapel, in dem sich auch französische und japanische Ausgaben befinden, und zeigt auf das Cover von „Das Wolkenschaf“. „Das war ich“, sagt sie. Für das Mädchen mit den blonden Zöpfen, das sich um das vom Himmel gefallene Tier kümmerte, stand sie Modell. Christine Klemke ist selbst Grafikerin geworden, hat bei ihrem Vater, der morgen 90 Jahre alt würde, an der Kunsthochschule Weißensee studiert und das „Atelier und Archiv Prof. Werner Klemke“ gegründet. Lange kam sie nicht zurecht mit dem übergroßen Schatten, den ihr Vater bis heute wirft. Wenn sie zeichnete, kamen dabei Klemkebilder heraus, erzählt sie. Wenn sie als Buchillustratorin von einem Verlag beauftragt wurde, dann immer mit dem Nachschub: „Bitte so wie Ihr Vater!“

Nicht nur als eines von vier Kindern Werner Klemkes lebte man ständig im Klemke-Universum. Um den 1994 gestorbenen Buchillustrator, Künstler und Gebrauchsgrafiker kam ein Kind, das zwischen Ostsee und Erzgebirge aufwuchs, nicht herum. Wurden einem Grimms Märchen vorgelesen, schaute man dabei auf die schlanken, edlen Figuren, die Klemke ins Holz geschnitten hatte. Man lernte Lesen mit einer Fibel, und Klemkes Bilder aus einem turbulenten, meist harmlos-lustigen Alltag halfen dabei. Es folgten „Wie Mautz und Hoppel Freunde wurden", „Schwalbenchristine“ oder „Bootsmann auf der Scholle“. Erst später, wenn man sich für Diderot, Jules Verne oder Thomas Mann interessierte, lernte man einen anderen Klemke kennen. Nicht mehr die kindliche, scheue Geste war hier zu sehen, sondern häufig bauernschlaue, aber auch oft düstere und abgründige Figuren.

Unglaubliche 835 Bücher hat der Meister mit Bildern versehen. Christine Klemke erzählt, dass sie den Vater meist über den Tisch gebeugt sah. Und in der Stille quietschten die monströsen Filzstifte. Der parteilose Generalsekretär der ostdeutschen Akademie der Künste, der mit drei Nationalpreisen und dem Vaterländischen Verdienstorden ausgezeichnet wurde, aber verschont blieb von Funktionärsarbeit, zeichnete jeden Monat Titelbilder für das beliebte und leicht subversive Heft „Das Magazin“. Frivole, neckische, heute etwas altmodisch verklemmt wirkende Szenen. Vom Umwerben der Geschlechter, vom Reigen der Liebe, die Männer charmant oder forsch, die Frauen kokett und schlau.

Der menschlichen Komödie auf über vierhundert Titelbildern wohnte stets ein Kater bei, mal im Bettchen der Braut, mal auf ihrem Schoß, mal turnend, mal stolz umherspazierend. Zum 90. Geburtstag malt Christine Klemke für Besucher diesen Kater, der Klemkes Markenzeichen wurde, in die langsam vergilbenden Bücher. Auch das kann sie mittlerweile, „im himmlischen Auftrag“, wie sie sagt.

Mit ihrer Schwester Ulrike Braun (Modell für Rotkäppchen) stellt sie an mehreren Orten in Weißensee die Arbeiten des Vaters aus. Im Klemke-Archiv kann man Holzschnitte und Stiche bewundern wie jene, die Boccaccios Klassiker „Dekameron“ schmücken und mittelalterliche Darstellungskunst zitieren. Auch ganz frühe Holzschnitte, die ans Vorbild Emil Nolde erinnern, sind ausgestellt. Schon da erkennt man Klemkes Sinn für Bewegung und Beziehungen.

Vielleicht hat der in Weißensee aufgewachsene Junge das gelernt, als er mit 17 Jahren bei einer Zeichentrickfirma arbeitete. Später, im Zweiten Weltkrieg als Gefreiter an der Westfront, verinnerlichte er in der Schreibstube die Gründlichkeit – er fälschte Pässe für holländische Juden und stellte seinen Kameraden Urlaubsscheine aus. Klemke, ein Pazifist: Als er längst erfolgreich ist, wird er für die DDR-Fibel Soldaten malen mit grimmigen Mördervisagen. Er muss sie auf Geheiß des Verlages noch einmal zeichnen – als nette Beschützer.

Nach dem Krieg stattet der fleißige Grafiker erste Kinderbücher aus, entwirft Umschläge und Plakate. Schon 1956 wird er Professor, obwohl ihm von der Kulturpolitik, die als „Bitterfelder Weg“ Programm wird, „Formalismus“ und mangelnder Realitätssinn vorgeworfen wird. Doch von „Entfremdung zwischen Kunst und Volk“, wie dort formuliert, kann bei Klemke keine Rede sein. Das größte Lob, das er für seine Studenten hatte: „Sieht doch schon ganz lustig aus.“ Die Studierenden mussten bei ihm zeichnen und Theater spielen. Denn der Professor, der stets wie ein Gentleman gekleidet war, stellte seine Charaktere mimisch dar, erinnert sich Christine Klemke: „Ob er einen Bösen oder Guten zu Papier brachte, erkannte man an seinem Gesicht.“

Dieser Mann, dessen „Gesammelte Werke“ schon 1968 erschienen, hatte schon früh alles erreicht. Später verzettelte er sich oft, erzählt seine Tochter bedauernd, nahm zu viele Aufträge an. Auch wollten die Verlage keine Holzstiche mehr. Im Wendejahr 1989 erlitt ihr Vater einen Schlaganfall. Die monatlichen „Magazin“-Titelbilder mussten nun die Kinder übernehmen. Auch deshalb kennt sich Christine Klemke so gut mit Katern aus.

Werner Klemkes Buchillustrationen: Wolfdietrich-Schnurre-Bibliothek (Bizetstraße 41, Weißensee); Holzstiche: Atelier und Archiv Prof. Werner Klemke (Tassostraße 21); Plakate: ehemaliges Heimatmuseum (Pistoriusstraße 8); Titelbilder des „Magazins“: Milchhäuschen am Weißen See. Informationen unter www.wernerklemke.de

Daniel Völzke

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