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Kultur: Abtreten bitte!

Leerer Raum, voller Protest: zum Auftakt der letzten Frankfurter Forsythe-Saison

Die Lage ist so verzweifelt wie lächerlich. Deshalb ist das Publikum schnell dabei, den wie immer absichtsvoll uneindeutigen Gesten in William Forsythes neuem Tanzabend Bedeutungen zu unterstellen. Die windmühlenartigen Armbewegungen etwa, zu denen Steve Galloway in „The room as it was“ ein aggressives „Ha“ ausstößt: Wollen sie die Vertreibung einer Weltklassekompanie aus Frankfurt abwehren?

In „Ricercar“ stehen drei achselzuckend da, während eine tanzt: ein Kommentar zur offensichtlichen Gleichgültigkeit der städtischen Kulturhüter? Und die letzte der vier Choreografien des Abends, das HipHop-jugendbewegte „One flat thing, reproduced“: die Androhung von Randale im Fall des Falles? Auch die spartanische Ausstattung – fast immer dominiert der leere Raum, die Musik ist sparsam, als Kostüme reichen ein paar Fetzen – ist bezeichnend: Seht her, wir sind ein so sparsames Theater, die 200000 Euro, um die es jetzt geht, müssen wir euch doch wohl wert sein?

Aber William Forsythe ist viel zu sehr Künstler, um die Kräche hinter den Kulissen auf die Bühne durchsickern zu lassen. Und so sind die bei dieser Premiere versammelte Uraufführung und die drei Stücke aus der jüngeren Vergangenheit am Ende doch allein nach künstlerischen Gesichtspunkten kombiniert: erst luftige Begegnungen im schnörkellosen, fast sportlichen „The room as it was“ , dann das kalifornisch anmutende StrandStück „Woolf Phrase I“, in dem Möwengeschrei und Hundegebell sich mit wellenartig anbrandender Musik zu einer romantischen Elegie verbinden, durchbrochen von zitatartig eingesetzten Ausbrüchen und Showmomenten.

David Morrows Musik zu „Ricercar“, der nur 17 Minuten langen Uraufführung, löst eine Variation aus Bachs „Musikalischem Opfer"“in eine brillant tröpfelnde, perlende, streng unhierarchische Klangfolge auf. Es ist einer der seltenen Fälle, bei denen Forsythe Tanz und Musik unmittelbar einleuchtend und virtuos synchronisiert: Diagonalen und Spiegelungen beherrschen die Bewegung der beiden Paare im diffus grauen Raum. Das letzte Stück schließlich, „One flat thing, reproduced“, ist eine atemberaubende Studie über die choreographische Beherrschbarkeit des Chaos, aggressiv tobende Körper über, unter und zwischen einer einzigen tänzerischen Selbstbehinderung in Gestalt zwanzig scharfkantiger Tische, die zu Beginn wie bedrohliche Flugobjekte über den Zuschauerraum hereinzubrechen scheinen.

Folgt tosender Applaus – sowie die Liebeserklärung ans Publikum („Danke für Ihre Unterstützung all die Jahre“. Und draußen vor der Tür, in beißender Kälte, der eigentliche Schlussappell: die Aufforderung an Frankfurts Oberbürgermeisterin, in jene Verhandlungen über den Sozialplan einzutreten, denen sich der Kulturdezernent angeblich fünfmal verweigert hat. 97 Leute betrifft die Schließung des Balletts an den Städtischen Bühnen, 50 davon werden arbeitslos. Dass man den Unkündbaren – wie Forsythes Prima Ballerina Dana Caspersen oder dem umtriebigen Antony Rizzi – Jobs im Betriebsbüro oder in der Regieassistenz angeboten hat, reiht sich nahtlos ein in die Liste der Peinlichkeiten, mit denen Frankfurts Kulturpolitiker ihre phobische Abneigung gegen jegliche Diplomatie dokumentieren. Und dazu ihre Ahnungslosigkeit in Sachen Künstlertemperament.

Bleibt die Hoffnung, dass bei ihnen doch irgendwo ein Fünkchen politischer Wille glimmt, eins der wenigen verbliebenen Zugpferde der Frankfurter Kultur festzuhalten. Möglich ist es ja, dass hinter den Kulissen daran gearbeitet wird, die in letzter Sekunde aufgekündigte Kooperation mit der Stadt Dresden doch noch zu ermöglichen. Denn dann könnte Forsythe auch noch nach 2004 in Frankfurt bleiben und noch noch mehr als die für diese Saison verbleibenden beiden Premieren produzieren. Aber das mokante Lächeln des Kulturdezernenten Hans-Bernhard Nordhoff verheißt nichts Gutes: Natürlich sei „Herr Forsythe“ jederzeit mit Gastspielen am Main willkommen.

Undenkbar : ein Frankfurt ohne dieses Ballett. Seine Klasse hat es an diesem Abend einmal mehr bewiesen – durch seinen von jeglicher Krisenstimmung ungetrübten künstlerischen Enthusiasmus.

Ruth Fühner

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