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Kultur: Abenteuer des Geistes

Die Berliner Sammlung Hoffmann verjüngt sich weiter – und bleibt ihren Prinzipien treu

Wer das Glück hat, Erika Hoffmann in ihrer Kunstsammlung in den Sophie- Gips-Höfen in Berlin besuchen zu dürfen, der sieht als Erstes den entblößten John Coplans an der Wand. Coplans war 64 Jahre alt, als er anfing, seinen Körper zu fotografieren, nackt, die Distanz zwischen ihm und der Kamera gering, und es gibt nichts, das er ausgespart hätte. Die Fotos wirken kraftvoll, wuchtig und verletzlich zugleich. Seine massige Erscheinung, die Posen, die er einnahm, wie er sich drehte und wendete – all dies erinnert an zeitlos große Werke, an antike Skulpturen oder einen hellenistischen Fries wie den vom Altar von Pergamon. Vor dem Giganten steht ein altes Sofa mit echten Flecken auf dem lustigen Patchwork-Bezug, außerdem sind da noch zehn, im Kreis aufgestellte so genannte „Bauchmasken“ des Stammes der Makonde aus Tansania, die Erika Hoffmann zusammen mit ihrem Mann Rolf über viele Jahre hinweg in Paris, München und New York erworben hat.

Das ungewöhnliche Arrangement zu Beginn des Rundganges durch die Sammlung Hoffmann hat natürlich eine Bedeutung. „Wir wollten“, sagt Erika Hoffmann, „dass den Besuchern, die zu uns hierher kommen, gleich klar wird, dass dies kein Museum ist, sondern ein Privathaus, in dem man auch Überraschungen erlebt.“ Gleichwohl bergen die Sophie- Gips-Höfe – benannt nach den beiden anliegenden Straßen in Mitte – in ihren oberen Geschossen mehr als nur eine Privatsammlung, sondern museale Räume, die am Wochenende zu Führungen geöffnet werden, und erst darüber die Privatwohnung.

Das Ungewohnte, das geistige Abenteuer und die Inspiration, die sich aus dem besonderen Charakter einer auf Präsentation angelegten Sammlung gewinnen lassen, waren für Erika Hoffmann und ihren 2001 verstorbenen Ehemann und Gefährten Rolf seit jeher der wichtigste, ja eigentlich der einzige Grund, Kunst zu kaufen.

Die Lust am Neuen lässt sie bis heute an den öffentlichen Führungen durch die Sammlung festhalten. „Wenn eine Gruppe fremder Menschen zusammentrifft, gelingt es manchmal, sich unbefangener als sonst über das zu unterhalten, das man gerade betrachtet“, sagt Erika Hoffmann. Wobei der Austausch über die Kunst schon früher, als sie und ihr Mann durch Beruf und drei Kinder noch voll eingespannt waren, im Zentrum stand: „Ich habe mich schon bei dem Gedanken ertappt, die Objekte könnten so etwas wie Placebos sein für die Ideen, die wir damit verbunden haben.“

So erscheint es nur konsequent, dass die Kunst einmal im Jahr umgeräumt wird. Wobei die Kunsthistorikerin Erika Hoffmann ein erstaunliches kuratorisches Talent an den Tag legt. So wie sie als Designerin maßgeblich daran beteiligt war, Van Laack, die kleine Hemdenfirma ihres Schwiegervaters, zu einem der führenden Hersteller für exklusive Damenoberbekleidung in Europa auszubauen, so kann sie sich auch bei der Präsentation von Kunst auf ihr untrügliches ästhetisches Gespür verlassen.

Dabei sind die meisten Arbeiten nicht gerade leichte Kost. Frühe, rohe Gemälde von Georg Baselitz, Skulpturen von Bruce Nauman, Fotografien von Nobuyoshi Araki oder seltene Plastiken aus Draht, Stoff und Zeitungsresten von A.R. Penck sprechen eher für den Bohemien als für den Bourgeois, der nur seinem großbürgerlichen Vergnügen nachhängt. „Für uns war immer entscheidend, dass sich die Kunst auf ihre Gegenwart bezieht. Was wir gekauft haben und was ich jetzt kaufe, muss neu sein, nur dann interessiert es mich wirklich.“ Anfangs war das vor allem eine Frage der eigenen Generationszugehörigkeit, dann kamen Werke von immer jüngeren Künstlern dazu. Zu den Neuanschaffungen zählen Videos von Pipilotti Rist, Bilder von Julie Mehretu und Frank Nitsche und Installationen der Brasilianerin Carla Guagliardi.

Entscheidend bei der Auswahl ist für Erika Hoffmann allerdings nicht das Geburtsdatum der Künstler, sondern dass ihre Werke einen „ganz persönlichen Bezug zu uns haben“. Die Gemälde des Chinesen Fang Lijun rufen bei ihr Eindrücke ins Gedächtnis, die sich auf China-Reisen vor 30 Jahren eingeprägt haben. Das Penck-Bild mit dem epischen Titel „Der Arbeiter kehrt an seinen Arbeitsplatz zurück, weil es so schwierig wurde, den Streik fortzusetzen. Seine Frau freut sich, weil sie wieder einkaufen gehen kann“ sahen sie und ihr Mann 1987 im Atelier des Malers in London. „Wir hatten damals, nach dem Verkauf unserer Firma, ein Häuschen im East End und sind täglich an den Streikposten bei Rupert Murdoch vorbeigefahren.“

Einer Strategie sind die beiden beim Aufbau ihrer Sammlung nie gefolgt, auch hatten sie nie Berater. Erworben wurde, was gefiel, dass da der Zufall eine große Rolle spielt, wurde und wird billigend in Kauf genommen. Nur einmal sind die Hoffmanns strategisch vorgegangen: Kurz nach der Wende entwickelten sie das Projekt einer Kunsthalle für Dresden, in der Ausstellungen gezeigt werden sollten, die sich aus ihrer und etwa 30 anderen Privatsammlungen hätten speisen können. Ihr „Erfahrungshunger“, erinnert sich Erika Hoffmann, war auch hier ausschlaggebend, sie wollten „an der Wiedervereinigung teilhaben und sie sogar mitgestalten“. Das Unterfangen, für das Frank Stella die Architekturpläne lieferte, erregte enormes Aufsehen. Dennoch scheiterte es, allerdings – darauf legt Erika Hoffmann immer noch Wert – nicht „an östlichem Unverständnis, sondern an westlicher Bürokratie“: Die importierte Landesregierung unter Kurt Biedenkopf wehrte sich gegen das Vorhaben der Stadt Dresden mit Händen und Füßen. Mit zweifelhaftem Erfolg: Das ursprünglich dafür vorgesehene Grundstück gegenüber dem Dresdner Zwinger ist immer noch eine Brache.

Dieser Fehlschlag erwies sich als Glück für Berlin, wo die Sammlung seitdem eine Ahnung davon gibt, was intellektuelle Neigung und der Sinn für Teilhabe vermögen. Nämlich ein fein austariertes Gleichgewicht herzustellen zwischen individuellem und allgemeinem Anliegen, bei dem jeder seinen positiven Nutzen zieht. Das reicht bis an die Fundamente der Existenz. „Die Sammlung hält mich am Leben“, sagt die Sammlerin. „Und am Arbeiten.“ Für einen kurzen Moment sieht Erika Hoffmann sehr zufrieden aus.

Besuche der Sammlung Hoffmann (Sophienstraße 21, Mitte) sonnabends nach Anmeldung (Tel.: 030/28 49 91 20, sammlung@sophie-gips.de), Eintritt 6 Euro, Dauer der Führung etwa 1,5 Stunden.

Ulrich Clewing

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