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"Abend über Potsdam": Letztes Abendmahl

Rückkehr eines Meisterwerks: Lotte Lasersteins Bild „Abend über Potsdam“ hängt wieder in Berlin.

Das Festmahl ist vorbei. Abgeräumt die weiß gedeckte Tafel, fast geleert die Gläser und Flaschen. Schweigen ist herabgesunken auf diese Gruppe junger Menschen, die sich zu einem Sommerabend über den Dächern zusammengefunden hat. Man mag sich die angeregten Diskussionen, die lebhaften Gespräche des Kreises noch vorstellen – jetzt, wo der Abend fällt und dunkle Wolken aufziehen, ist ahnungsvolle Stille eingetreten. Sinnend blickt man auf die Silhouette der Stadt, brütet melancholisch vor sich hin. Die Gruppe, enge Freunde der Künstlerin, vertraut und verbunden, scheint zerfallen. Jeder ist für sich allein.

„Abend über Potsdam“ hat Lotte Laserstein ihr großformatiges Querformat genannt, das sie 1930 auf einer Dachterrasse gemalt hat. In der Ferne, wo Potsdams Silhouette erkennbar ist, ragt der Turm der Garnisonskirche auf. Dort sollte drei Jahre später, am 21. März 1933, mit dem „Tag von Potsdam“ endgültig jene Welt auseinanderbrechen, die sich gerade auf der Dachterrasse noch einmal glanzvoll präsentiert hatte. Man kommt nicht umhin, dem „Abend über Potsdam“ im Rückblick prophetische Kraft zuzuschreiben. Die Welt jenes gebildeten, kosmopolitischen Großbürgertums, die dieses Bild feiert, steht im Schatten des Untergangs.

Es ist das Hauptwerk der Künstlerin, wer es gesehen hat, vergisst es nicht. So ging es vielen in der LasersteinAusstellung 2003 im Ephraim-Palais. So ging es auch Philipp Demandt, Referent der Kulturstiftung der Länder, als er 2010 das Bild im Katalog des Londoner Auktionshauses Sotheby’s entdeckte. Ein elektrisierender Moment: Das Bild muss wieder nach Berlin, war Demandt sofort klar, und zwar in die Nationalgalerie. Allzu oft war Lotte Laserstein, die Jüdin, die 1937 nach Schweden ins Exil ging und von dort nie mehr zurückkehren sollte, in Schubladen gesteckt worden: Exilkunst, jüdische Kunst, weibliche Kunst, vielleicht lesbische Kunst – all das, fand Demandt, sollte es nicht gewesen sein. „Abend über Potsdam“ ist ein Schlüsselwerk der Zeit, ein Meisterwerk. Als solches gehört es in die Nationalgalerie.

Dort hängt das Bild nun auch, prominent präsentiert auf rotem Grund, als Blickfang im Zentrum der so überaus geglückten Neupräsentation der Sammlung im Untergeschoss des Mies-van-derRohe-Baus. Es ist das glückliche Ende einer Ankaufsgeschichte, ähnlich wie bei Constantin Meuniers Großskulptur „Der Sämann“, die die Kulturstiftung der Länder ebenfalls für die Nationalgalerie sichern konnte. Doch als Demandt mit dem Ansinnen zum Ankauf an Udo Kittelmann herantrat, war dem Direktor der Berliner Nationalgalerie der Name der Künstlerin gänzlich unbekannt. Damit dürfte er in guter Gesellschaft sein, zumindest außerhalb von Berlin.

Eine Verkaufsausstellung in einer Londoner Galerie brachte die damals 88-jährige Künstlerin 1987 international wieder in Erinnerung. Heute besitzen immerhin das Stadtmuseum, das Deutsche Historische Museum und das Jüdische Museum je ein Bild von Laserstein. Nun konnte „Abend über Potsdam“ aus Privatbesitz bei der Sotheby’s-Auktion trotz lebhaften Bieterinteresses mit Mitteln der Ernstvon-Siemens-Kunststiftung, des Bundeskulturministeriums, der Lottostiftung und der Kulturstiftung der Länder für eine halbe Million Euro erworben werden.

Das hätte Lotte Laserstein glücklich gemacht, mutmaßt Anna-Carola Krausse. Die Berliner Kunsthistorikerin und Kuratorin, die ihre Dissertation über Lotte Laserstein schrieb und 2003 mit der Ausstellung im Ephraim-Palais den Grundstein zur Wiederentdeckung der Künstlerin hierzulande legte, weiß um den Wert, den gerade dieses Bild für Laserstein hatte. Jahrzehntelang hing es in ihrer Wohnung in Schweden über dem Sofa, auf einem späten Selbstporträt von 1950 hat Lotte Laserstein das Bild im Hintergrund angedeutet. „Meine Freunde“ hat sie es später genannt, und ihre Freunde sind es tatsächlich, die sich über den Dächern von Potsdam zusammengefunden hatten: Traute Rose, Freundin und wichtigstes Modell, ist die schmale, dunkle Gestalt links am Geländer, die so verloren auf die Stadt blickt. Ihr Mann Ernst sitzt elegant hingegossen am Tisch, das Haar in Künstlertolle nach hinten geworfen.

Die Entstehung des Bildes, das von der Komposition her an Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“ erinnert, hat Traute Rose im Rückblick geschildert. Zunächst wurde vor Ort die Gruppe skizziert und der Hintergrund mit der Potsdam-Topografie angelegt. Dann ging es mit der riesigen Holztafel per S-Bahn zurück nach Berlin ins Atelier, wo die Feinarbeit stattfand. Traute Rose erzählt: „Meine Position außen links vor dem Geländer stand fest, ebenso die meines Mannes, der unseren Hund zu seinen Füßen hatte. Die Mittelfigur war zuerst ein Mädchen im roten Pullover, die allerdings nicht lange genug durchhielt und schließlich durch das Mädchen im gelben Hemdchen ersetzt wurde. Der neben ihr sitzende romantische Mann hat auch einen Vorgänger. Er wurde zu seinem großen Bedauern ausgewischt. Das im Vordergrund stehende Mädchen in Grün war passend, konnte aber nicht so lange stehen. Also stand ich Modell für ihre Beine. Mein Mann Ernst, der seinen zurückgelehnten Kopf auf die Hand stützt, hatte am meisten Schwierigkeiten, seine Pose zu halten.“

Noch zwei Mal hat Lotte Laserstein ähnliche Kommunikationsrunden geschaffen. „Die Unterhaltung“ von 1934 zeigt eine Gruppe von drei jungen Männern, darunter unverkennbar erneut Ernst Rose (samt Hund), in einer Zimmerecke. Es wird sich um Lasersteins Atelier unterm Dach handeln, die Dachschräge, das Dachfenster sind deutlich erkennbar. Insgesamt aber herrscht bedrückende Enge, eine fast klandestin-klaustrophobische Atmosphäre. Es ist auch kein Abendbild mehr, sondern Nacht, Nacht über Deutschland. Ein Jahr später muss Laserstein als Jüdin ihr Atelier aufgeben und den Unterricht einstellen.

Und noch einmal gibt es eine „Abendunterhaltung“, entstanden 1948 in Schweden. Wieder eine Gruppe von fünf Menschen, nachdenklich innehaltend im Gespräch, eine Atmosphäre seltsamer Verlorenheit herrscht im Raum. Eine „eigentümliche Gedämpftheit“, eine „graue Stille“ sieht Anna-Carola Krausse in dem Bild, ein „gemeinsames Schweigen“ von „bedrückender Sprachlosigkeit“. Da waren die goldenen Tage von Potsdam schon lange, lange Vergangenheit.

Am 2. Dezember, 19 Uhr, hält Anna-Carola Krausse in der Neuen Nationalgalerie einen Vortrag über Lotte Laserstein. Das Bild ist in der Dauerausstellung zu sehen, Di–Fr 10–18, Do 10–22, Sa/So 11–18 Uhr.

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