zum Hauptinhalt
Kings of Cool. Englische Teddy Boys auf einer Tanzveranstaltung in den fünfziger Jahren.

© picture-alliance / United Archiv

Absolute Beginners: Aufbruch ins Jetzt

Klassiker der Popliteratur: Colin MacInnes 1959 veröffentlichter Roman „Absolute Beginners“ ist neu übersetzt worden.

Coolness war schon immer eine Sache der feinen Unterschiede. Dabei geht es erst einmal um Äußerlichkeiten, das richtige Hemd, die richtigen Schuhe. In Colin MacInnes Roman „Absolute Beginners“ trägt der Ich-Erzähler, ein 18- oder 19-jähriger Rumtreiber im London der späten fünfziger Jahre, Klamotten, die sein ein paar Jahre älterer Halbbruder schockierend findet. „Ich trug exakt die volle Teenager-Montur, die ihn immer rasend machte“, freut er sich und fängt an, aufzuzählen: „die grauen spitzen Slipper aus Krokodilleder, das Paar neonpinker, knöchelhoher Nylonsocken, meine Cambridge-blaue enganliegende Jeans, ein vertikal-gestreiftes Hemd, aus dem die Kette mit meinem Glücksanhänger herausblitzte, und das italienisch geschnittene, arschkurze Sakko. Von meinem spartanischen Krieger-Haarschnitt gar nicht zu reden, von dem alle glauben, dass er mich 17 Schilling 6 Pence in der Gerrard Street in Soho kostet, tatsächlich mache ich ihn mir selbst, mit einer Nagelschere.“

Dieser jugendliche Erzähler hat keinen Namen, er braucht auch keinen, weil er eher für einen Typus als für ein Individuum steht: den Teenager. Der Teenager ist ein Produkt der Nachkriegszeit, mit dem 1959 herausgekommenen Roman betritt er erstmals die literarische Bühne. Sein Auftritt markiert einen Kulturbruch. Bis dahin, schreibt MacInnes, war ein Jugendlicher „bloß ein zu groß gewachsener Junge oder ein zu klein geratener Mann, das Leben scheint nicht auf irgendwas dazwischen ausgerichtet gewesen zu sein“. Der Teenager weiß vor allem, was er nicht will. Politik und „der ganze Klassenscheiß“ interessieren ihn nicht, Geschichten vom Krieg kann er nicht mehr hören und niemals möchte er so werden wie sein Halbbruder, seine Eltern und die anderen Erwachsenen, die er spöttisch „Oldies“ nennt. Der Teenager lässt sich nicht vertrösten, er will das Leben jetzt genießen.

„Absolute Beginners“ gilt längst als ein Klassiker der Pop-Literatur. Als 1986 eine eher misslungene, musicalartige Verfilmung mit David Bowie und Ray Davies ins Kino kam, war auch eine erste deutsche Buchausgabe erschienen. Dass nun eine neue, erstmals vollständige Übersetzung herauskommt, ist ein Glücksfall. Denn diese Übersetzung trifft den Tonfall der Vorlage, die Verspieltheit ihrer Prosa, einen zwischen Saloppheit, Slang und Sprachwitz schwebenden Sound. Die Normalsterblichen werden gerne als „Schleicher“ tituliert, Jugendliche als „Kiddos“. Das Empire befindet sich im Niedergang, aber für die Teenager brechen großartige Zeiten an. Sie haben „zum ersten Mal seit Anbeginn der Zeit“ Geld, „etwas, das uns bis dahin immer genau dann im Leben versagt geblieben ist, wenn es am nützlichsten ist, nämlich wenn man jung und stark ist“.

Der Held schlägt sich als freischaffender Fotograf durch, träumt von einer Ausstellung und lebt in einem heruntergekommenen Ein-Zimmer-Apartment in Notting Hill. Das ist noch nicht das Luxusquartier von heute, sondern „das Obdachlosenheim unserer Stadt“, bevölkert von frisch aus dem Knast entlassenen Kriminellen, Flüchtlingen, Angehörigen nationaler Minderheiten und Huren außer Dienst. Für den Helden ist es ein Paradies, ein Umfeld, in dem er das Gefühl hat, frei zu sein. „Keiner, ich wiederhole, keiner hat mich hier je gefragt, was ich bin oder was ich tue oder wo ich herkomme.“

Das Zeitalter von Beat und Pop hat noch nicht begonnen, doch es tun sich bereits erste Risse auf zwischen den Jugendlichen. Es gibt die eher proletarische Kultur der Teds mit ihren Lederjacken und Pomadefrisuren, und es gibt das snobistischere, eher intellektuelle Lager der Jazzfans. So lautet die entscheidende Frage: which side are you on? Der Held verachtet Elvis und vergöttert Billie Holiday. Jazz empfindet er als einen vom Himmel gefallenen, göttlichen Sound: „Jazz ist etwas, das einem wie nur wenige Dinge das Gefühl gibt, auf dieser Welt hier wirklich zu Hause zu sein, als sei’s dann doch eine erträgliche Vorstellung, als menschliches Tier auf die Welt gekommen zu sein.“

„I am a camera“, hat Christopher Isherwood verkündet. Der Satz gilt auch für Colin MacInnes, der Malerei studierte, für die BBC und den britischen Geheimdienst arbeitete und nach dem Krieg anfing Romane zu schreiben. Ihm geht es, ähnlich wie dem zehn Jahre älteren Isherwood, um das Aufzeichnen der Gegenwart. „Das Leben ist der beste Film“, heißt es einmal. Der Erzählzeitraum von „Absolute Beginners“ spannt sich über vier Monate. Vordergründig passiert erst einmal wenig. Der Held trauert einer Exgeliebten hinterher, die sich verlobt hat, er besucht Bars, Kneipen, Clubs, bekommt eine Vespa geschenkt und unternimmt einen Ausflug auf der Themse mit seinem Vater. Aber es liegt Aufruhr in der Luft, das schwer zu fassende Gefühl einer Bedrohung. Am Ende stirbt der Vater und es brechen bürgerkriegsartige Unruhen aus.

Der Mob macht Jagd auf Schwarze, Molotow-Cocktails explodieren in Tanzlokalen. Und der Erzähler, der bis dahin immer nur zugeschaut hat, greift ein, schlägt sich auf die Seite der Verfolgten, wird als „Negerfreund“ beschimpft und verprügelt. Als „Notting Hill Riots“ sind die Kämpfe in die Geschichte eingegangen. Von der Euphorie der Teenage-Revolution ist am Ende von „Absolute Beginners“ nicht mehr viel übrig geblieben.

Colin MacInnes: Absolute Beginners. Roman. Aus dem Englischen von Maria und Christian Seidl, Metrolit Verlag, Berlin 2013. 320 S., 19,99 €

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false