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"Abreißkalender 2007": Bausünden für den Hausmüll

So viel Geschmacklosigkeit war noch nie: Die Bauhistorikerin Turit Fröbe hat für ihren Kalender die schönsten Schandflecke Deutschlands fotografiert. Die kann nun jeder abreißen - zu Hause, mit Genuss und dem Gefühl, eine gute Tat vollbracht zu haben.

Überraschungseier, Gartenzwerge, Goldmedaillen: Dass insbesondere der Deutsche leidenschaftlich sammelt, ist hinlänglich bekannt. Dem Kabinett der Kuriositäten hat die Bauhistorikerin Turit Fröbe nun ein weiteres Kapitel hinzugefügt - und auch hier mag der eine oder andere den Kopf schütteln über so viel Sammelleidenschaft.

Vier Jahre lang ist Fröbe, die an der Berliner Universität der Künste Baugeschichte unterrichtet, mit dem Fahrrad durch deutsche Städte gefahren; immer mit der Kamera im Anschlag und immer auf der Suche nach den schlafenden Scheußlichkeiten zwischen Niederlausitz und Ostwestfalen. Der Fundus nach jahrelanger Sammelei ist überwältigend: Wohnsilos in Halle, Einfamilienplatte in Detmold, ein Wellblech-Aldi in Cuxhaven, der aber genauso gut in Schweinfurt oder Weißwasser stehen könnte. Besonders beliebt außerdem: Karstadt und Kaufhof in westdeutschen Fußgängerzonen, heruntergekommene Parkhäuser, in denen Autos wie Schmuck aussehen, fliesenverkleidete Wohnbauten in Köln und ambitionierte Gehwegskulpturen in Bielefeld. Kurz: Mit einem fast perversen Blick fürs Hässliche hat Turit Fröbe alles abgelichtet, was in keinem Hochglanzprospekt der Provinz-Stadtverwaltungen jemals vorkommt. Besonders abgesehen hat es die Sammlerin auf Bausünden der 60er, 70er und 80er Jahre, aber dem geübten Auge der Kulturhistorikerin entgehen auch andere Beispiele städtebaulichen Versagens nicht.

Der Hamburger Carlsen-Verlag hat Fröbes gesammelte Scheußlichkeiten nun in einem Abreißkalender aufgelegt - oder besser gesagt: eine ausgesuchte Kollektion von 365 Schandflecken für das Jahr 2007, von denen der Käufer jeden Tag eine weitere genüsslich im Hausmüll entsorgen kann. Blatt für Blatt wird so eine weitere Geschmacklosigkeit abgerissen, auf dass Deutschland wenigstens in den eigenen vier Wänden ein Stück schöner werden möge.

Sonntags immer Kirchen

Den ersten Abreißkalender mit wirklich abreißwürdigen Objekten habe sie geschaffen, sagt Fröbe lächelnd, und fügt hinzu, dass sie nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit einem Schmunzeln verstanden werden wolle. Ein persönliches Ranking der Hässlichkeit habe sie im übrigen nicht. Zwar entdeckte sie in Bielefeld gleich fünfzig scheußliche Motive, Süddeutschland ist in ihrer Sammlung aber deutlich unterrepräsentiert. Das mag vor allem daran liegen, dass die Autorin offenkundig vor allem in Mitteldeutschland unterwegs war. Überraschend dabei: Wer die Bilder betrachtet, kann meist nicht unterscheiden, ob es sich um West- oder Ost-Architektur handelt. Spezifisch westdeutsch erscheint lediglich die Fußgängerzone, im Osten überwiegen Plattenbauten. So lässt das Konvolut der Schandflecke glücklicherweise auch keinen kulturpessimistischen Unterton erkennen. Die Betonwelten entwickeln vielmehr eine Eigendynamik des Scheußlichen, der sich selbst der eingefleischte Kulturpessimist schwer entziehen kann. Statt der Abrissbirne wird so die Faszination Hässlichkeit plausibel erklärt, und vielleicht werden demnächst findige ostdeutsche Städte auf den Zug aufspringen und Architekturpilger mit der "Straße der Platte" oder den fünf hässlichsten Bauten der DDR in ihre tristen Vorstädte holen.

Nicht ganz zufrieden mit der Abreißparole scheint auch Autorin Fröbe zu sein, die bekennt, dass bei einigen ihrer "Lieblingsbausünden" bereits die ersten Verluste zu beklagen sind. "Aber wer weiß, durch welche Scheußlichkeiten sie gerade ersetzt werden?", fragt sie augenzwinkernd. (Jörg Vogler)

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