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Kultur: Achtung, Baby!

„In die Welt“: Ein faszinierender Dokumentarfilm über den Alltag in einer Geburtsklinik

Wie der Tod ist auch das Kinderkriegen im Kino nicht jedermanns (und erst recht -fraus) Sache. Dass dabei gerade Dokumentationen zum Thema Geburt – wie letztes Jahr Douglas Wolfspergers „Der lange Weg ans Licht“ – gerne schwärmerisch das neue Leben feiern, macht die Sache nicht besser. Zweifel und Unsicherheiten haben in solchen Filmen – von Ausnahmen wie Katja Baumgartens „Mein kleines Kind“ abgesehen – ebensowenig Platz wie die Tatsache, dass die Geburt für das Neugeborene selbst vor allem ein traumatisches Erlebnis ist.

Wie kann man es anders machen? Constantin Wulff wählt für „In die Welt“ einen Ansatz, der den kreatürlichen Aspekt in soziale und institutionelle Bereiche erweitert, ohne in die Falle des abgedroschenen Hausgeburt/Klinik-Streits zu gehen. „In die Welt“ geht einfach in die Anstalt. Es ist die Ignaz SemmelweisFrauenklinik der Stadt Wien, in der auch Wulffs eigene Kinder geboren wurden; eine große in alten Gemäuern modern organisierte Klinik, die situationsangepasst nach den Standards etablierter medizinischer Methoden arbeitet. Wulff und Kameramann Johannes Hammel begleiten in breit angelegtem Bogen die verschiedenen Stationen, vom psychologischen Aufnahmegespräch über die Ultraschall-Untersuchung bis zu Organisationstreffen und Putztrupps. Wartezimmer auch. Und immer wieder die Papierarbeit zur Patienten- und Materialverwaltung, deren Bewältigung einen nicht geringen Teil der Tätigkeiten ausmacht. Nicht unwichtig heutzutage: Gerade wird ein neues Dokumentationssystem installiert, vor allem, um sich gegen rechtliche Eventualitäten besser abzusichern.

Es gelingt den Filmemachern beeindruckend, aus dem Mosaik einzelner Beobachtungen das Gegen-, Mit- und Ineinander von existenziellem Erleben der einzelnen Patienten und institutioneller Routine begreifbar zu machen. Dabei ist der Blick weder beschönigend noch anprangernd, es gibt keinen Kommentar und keine Musik. Der Film verweigert sich auch dem Trend, Stoffe mit künstlichen Dramatisierungen aufzumotzen. Das heißt aber keineswegs, dass Gefühle nicht vorkommen. Im Gegenteil: Durch Genauigkeit und Geduld, klug gesetzte Kameraperspektiven und Schnitte gelingt es, die latenten und offenen Spannungen in und zwischen den auf der Leinwand agierenden Personen zu intensiven und erstaunlich präzisen filmischen Emotionen zu verdichten.

Ein gutes Beispiel ist eine – auch hier – zentrale Geburtszene, bei der neben der Gebärenden, Hebamme und Ärztin auch noch der bangende Begleiter zu sehen ist, der versucht, seiner Partnerin Mut zuzusprechen. Das funktioniert in der auch für die Zuschauer höchst aufwühlenden Szene nicht nur durch entlastende Komik, sondern zeigt auch, wie das Gebären in einem sozialen Raum stattfindet, in dem Personen mit den unterschiedlichsten Perspektiven agieren. Während Mutter und Vater noch fassungslos das blutige Neugeborene hätscheln, ist die Ärztin schon mit dem Abhaken der Papiere beschäftigt. Eine eindrückliche Szene, doch keineswegs die einzige, die lange im Gedächtnis bleibt.

Ein ebenso erhellender wie ergreifender Film, auch darin, wie der beobachtete Mikrokosmos sich an vielen Stellen öffnet in die große Welt. Bei der Diagonale in Graz 2008, den Visions du Réel in Nyon und auf der Duisburger Filmwoche ist Constantin Wulff dafür mit Preisen ausgezeichnet worden. Silvia Hallensleben

fsk am Oranienplatz, Lichtblick-Kino, Neue Kant Kinos

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