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Ausdauerwunder. Peter Brötzmann 2014 in Portugal.

© picture alliance / dpa

Abschlusskonzert Festival A L’Arme: Blas dich um den Verstand

Der Saxofonist Peter Brötzmann und die Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh beim Berliner Festival A L’Arme.

Am Ende der Suche nach neuen Klangabenteuern bleibt vielleicht nur noch die Reife der Alten. Folgerichtig hat man zum Abschluss des A-L’Arme-Festivals mit Peter Brötzmann einen Musiker eingeladen, der sich im Stadium der Vollreife befindet. Sogar Bill Clinton ist ein Fan des legendären Saxofon-Berserkers aus Wuppertal, der in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden ist. Für seinen Auftritt im Radialsystem hat er sich mit Heather Leigh eine junge Frau geholt, die mit der Pedal-Steel-Gitarre ein Instrument der Country-&-Western-Kultur für die improvisierte Musik entdeckt hat. Eine mögliche Irritation für alle, die glauben schon alles von Brötzmann zu kennen.

Leigh ist eine furchtlose Musikerin, die sich schon mit Lärm-Ästheten wie Thurston Moore oder Chris Corsano zum Dialog getroffen hat. Die Frau aus West Virginia, die schon länger in Glasgow lebt, weiß nicht nur, wie man die Pedal-Steel-Gitarre als meditativen Klangkörper nutzt, sondern auch, wie man Klangstürme entfesselt, die sich anhören wie der Höllenritt eines Metallungetüms.

Beim Auftritt mit Brötzmann ist sie nicht nur schön anzuhören, sondern auch schön anzuschauen: Wie sie mit knallroten Fingernägeln an den Saiten zerrt, um den älteren Herrn mit grauem Vollbart zu umbrummeln, der es eigentlich gar nicht mehr nötig hat, die Bühne mit seinem Free-Jazz-Geknatter zu erobern. Das Tolle aber ist: Er tut es trotzdem. Und wie! Brötzmann holt tief Luft, bläst die Backen auf und spielt ekstatisch. Mit zugekniffenen Augen erzeugt er einen schönen Kontrast zum wundervoll eiernden Pedal-Steel-Geheule, das immer wieder Raum schafft, in dem sich Brötzmann mit tieflagiger Sanftheit auch schon mal ganz am Rande der Stille bewegt, knietief im Blues versinkt und das Publikum mit einigen unverschämt schönen Melodielinien beruhigt, bevor er wieder Alarm schlägt und mit der Bassklarinette oder dem Tenorsaxofon lüstern wilde Glissandi in die Luft schraubt.

Brachialgebläse gegen Highspeed-Läufe

Dabei lässt sich Leigh keineswegs vom Brachialgebläse des Alten überwältigen, wenn sie mit Highspeed-Läufen Fahrt gewinnt, wobei die Akkordschläge mit viel Pedaltechnik moduliert werden. Wie summende Telegrafendrähte schwirren die Klänge ihrer Pedal Steel durch den Saal, hängen in der Luft und warten auf Durchzug. Mal zirpt sie wie der Sommerwind, um im nächsten Moment ein kleines Unwetter loszutreten, bei dem auch die überschäumende Kraft und Rustikalität von Brötzmann ihre Wirkung entfaltet. Von seinen zirkular beatmeten Repetitionen und Fabulierungskünsten geht nach wie vor eine fast rituelle Faszination aus. Da steht er, erschöpft wie ein Bulle, der gerade eine ganze Herde bestiegen hat, aber sich das Hirn immer weiter rausbläst und eine Energie freisetzt, die das Donnerwetter als glücklichen Zustand und äußerste Form musikalischer Befreiung feiert. Ein Ereignis, das nicht nur zu mitreißenden Diskussionen über den Klangreichtum der Pedal-Steel-Gitarre und die Folgen gewisser Brötzlaute führt, sondern auch die Bedeutung dieses Festivals unterstreicht.

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