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Kultur: Absichten eines Clowns

Reporter, Spaßmacher, Moralist: Billy Wilder, dem großen Regisseur, zum 100. Geburtstag / Von Volker Schlöndorff

„Langweilen wir Sie?“, fragt Billy Wilder seine Sonntagsgäste, während er ein paar Worte mit Marlene Dietrich wechselt. Die Unterhaltung ist laut, jeder kann sie hören: Dein Geigenlehrer, kam der vor oder nach dem alternden Schauspieler? – Vorher, aber dazwischen war eine Frau … – Fritzi Massari? – Ich glaube, ja. – Ich werde deine Affären nie auf die Reihe kriegen, sagt Billy Wilder. Und dann zu den Gästen: Langweilen wir Sie?

Jahrelang wohnte Marlene Dietrich bei Wilders im Gartenhaus, und sie inszenierten solche practical jokes, um die Erwartungen der Freunde zu bestätigen. Oberstes Gebot: niemanden langweilen! Weder vor noch hinter der Kamera, weder im Saal noch am Telefon noch im Restaurant. Billy Wilder am Set, ein zerknautschtes Hütchen auf dem Kopf, ruhelos, witzige Bemerkungen verteilend, ein Alleinunterhalter – so habe ich ihn bei den Dreharbeiten zu „Fedora“ kennen gelernt.

Er legt eine performance hin, spielt jugendlichen Charme, französisch für Marthe Keller, berlinerisch für Hildegard Knef, brooklyn für William Holden. Er spielt nie eine Szene vor, er deutet lieber ironisch an, was er sich vorstellt. Nur wenn er kurz zum schweigsamen Drehbuchautor in der Ecke geht, unterbricht er die One-Man-Show und vergewissert sich bei Iz (Isador), dass er den Faden nicht verloren hat.

Ohne den pingeligen Dreh-Buchhalter I.A. Diamond am Set könnte Billy Wilder nicht den Clown spielen. Denn Komödien, sagt er, sind wie Schweizer Uhrwerke. Ein Rädchen greift ins andere, die straight line muss vor der schnellen Pointe kommen, danach kurze Pause für den Lacher und sofort noch eine Pointe drauf, damit die Lacher sich steigern und nie abbrechen. Sporadische Lacher sind das Schlimmste, nur Lachsalven erschüttern das Publikum.

Abends kocht Audrey, seine Frau seit nunmehr über 50 Jahren, chinesisch – egal, ob sie gerade in Paris, Beverly Hills oder Schwabing sind. Dabei unterhält er sie mit Erzählungen vom Tage. The show never stops, außer bei Sportübertragungen – und auch da ist er noch am Telefon mit Walter Matthau oder seinem Bookie, um Wetten abzuschließen. Jeden Ernst pariert er mit einem Witz. Das hat ihm den Ruf eingetragen, ein Zyniker zu sein. Für ihn war das aber eine Frage der Würde. Was wirklich ernst ist, behält man für sich. Seine Moral verkauft er nur in Schokolade verpackt.

„Nobody is perfect“ – der Schlusssatz von „Some Like It Hot“ ist ein geflügeltes Wort geworden, der Billy Wilders Weltanschauung auf den Punkt bringt. Sein Film allerdings ist perfect. Diese Marilyn Monroe, die einfach nicht versteht, warum alle ihren Busen so anstarren, ist ebenso liebevoll und zärtlich gezeichnet wie Fran Kubelik (Shirley MacLaine) in „The Apartment“. Lächerlich ist nicht die Blondine, lächerlich sind die Männer, die sie anmachen. Dabei hatte der Regisseur seine liebe Mühe mit ihr. Arthur Miller warf Wilder vor, für den Nervenzusammenbruch seiner Frau verantwortlich zu sein. Wilder erwiderte, er sei als Regisseur und nicht als Krankenpfleger engagiert. Dann kam es zu einer Fehlgeburt. „Ich konnte ja nicht wissen, dass sie schwanger war“, entschuldigt sich Wilder Jahre später im Gespräch.

Eigenartigerweise bin ich mit beiden befreundet, kenne also beide Fassungen. „He was a bastard“, stellt Miller lakonisch fest. Worauf Wilder mich beim nächsten Besuch in Los Angeles fragt: „Wie hältst du es aus mit diesem Moralapostel?!“ Als ich sie kennen lerne, sind beide über siebzig und wenn nicht weise, so doch nicht mehr bissig. Wilder hatte „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ gesehen und schrieb mir einen begeisterten Brief. Stolz entwarf ich viele Antworten, schickte aber aus schierer Verlegenheit keine ab. Da kam ein Anruf von Paul Kohner: „Ich bin der Agent von Billy Wilder. Er hat Ihnen vor Monaten einen Fanbrief geschrieben und Sie haben es nicht für nötig gehalten, ihm zu antworten ... Herr Wilder ist in München, im Hotel Vier Jahreszeiten. Kommen Sie her und entschuldigen Sie sich!“ Das tat ich und beobachtete ihn dann, so oft wie möglich, beim Drehen von „Fedora“. So quirlig wie diesen Siebzigjährigen hatte ich seit der nouvelle vague in Paris niemanden mehr am Set erlebt. Von dieser Freude am Machen weiß ich heute, dass sie mit dem Alter zunimmt. Meine Hoffnung ist es, einmal seine scheinbar unbekümmerte Leichtigkeit zu erreichen.

Schon als ich noch Alain Resnais’ Assistent war und Delphine Seyrig heimlich anbetete, schlich ich in etwas so Altmodisches wie „The Apartment“, um mich immer wieder von einer Lieblingsszene hinreißen zu lassen. Das Fahrstuhlgirl, Shirley MacLaine, sitzt mit ihrem verheirateten Liebhaber und Boss auf einer Silvesterparty. Das Licht geht aus – und ihr geht ein Licht auf: Eigentlich liebt sie den verschnupften Angestellten Jack Lemmon. Als das Licht wieder angeht, ist ihr Stuhl leer. Sie rennt zu Lemmons Apartment, ein Schuss, sie erstarrt: Er hat sich umgebracht! Sie trommelt an die Tür, er macht auf – eine Sektflasche in der Hand.

„The Apartment“: In Hollywood gedreht, spielt der Film in einem imaginären Manhattan, das auch ein erinnertes Berlin sein könnte. Die Idee einer Großstadt und ihrer Bewohner: „Menschen am Sonntag“ hieß eins seiner ersten Drehbücher, von Robert Siodmak als Stummfilm in Berlin gedreht. Wilder kennt die Berliner Fräuleins, schließlich hat er, mit Anfang zwanzig, ein paar Jahre für die „BZ“ als Reporter gearbeitet, sich sogar als Gigolo auf Tanzböden eingeschlichen, um darüber zu berichten. Aus den Erlebnissen der knapp zehn Berliner Jahre bis 1933 speist er seine Filme noch nach Jahrzehnten. „Nicht wie Hitchcock immer den gleichen Film machen“, sagte er, „sondern jedes Mal etwas anderes.“

1945 entsteht „Die Todesmühlen“, eine Dokumentation über Bergen-Belsen und andere Lager, in denen auch seine Familie umgekommen ist. Die Deutschen wollten den eindringlichen, zu ihrer re-education gedrehten Film, nicht sehen. Wilder schlägt dem zuständigen General eine Publikumsbefragung vor. Zettel und Bleistifte werden bereitgelegt. „Am Schluss war niemand mehr im Saal“, erzählt er: „Alle Bleistifte gestohlen.“

Der Regisseur ironisiert die Umerziehungsversuche bald mit Marlene Dietrich in „A Foreign Affair“. „Nur du konntest mir einreden, eine solche Rolle zu spielen“, sagt Marlene zu Billy. Und er über sie: „Sie war gescheit, geschickt und praktisch. Keine große Schauspielerin, nein, ein Ereignis.“ Und weil sie keine Ikone war wie die Monroe, wurde sie Wilders beste Freundin. „She was a Mensch“, fasst er lakonisch zusammen, „und hat mehr Zeit an der Front verbracht als Eisenhower.“ Das dürfte sie am meisten verbunden haben: Beide wurden aus demokratischer Überzeugung Amerikaner. Mit diesem Pass in der Hand klagen sie ein besseres Deutschland ein – die eine als Vamp verkleidet, der andere als Clown.

Der lakonische Yankee wurde Wilders Alter Ego, ideal verkörpert von Gary Cooper und William Holden. In dieser ersten Zeit begeistert er sich für die USA. Erst als nach dem Krieg die Selbstzufriedenheit und die Bigotterie der McCarthy-Jahre überhand nehmen, wird er bissig („Sunset Boulevard“), greift die Presse an („Ace In The Hole“), das Kalte-Kriegs-Getue („One, Two, Three“) und haut die Spießer in die Pfanne („The Seventh Year Itch“, „Kiss Me, Stupid“). Seine Helden sind jetzt Jack Lemmon und Walter Matthau.

Den meisten Amerikanern, allen voran den religiösen Moralwächtern, den Frauenverbänden und dem neureichen kalifornischen Establishment ging das zu weit. Doch Wilder gab nie nach. Während sein Vorbild Ernst Lubitsch auch in Amerika nur Filme drehte, die in Europa spielten, mischt er sich ein, hat oft unbequeme politische Überzeugungen, stiftet für Krankenhäuser und macht selber ein Restaurant auf. Es heißt Bistro und als es ihm dort nach ein paar Jahren langweilig wird, steigt er bei Puck ein, der bald mit seiner österreichischen nouvelle cuisine im Spago den In-Treff kreiert.

„Hier war ja nichts als Wüste“, deutet er aus dem Fenster am Rodeo Drive. „Es ist nicht New York oder Berlin, aber im Vergleich zu früher ...“ Da spricht ein stolzer citizen. „Alles in allem ist es doch das verdammt anständigste Land, das es gibt“ – was Spott über Reagan und Bush nicht ausschließt. Dagegen ermutigt er den iranischen Espressoverkäufer ebenso wie den armenischen Kunsthändler.

Kunst ist neben Film, noch vor Sport und Politik, seine große Leidenschaft. Seine Wohnung: voll gehängt wie ein Museum, auch in Fluren und Garderoben standen die Bilder noch am Boden herum. „Aber warum sind sie nur von der Rückseite zu sehen?“, fragte ich ihn. „Schau“, sagte er und drehte ein paar Bilder um – Akte von Egon Schiele bei lesbischen Spielen – „was sollen denn meine philippinischen Hausangestellten von mir denken?“

Sieht man den Einfluss der Malerei in seinen Filmen? Sicher nicht. In kritischer Augenhöhe betrachtet er die Welt – und gerade deswegen ist er auf eigene Art ein Klassiker. Mit seinen Mitteln geht er so sparsam, so leicht, so unerbittlich um wie die von ihm bewunderten Maler mit den ihren. Und das alles, um uns – you wonderful people out there in the dark – nicht mit seinen Wahrheiten zu langweilen.

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