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Kultur: Abgang eines Papiertigers

Michael Schindhelm legt seine Ideen zur Berliner Opernreform vor – und tritt zurück

Also doch. Am heutigen Mittwoch beugt sich der Stiftungsrat der Berliner Opernstiftung über jenes geheime Papier, auf das die Berliner Kulturszene seit einem halben Jahr wartet. Stiftungsdirektor Michael Schindhelm legt seine Reformvorschläge vor. Und dann hat das Gremium, dem ein letztes Mal der scheidende Kultursenator Thomas Flierl vorsitzt, noch einen Tagesordnungspunkt: Schindhelm gibt auf. Nach nur anderthalb Jahren tritt er von seinem Amt zurück, mit dem er nie recht glücklich war.

Damit wankt die erst 2003 nach jahrelangem Gezerre gegründete Berliner Opernstiftung, die zu einer Operettenstiftung geworden ist. Wer will Schindhelms Posten nun übernehmen, und unter welchen Bedingungen? Ein tiefer Einschnitt für die hauptstädtische Kulturpolitik, das Drama beginnt von vorn. Flierl muss gehen, Schindhelm verlässt die Bühne, zwei Hauptdarsteller, die der neue Regierende Kultursenator Klaus Wowereit nie sonderlich mochte. Wowereit räumt auf. Aber wofür?

Wowereits Strategie ist klar. Und reichlich riskant. Er lässt sich auch nach seinem montäglichen Kurzbesuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht von dem Glauben abbringen, der Bund sei in näherer Zukunft für die Staatsoper zu interessieren. Gelingt dies, wäre die Opernstiftung ohnehin obsolet. Schindhelms Grundidee dagegen war, dem Land Berlin drei Opernhäuser zu erhalten. Unter einem gemeinsamen Dach, mit einer rundum erneuerten „Physiognomie“, wie er sich ausdrückt, für etwa 100 Millionen Euro im Jahr, wie gefordert. Dies war sein Auftrag. Nun ist die Situation wie in Heiner Müllers gleichnamigen Stück. „Der Auftrag“ ändert sich, ohne dass der Revolutionär – Schindhelm – sich darüber rechtzeitig klar geworden wäre; die Revolution ist erst einmal abgeblasen.

Offenbar hat der erfahrene Theaterleiter, zuletzt in Basel erfolgreich tätig, die Berliner Verhältnisse falsch eingeschätzt. Er wirkte zögerlich. Unerklärlich, warum er sein Papier so lange zurückhielt. Eine frühere Veröffentlichung hätte ihm und der Sache geholfen. Rücktrittsgerüchte gab es bereits in der vergangenen Woche, als er im Tagesspiegel erklärte, seine „Geschäftsgrundlage“ sei „akut gefährdet.“ Wiederholt hat Wowereit öffentliche Kritik an Schindhelm geäußert. Der habe wissen müssen, so der Regierende, worauf er sich einlasse.

Dennoch lohnt der Blick in Schindhelms 35-seitiges Reformpapier, es ist nun sein Abschiedsgeschenk. Man findet darin Gründe und Hintergründe, die ihn zur Aufgabe veranlasst haben. Das ist vor allem die Frage nach der Rolle des Generaldirektors der Stiftung – eine bisher machtlose Position. Schindhelms Idee wäre gewesen, dass der Generaldirektor zusätzliche Kompetenzen erhält und die Aufgaben eines Geschäftsführenden Intendanten übernimmt – damit würde er die „wirtschaftliche Gesamtverantwortung“ für alle Betriebe tragen. Künstlerische Entscheidungen sollte der neue Opernsupermann weiterhin gemeinsam mit den Intendanten der drei Häuser treffen, er bekäme allerdings ein Vetorecht. Und das wäre nichts anderes als die Machtfülle eines Generalintendanten gewesen. Die Berliner Opernintendanten hätten sich bedankt. Schindhelm wäre damit kaum durchgekommen.

Und wohl auch nicht mit seinen finanziellen Forderungen. Die Zuschussabsenkung hätte von zwei auf vier Jahre, also bis 2011, gestreckt werden, die Einsparungen nicht 9,2 Millionen, sondern 7,6 Millionen Euro betragen sollen. Nicht mit Wowereit. Der Regierende besteht auf dem vom Senat beschlossenen Finanzplan. Schindhelm hat Recht. Da gab es tatsächlich keine Geschäftsgrundlage mehr. Aber das muss ihm bereits vor Monaten aufgegangen sein, so lange lag das ominöse Papier in seinem Giftschrank. Wowereit wiederum waren Schindhelms Überlegungen bekannt. Es war eine Hängepartie von der Art, dass der verliert, der zuerst wackelt: Schindhelm.

War seine Arbeit nur verlorene Zeit? Immerhin hat er eine Analyse der vertrackten Berliner Opernsituation vorgelegt. Das Werk besteht hauptsächlich aus Zahlen, Tabellen und Prognosen. Das mag in der Natur der Sache liegen. Auf den ersten Blick jedenfalls unterscheidet es sich nicht groß von Ulla Schmidts Gesundheitsreform. Die versteht nämlich auch keiner so richtig. Nur in einem einzigen Punkt äußert sich Michael Schindhelm inhaltlich-künstlerisch. Es betrifft, wie zu erwarten war, die Deutsche Oper an der Bismarckstraße.

Schindhelms trockene Diagnose: „Die Komische Oper mit ihrem Auftrag eines zeitgenössischen Regietheaters“ unterscheide sich durch ihr „spezifisch anderes Profil“ von den beiden größeren Häusern. Diese verfügten über „sehr ähnliche Soll-Profile“: „Mit ihrem Auftrag, großstädtische Repertoireoper zu machen ... gehören sie zur Champions League der großen deutschsprachigen Opernhäuser.“ Die Haushaltsnotlage der Stadt gebiete hier allerdings „mehr Diversifikation“, die Programme und Profile der Häuser müssten stärker voneinander getrennt werden. Alles bekannt.

Dann allerdings lässt Schindhelm die Katze aus dem Sack: Die Deutsche Oper sollte zu einem „Semi-Stagione-Betrieb“ umfunktioniert werden, „wie er überall in den Metropolen außerhalb des deutschsprachigen Raumes (z.B. London, Paris, Brüssel, Barcelona, etc.) an der Tagesordnung ist.“ Stagione bedeutet das Gegenteil von traditionellem Repertoiretheater: Es wird in Blöcken gespielt, was den technischen Aufwand naturgemäß reduziert. Konkret stellte Schindhelm sich das folgendermaßen vor: „Anstelle von 6 Premieren würde das Haus mit 13 Premieren aufwarten. Im Konzept wird davon ausgegangen, dass die Deutsche Oper Berlin original in Berlin zwei Inszenierungen herstellt, die dann von jeweils zwei anderen internationalen Opernhäusern übernommen werden, und im Gegenzug vier Inszenierungen mit jeweils zwei Opernhäusern koproduziert.“

Schindhelms Berliner Stagione ist vorüber. Aber das bedeutet keineswegs Entwarnung für die Deutsche Oper und die gesamte Opernszene. Wowereit steht im Wort: Es gibt keine Schließung. Wie es hier weitergeht, kann Schindhelm jetzt aus der Ferne betrachten. Er hat ein Haus in Italien. Und er dreht gern Filme in der asiatischen Steppe.

Christine Lemke-Matwey, Rüdiger Schaper

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