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Kultur: Abgehangene Avantgarde

Festivals gibt es wie Sand am Meer, schließlich hat die Musikschwemme längst ein Stadium erreicht, das einer Springflut ähnelt.So gibt es für alle musikalischen Sparten Festivals, auch im Bereich der Avantgarde.

Festivals gibt es wie Sand am Meer, schließlich hat die Musikschwemme längst ein Stadium erreicht, das einer Springflut ähnelt.So gibt es für alle musikalischen Sparten Festivals, auch im Bereich der Avantgarde.Zu allem Überfluß gibt es jetzt auch das Festival "Berlin atonal" wieder, das von 1982 bis 1990 unter der Ägide des späteren Tresor-Chefs Dimitri Hegemann für die krachige Undergroundkultur in Deutschland eine wichtige Rolle gespielt hat.

Getragen von der Idee, Aktivisten der ersten Stunde wie die "Einstürzenden Neubauten" mit jungem Techno-Nachwuchs zusammenzubringen, haben die Veranstalter ein mutiges, offenes, möglicherweise etwas breit geratenes Programm zusammengestellt.Es ist ein Alt-82er, der am Freitag in der großen Halle der Arena den Anfang macht: "Und jetzt ein Sägezahnton, wie von Stockhausen abgenudelt, und dann ein Sinuston, wie er auf diesem Festival nicht fehlen darf, und nun ein ganz schlimmer Ton und dann wieder ein sehr schöner Tön", hält er ironisch eine didaktische Einführung in die Welt der tonalen Abenteuer, singt lakonisch und danebenher von der Jagd auf den Walfisch und "Marmor, Stein und Eisen bricht" - Frieder Butzmann, der einzigartige Unterhalter, ergreifend und lustig.Allein sein Auftritt hat das Kommen gelohnt.Schade nur, daß sich nur etwa 30 Leute in der riesigen Halle verlaufen und so der Arena einen echten Durchgangslager-Charme verleihen.

So ungerecht kann Volkes Wille sein: Tags drauf stehen sie Schlange auf dem Klo, warten geduldig auf die "Neubauten" und hören sich an, wie Bob Rutmann mit seinem quietschfidelen Styroporkratzer-Orchester den Abend eröffnet, dem eigentlich noch "Alboth!" aus Österreich hätte folgen sollen, doch: "Da der Veranstalter die technischen Voraussetzungen nicht bereitstellen konnte, ist es uns leider nicht möglich, heute aufzutreten.Viel Spaß mit den Neubauten!".

Vor der Bühne tummelt sich die Meute, die Blicke in Verzückung nach oben gerichtet, die Ekstase und "Neubauten" erwartend, die schließlich schwer umjubelt auf die Bretter treten, personifiziert durch Blixa Bargeld, der gleich seinen komischen Hut beiseite legt.Neben Bargeld bestehen die Neubauten noch aus Alex Hake, der ganz unaufdringlich die Sonderstellung des "Unentbehrlichen" eingenommen hat und mit seinem Baßprügel den Momenten des Zuschlagens in der Musik verläßlich zur Seite steht, sowie Andrew Unruh, dem allein schon für seine selbstgebauten Klangmaschienen alle Achtung gebührt und der heute unter anderem die blaue Chemie-Abfall-Tonne bedient.Ergänzt wird das Trio von einem bayrischen Trommler, einem australischen Tastendrücker und Jochen Arbeit von "Die Haut" an der Gitarre.Gemeinsam schaffen die Musiker eine variable Kulisse und sprühendes Bühnenbild zur abgehangenen Präsenz von Bargeld, der mit souveräner Eleganz seine Knittelverse aufsagt, kreischt und krächzt und bereits nach dem dritten Stück heiser ist - schließlich war die Band gerade einen Monat in den USA auf Tournee -, während Stahlruten peitschen, Eisenplatten scheppern und die Gitarren jaulen, bis die Einflüsse der Neubauten von "Ton, Steine, Scherben" bis "Duran Duran" gut hörbar werden.

Nicht immer kann jedoch die notwendige Härte durchgehalten werden.Manchmal gewinnt man den Eindruck, die Unmittelbarkeit früherer Konzerte sei einer Berechnung gewichen, wie Musik zu klingen hat, die ein Publikum hören will, das aus Leuten besteht, die nur allzu gerne etwas Avantgarde mitnehmen, wenn es nicht zu anstrengend ist.Der alte Anspruch des Festivals, mit alten Hörgewohnheiten aufzuräumen, wurde da schon eher von "Techno Animal" erfüllt, die am Vortag wuchtige Breakbeats und vom Wahnsinn gezeichnete Samples zu einen or- giastischen Industrial-Dub verdichteten, den man in dieser Lautstärke nur noch als hypnotischen Wumms wahrnehmen konnte.Schade, daß ihr nicht dabei wart.

VOLKER LÜKE

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