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Palermo ist das Sehnsuchtsziel von "Don Carlo", dem 11-jährigen Jungen aus Bochum, der auf Sizilien seinen Vater sucht.

© imago/Westend61

Abenteuergeschichte von Oliver Scherz: Italien ist in ihm drin, der Hunger aber auch

In „Keiner hält Don Carlo auf“ reist ein Junge seinem Vater bis nach Palermo hinterher. Fast ohne Geld und ohne Fahrkarten. Eine Abenteuergeschichte von Oliver Scherz.

Müde ist er, hungrig und durstig natürlich auch. Carlo hat ein paar Stunden auf der Toilette des Nachtzugs nach Rom verbracht, als er von einer alten Dame entdeckt wird. „Nu bring ick dich mal zu deinem Abteil zurück“, sagt sie. „Wo is’ det?“ Carlo kann nichts anderes sagen als „Weiß ich nicht“. „Det Abteil“, meint die Dame, die hörbar aus Berlin stammt, „steht doch auf der Reservierung.“ Hat er nicht. Und die Fahrkarte? Hat er auch nicht. Weil ihm dafür das Geld fehlte.

Carlo, der elf Jahre alt ist und dem jetzt gerade ziemlich flau im Magen wird, ist als Schwarzfahrer unterwegs. Wovon seine Mutter und sein Vater natürlich nichts wissen. Für die Oma, die mit 78 Jahren ihrer großen Liebe hinterherreist, ist Carlo ein „juter Kerl“. Sie nimmt ihn mit in ihr Abteil, gibt ihm zu essen und zu trinken, und als der Schaffner auftaucht, versteckt sie ihn. Endlich hat der Junge einen Erwachsenen, der ihm zuhört. Also erzählt er der Berliner Oma alles, alles darüber, „dass man mit Mama nicht drüber reden kann, über Papa und Palermo. Und dass Papa nicht nach Bochum kommt, sondern nur Postkarten schickt. Auf denen ist hintendrauf alles mit Kuli vollgekritzelt und die Sätze biegen um die Ecke. Weil Papa so viel drüber schreibt, was er mit mir machen will. Ins Casino gehen, Tintenfische essen, in der Nacht auf dem Meer angeln, mit seinem Moped rumheizen, in der Sonne braten.“

Eigentlich erzählt Oliver Scherz in seinem Kinderbuch „Keiner hält Don Carlo auf“ eine todtraurige Geschichte. Aber sein Held, dieser Carlo, der sich Don Carlo nennt, als er nach Sizilien aufbricht, ist ein Lebenskünstler, der Mut hat und über Schlagfertigkeit verfügt. Deshalb ist der Roman eine Abenteuergeschichte geworden, die vom Aufbruch handelt und die optimistische Botschaft verbreitet, dass sich eigentlich jedes Ziel erreichen lässt, wenn man nur hart genug dafür kämpft. Sogar ein Happy End hat das Buch. Jedenfalls fast.

Vater und Mutter haben sich getrennt, das ist das Trauma, das wie eine dunkle Wolke über Carlo hängt. Seit fünf Monaten, zwei Wochen und sechs Tagen ist Papa weg. Mama hat ihn rausgeschmissen, bloß seine Sachen liegen noch im Keller. Also macht sich Carlo von Bochum aus auf den Weg nach Palermo, er hat einen Zettel, auf dem die Adresse seines Papas steht. Dieser Vater muss ein Schlawiner sein, den letzten Geburtstag seines Sohnes hat er vergessen, ihn dafür aber noch ins ausverkaufte Fußballstadion bekommen. Das Torwarttrikot mit Autogramm, das er damals bekam, zieht Carlo nun unter den Nadelstreifenanzug, der ihn als Mafioso ausweisen soll.

Auch Krawatte und Sonnenbrille gehören zu Carlos Outfit, das Parfüm seines Vaters hat er aus dem Mülleimer gerettet.
Auch Krawatte und Sonnenbrille gehören zu Carlos Outfit, das Parfüm seines Vaters hat er aus dem Mülleimer gerettet.

© Abbildung: Peter Schössow

Auch Krawatte und Sonnenbrille gehören zu Carlos Outfit, das Parfüm seines Vaters hat er aus dem Mülleimer gerettet. Elegant und beeindruckend will er auftreten, eben als Don, Clanführer eines sizilianischen Mafiazweiges. „Hier komm ich her, das spür ich sofort, obwohl ich noch nie hier war“, weiß er bei der Ankunft in Rom. „Italien ist in mir drin, durch Papa. Der ist echter Sizilianer.“

Es ist eine Reise, die mit dem Zug, im Taxi, auf einem Traktor, zu Fuß, im Bauch einer Fähre und auf dem Rücksitz eines Motorrades absolviert wird. Einmal kann Carlo glaubhaft versichern, dass sein Bahnticket von einem Hund gefressen wurde. Von einem Taxifahrer wird er um sein Erspartes gebracht und irgendwo im nachtdunklen Nirgendwo ausgesetzt. Auf der Fähre, die er als blinder Passagier benutzt, wird er eingesperrt, er muss das geliebte Trikot abgeben und wird fast verprügelt. Aber Carlo schafft es, gegen alle Wahrscheinlichkeit kämpft er sich durch, erreicht Papa und Palermo.

Fürs Staunen bleibt keine Zeit, der Satz „Ich sehe Wasserglitzern zwischen Häusern“ als Beschreibung von Neapel muss für die Romantik reichen. Der Berliner Kinderbuchautor Oliver Scherz, der schon Geschichten wie „Ben – Schule, Schildkröten und weitere Abenteuer“ oder „Als das Faultier mit seinem Baum verschwand“ schrieb, ist ein Untertreibungskünstler. Dramen hält er lieber klein. Seine Lakonie erinnert an Andreas Steinhöfel und seine „Rico und Oskar“-Bücher. Diesen Carlo wird kein Leser schnell vergessen.

– Oliver Scherz: Keiner hält Don Carlo auf. Mit Bildern von Peter Schössow. Thienemann Verlag, Stuttgart 2015. 112 Seiten, 9,99 Euro. Ab acht Jahren.

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