zum Hauptinhalt
Elly

© Berlinale

''About Elly'': Alles Lüge

Im Wettbewerbsfilm „About Elly“ fahren ein paar Freunde ans Meer – und nach drei Tagen ist nichts mehr, wie es war.

Der „Kommentar des Regisseurs“ im bescheidenen Presseoktavheftchen mag zwar etwas umständlich ins Deutsche übertragen sein, an inhaltlicher Wucht aber lässt er nichts zu wünschen übrig. „Da die Zuschauer heutzutage an Reife gewonnen haben, kann sich ein Regisseur nicht mehr damit begnügen, ihnen durch seinen Film eine Zusammensetzung von vorgefassten Meinungen aufzuzwingen. Sein Film, anstatt ein Gedankensystem einzuprägen, soll einen Raum anbahnen, in dem der Zuschauer sich in einen eigenen Überlegungsgang engagiert und vom Konsumenten zum Gedankenschöpfer entwickelt.“ Und, als sei das nicht schon grundsätzlich genug: „Dieser Weg ist der einzige, den der heutige Film einschlagen kann.“

Das Dogma der Offenheit, das der Regisseur Asghar Farhadi hier formuliert, sei so manchen Kollegen des soeben gestarteten Berlinale-Wettbewerbs ans Herz gelegt, die ihre Überzeugungen mit geradezu erstickender Überdeutlichkeit in die Bilder und Dialoge ihrer filmischen Beiträge zur Weltverbesserung tragen. Auch „About Elly“, der vierte Spielfilm des 36-jährigen Iraners, verhandelt die gewaltigen Themen Wahrheit und Lüge, Schuld und Scham, die in anderem Maßstab und in anderer Zusammensetzung etwa „The International“, „Der Vorleser“ und auch „Sturm“ prägen, geht dabei aber viel freier vor. Am Anfang steht nicht ein Konzept von Politik oder Gesellschaft, dem die Story auf der Leinwand dann nur augenfällig folgen kann, sondern das Konzept entsteht aus dem Geschehen selbst: aus einer Vielzahl individueller Perspektiven, die sich in der Vielzahl der Zuschauerwahrnehmungen spiegelt. Und schon vibriert die Membran unserer Verständigungslust.

„About Elly“ hebt fast an wie Farhadis letzter Film „Fireworks Wednesday“: unterwegs, jung, überschäumend vital. Ein paar Paare mit Kindern sind in ihren Autos auf dem Weg zum Kaspischen Meer, und schon im erstbesten Tunnel grölen die jungen Frauen, die den schicken weißen Tschador schon mal mit einem supermodischen Basecap aufmotzen, aus dem Fenster, dass es eine wahre Lebensfreude ist. Ein Urlaubsfilm offenbar, Zelte unter Bäumen, großfamiliäre Picknicks neben dem Station Wagon oder dem gepflegten knallroten BMW, Sonne und Meer. Nein, der Iran, das scheinen uns diese Bilder zu sagen, ist nicht nur Düsterschlagzeile, Erdöl, Ahmadinedschad, dumpfer islamischer Fundamentalismus, der zudem im Kino als geografische Entsprechung offenbar nur die immerselben kargen Bergwüsten zulässt. Nein, hier ist Moderne, nur anderswo.

Bald aber düstert sich das ein – und wie unmerklich der Film seine eigene Entfärbung betreibt, von den ersten spontanen Tanzszenen im schrottigen Ferienhaus am Strand in das ruhelose Fürsichsein der Figuren, vom frohen Durcheinanderreden in die wuchernde Stille, vom Bunten ins Gewitterblaugraue, das ist ein erster Aufmerksamkeitsgenuss für sich. In der minimalistischen Geschichte findet der Wechsel seine äußerst beiläufige Entsprechung. Zu den drei Paaren sind zwei Einzelne hinzugekommen: der Ex-Kommilitone Ahmad (Shahab Hosseini), der nach dem Scheitern seiner Ehe mit einer Deutschen in der alten Heimat Kurzurlaub macht, und die Erzieherin Elly (Taraneh Alidousti) einer der kleinen Töchter, die sich in diesen drei Tagen, wie es scheint, ein bisschen um die Kinder kümmern soll.

Dass hier jedoch eher minder behutsam eine Intrige zum Guten angebandelt werden soll, wird schon früh klar: Könnten Ahmad und Elly, die beiden einsamen Seelen, nicht füreinander geschaffen sein? Es ist die schöne Sepideh (Golshifteh Farahani), die offenbar ohne das Wissen der anderen Elly mitgebracht hat, doch kaum kommt die Kuppelei mit allerlei konspirativem Gekicher in Gang, passiert am zweiten Tag der fürsorglichen Geiselnahme das Drama: Ein Kind ertrinkt fast, weil Elly am Strand offenbar nicht aufmerksam genug war, und kaum wird es in einer großartig gefilmten Szene gerettet, ist wiederum Elly verschwunden. Abgereist ohne ein Wort oder womöglich selber ertrunken?

Die Antwort, die die plötzlich panische Gesellschaft befreundeter Familien fortan sucht und schließlich findet, sei hier nicht wiedergegeben. Auch nicht die zahlreichen überraschenden Details, die die unmittelbare und längere Vorgeschichte von Ellys Verschwinden hochspannend in immer wieder neues Licht rücken. Nur, dass da eine scheinbar so offene Gruppe unter dem Druck der Ereignisse zunehmend verzweifelt an einem immer irrwitzigeren, neue Ausflüchte erfordernden Lügengespinst herumbastelt, bis am Ende doch die Wahrheit herauskommen muss. Oder: eine Wahrheit. Und sogar die, kunstvollste Steigerung im Drehbuch, kleidet sich ausgerechnet ins Gewand einer Lüge.

Fast wie ein früher Dogma-Film, so schmucklos energisch verfolgt er sein Drama, kommt „About Elly“ daher, und gerade so düster geht er aus. Modern ist diese Gesellschaft nur zum Schein. Und wir, die wir uns so cool durch unsere Leben lügen: Wie viel moderner sind wir?

8. 2., 9. 30 Uhr (Friedrichstadtpalast) und 20 Uhr (Urania); 15. Februar, 20 Uhr (Urania)

Modern ist diese Gesellschaft nur zum Schein. Die Wahrheit kleidet sich in Ausflüchte

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false