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Kultur: Ada und Eva

Musen, Mütter: Eine Berliner Ausstellung zeigt Emil Noldes Frauen

„In unserem Glück des Alleinseins stellten wir uns nackt vor den Spiegel hin“, schreibt Emil Nolde in seiner Autobiografie aus dem Abstand von Jahrzehnten. 1902 hatte er Ada Vilstrup geheiratet, durchaus zur Verwunderung von Angehörigen, „dass wir zwei, gerade wir zwei zusammenwollten“. Sie blieben indessen beieinander bis zu Adas Tod 44 Jahre später, und es scheint, dass der Maler nur und gerade aus dieser festen Beziehung heraus das Thema der Frau so frei und unverstellt behandeln konnte, wie er es lebenslang getan hat. Das mit dem Spiegel wurde versucht, „um zu sehen, wie sie seien, Mann und Weib, in ihrer Verschiedenheit, in Form und Farbe“.

Das ist bereits ein malerisches Programm. Wie Nolde es ausprobiert und ausgeführt hat, ist derzeit in der Berliner Dependance der Nolde Stiftung zu sehen. „Bewundert, gefürchtet und begehrt – Emil Nolde und die Frauen“ ist die Ausstellung überschrieben, die erneut zahlreiche Werke aus dem schier unerschöpflichen Bestand des Stammhauses im nordfriesischen Seebüll zeigt, manche bekannt, viele erstmals zu sehen.

Das Staunen vor dem Spiegel hat Nolde nie mehr verlassen. Alles konnten Frauen für ihn sein, „Musen und Modelle, Ehefrauen und Tingeltangelmädchen, Madonnen und Mütter, Engel und Dämonen, Heilige und Sünderinnen, Verführte und leidenschaftlich Verführerinnen“, wie Kurator Jörg Garbrecht auflistet. So hat Nolde sie denn auch gemalt, mit geradezu kindlicher Verwunderung über solche Vielfalt. Alles ist wunderlich. Auch die Vertreibung aus dem Paradies, die er 1921 malt, in Gestalt eines nebeneinandersitzenden nackten Paares: Er mit mürrisch heruntergezogenen Mundwinkeln, sie mit entsetzt aufgerissenen Augen. Nicht einmal die Schlange in der Mitte zwischen den beiden scheint sich ihrer Tat zu freuen.

Manchmal aber ist das Paradies wieder nahe, wenn die Frauen tanzen zum Beispiel, wie in dem großartigen Gemälde der „Kerzentänzerinnen“ aus Noldes intensivster Berliner Zeit 1912. Das mag eine Varieté-Szene sein, wie sie Nolde damals oft festgehalten hat, aber sie dringt doch, wie stets bei dem Maler, ins Ursprüngliche vor, hier in den ekstatischen Tanz, den Tanz um seiner selbst willen. Doch allzu viel Interpretation verbietet sich. Denn Nolde ist ein grandioser Kolorist, mit Sicherheit der wagemutigste der Klassischen Moderne in Deutschland. Die Tänzerinnen vereinen helles Lila und leuchtendes Karminrot mit den gelben Flecken des Kerzenscheins, das muss sich ein Maler erst einmal trauen.

Nolde hat sich koloristisch stets alles getraut. Das auf Arnold Böcklins erfolgreiches Triton-Nereide-Motiv bezogene „Meerweib“ von 1922 zeigt blutigrote Hände und Zehen, eigentlich Krallen, unter einer weiß über grünblau gischtenden Welle. Das ist die Kraft der Elemente, die Böcklin nur als gezügelte Salonfantasie andeuten kann. Ein entsprechendes Böcklin-Gemälde ist in der Ausstellung zu sehen; das bei Weitem geglückteste Beispiel von Vergleichswerken, die Kurator Garbrecht diesmal glaubte einbeziehen zu müssen. Dafür hätte der Katalog, wie immer vorzüglich in Inhalt und Bildwiedergabe, durchaus genügt.

Bisweilen geht Nolde ins Groteske, wie bei dem „Seltsamen Liebespaar“ von 1923, zwei wahrlich seltsamen Wesen – aber in schönstem Orange-Blau-Kontrast wie nach Goethes Farbenlehre. „Auch die Farben wurden einander entgegengestellt: kalt und warm, hell und dunkel, matt und stark“, hat Nolde erläutert; Farben „wie Liebeslieder und Erotik, wie Gesänge und Choräle“, Farben „kündend (von) Glück, Leidenschaft und Liebe, Blut und Tod“.

Da musste schon eine selbstlos unterstützende Ada sein, um den Maler vor dem Chaos zu schützen, in das das andere Geschlecht ihn hätte stürzen können. Stattdessen hat Emil Nolde das Andere auf der Leinwand ausgelebt, mit einer Farbpalette, die achtzig und neunzig Jahre später noch immer so mitreißend, so beglückend ist wie wohl am ersten Tag.

Nolde Stiftung Berlin, Jägerstraße 55, bis 31. Oktober, täglich 10-19 Uhr. Katalog bei DuMont, 29,90 €.

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