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Kultur: Abenteuerliches Herz

Felicitas Hoppe ist viel auf Reisen. Jetzt hat sie einen neuen Roman geschrieben – Besuch bei der Berliner Autorin

Wer weit reist, muss einige Dinge mitnehmen: Angel, Köder, Schnur, Hüte, Sonnenuhr, Kompass, Papier und Rettungsringe für jeden Finger. Dieses Sammelsurium an Unentbehrlichkeiten legte sich Felicitas Hoppe in ihr literarisches Reisegepäck, als sie zu einer schriftstellerischen Expedition aufbrach. Keine Landkarte – aber wozu auch? Vasco da Gama, der Entdecker, hatte einst alle Karten über Bord geworfen. Weil Gott der Kapitän seiner Reise war, und vielleicht auch, weil das Ziel seiner Fahrt ohnehin auf keiner Karte verzeichnet war.

Felicitas Hoppe liebt Landkarten. In ihrer Berliner Wohnung in der Nähe vom Kollwitzplatz hängen mehrere schöne Blätter: eine Weltkarte aus dem Mittelalter, in der Jerusalem das Zentrum bildet und eine moderne chinesische Weltkarte, die Europa am äußersten westlichen Rand verortet. So verschieden kann die Perspektive auf ein und dieselbe Welt sein, und vielleicht begreift man das erst dann richtig, wenn man die Welt einmal umfahren hat. Felicitas Hoppe hat dies in doppelter Hinsicht getan: als zahlende Passagierin auf einem Containerschiff und dann noch einmal schreibend – auf 155 Seiten um die Erde.

„Pigafetta“ heißt der 1999 bei Rowohlt erschienene Roman. Die Ich-Erzählerin berichtet in neun Nachtstücken von einer Seefahrt, doch es ist kein klassischer Reisebericht. Exotismen und Abenteuer erwartet man vergeblich. Das Leben auf einem modernen Handelsschiff ist ereignisarm. Stattdessen entspinnt sich eine seltsame Atmosphäre dieser Fahrt ins Innere der Erzählerin. Am Meeresgrund hört sie Geräusche, steigt tief in den dröhnenden Bauch des Schiffes, wo schweigsame Mechaniker regieren und spielt Tischtennis gegen das Meer selbst. Beim Lesen dieser Gedankenreise fühlt man sich mitunter an Hans Henny Jahnn erinnert. Die Nocturnes dienen der Zwiesprache mit den Stimmen der Abwesenden, mit der Schwester und dem geisterhaften Pigafetta. Die Titelfigur spielt auf den Venetianer Antonio de Pigafetta an, der fünfhundert Jahre vor Felicitas Hoppe die Welt umschifft hatte. Unter dem Kapitän Fernando de Magellan war Pigafetta aufgebrochen, als einer der wenigen Überlebenden kehrte er zurück und hinterließ den einzigen autobiografischen Reisebericht dieser Expedition.

Warum aber umschifft eine Schriftstellerin heute die Welt?

Angst vor dem Verschwinden

In einem Essay hat Felicitas Hoppe einmal drei Gründe angeführt: Sie wollte erstens die Frage nach der Rundheit der Erde selbst beantworten, zweitens nirgendwo hinfahren, sondern genau dorthin kommen, wo sie sowieso schon war, und drittens wählte sie die Bequemlichkeit. Das Schiff fuhr die ganz große Tour, und so brauchte sie nicht einmal umzusteigen. Die Reisende fuhr mit 1700 Containern und wurde so selbst zur Fracht, sagt sie. Damals hatte Hoppe gerade ihr erstes Buch veröffentlicht, den 1996 erschienenen Erzählband „Das Picknick der Frisöre“. Als sie dafür den „Aspekte“-Literaturpreis erhielt, wurde sie häufig gefragt, was sie mit dem Preisgeld anfangen wolle. Spontan gab sie die Antwort, die sie heute schmunzelnd eine „Quizshowantwort“ nennt: eine Weltreise. Das Abenteuer begann.

Die zierliche Frau, durch deren Literatur so oft archaische Männerhelden streifen, sieht nicht aus, wie man sich Abenteurer gewöhnlich vorstellt. Sie wirkt eher feinsinnig und sensibel und bezeichnet sich selbst als Stubenhocker. 1960 in Hameln geboren begann sie schon als Kind Erzählungen zu schreiben. Ihr geisteswissenschaftliches Studium schloss sie in Oregon/USA ab, dann lehrte sie in Rom. In Berlin lebt Hoppe schon seit 1986, doch in ihrem Schreiben spielt die Stadt keine Rolle. Ihr erzählerischer Raum kommt auch ohne Lokalkolorit aus, und bei ihr macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob eine Geschichte im fernen Indien oder in einem mitteleuropäischen Dorf spielt. Das Fremde wirkt in diesen Erzählungen oft vertrauter als das vermeintlich Bekannte, zudem sind ihre Figuren häufig unterwegs.

Ob sie selber rastlos ist? Hoppe kauert auf ihrem Küchenstuhl, schlingt einen Arm um ihre angezogenen Knie, stützt das Kinn in die Hand und lässt sich mit ihrer Antwort viel Zeit. „Als Rastloser wäre man auf einem Schiff verraten und verkauft“, sagt sie dann. „Es gibt kaum einen Ort wo die Zeit so langsam vergeht.“ Dennoch habe sie vielleicht einen rastlosen Geist. „Gerade als Schriftsteller sollte man nicht stehen bleiben.“

Wenn man mit Felicitas Hoppe spricht, so werden schnell die Gemeinsamkeiten von Literatur und Reisen deutlich: Beides ist ortlos und ein unvollendeter Prozess. Für Hoppe geht es beim Schreiben um Freiheit. „Das Schreiben ist der einzige Ort, an dem ich wirklich machen kann, was ich will“, sagt sie. Den Motor dieses Schreibens hat sie einmal so bezeichnet: Die Angst vor dem Verschwinden, die den reisenden Schriftsteller dauerhaft wach hält. Die Motorik des Schreibens bewahre ihn vor der Verzweiflung im Angesicht des Fremden, im Bewusstsein des Nichts.

Obwohl man in ihre Bücher eine ironische Auseinandersetzung mit Werken der Weltliteratur hineininterpretiert und ihre traumwandlerische, bisweilen surreale Erzähltechnik gerne mit Autoren wie Kafka verglichen hat, kommt sie ohne Vorbilder aus. Natürlich klingt immer wieder mal ein Motiv an – die Geschichte von Pinocchio, die Reisen des Odysseus oder die Saga vom weißen Wal. Dies geschieht aber ohne Ironie und rein assoziativ: so wie das Anschlagen eines vertrauten Tons, den man mit sich führt, weil man ihn schon einmal irgendwo gehört und in sich aufgenommen hat.

Diesem Verfahren bleibt sich Hoppe auch in ihrem dritten Buch treu. Auch der neue Roman „Paradiese, Übersee“, der am 17. Januar in die Buchläden kommt, erscheint noch einmal unter der Flagge von Rowohlt, wo Hoppe schon drei Verlags-Kapitäne erlebte. Auch er spielt in der Gegenwart, und dennoch ist der Protagonist abermals ein Ritter mit echter Rüstung – eine Figur, die man schon aus ihren Kurzprosa kennt, wo es „Ritter und Duellanten“ gab.

Die Welt auf Distanz

Wie immer liegen Märchenhaftes und Realität dicht nebeneinander, oft reicht ein Halbsatz um wie ein Vexierbild die Ebenen zu wechseln. Das literarische Personal ist weitgehend entpersonalisiert, niemals wird psychologisiert. Über „den Pauschalisten“ heißt es im neuen Buch, er verwandele alles, was ihm zu nahe trat oder lästig wurde zum Motiv, zu einer Metapher oder zu einem Symbol. Vielleicht erklärt sich hier auch die Autorin selbst, die mit ihrem Schreiben Distanz zum persönlichen Erleben schaffen möchte.

Wer keine Vorbilder hat, der hat doch Lieblingsbücher, und es verwundert nicht, wenn Hoppe hier den Reisebericht Marco Polos nennt oder den Artus-Roman Hartmanns von Aue: zwei ichlose Texte, die ohne ein Autoren-Imago auskommen. Obwohl sie weder Reiseliteratur im strengen Sinne schreibt, noch historische Romane, mag ihre Prosa in älteren Genres wurzeln. Aber das Geheimnis der luziden, in ihren besten Momenten leuchtenden Sätze wird mit solchen Spekulationen nicht gelüftet.

Felicitas Hoppe besitzt eine Sprache, die man entweder liebt oder nicht. Das Eigentümliche bei ihr ist keine Masche, sondern ein höchst originärer Stil. Genau darin aber unterscheidet sich echte Literatur vom bloßen Bücherschreiben.

Felicitas Hoppe liest am 16.1. aus „Paradiese, Übersee“ (Rowohlt Verlag, Hamburg 2003, 224 Seiten, 16,90 Euro) um 20 Uhr in der Literaturwerkstatt Berlin (Kulturbrauerei).

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