zum Hauptinhalt

Kultur: Adel verblödet

Im Zelt des Deutschen Theaters: „Mirandolina“ mit Constanze Becker

Ach, Mirandolina. Welch zwiespältiges Wesen. Selbst Carlo Goldoni war sich über den Charakter seiner Heldin aus dem 1752 in Venedig uraufgeführten Lustspiel „La Locandiera“ nicht schlüssig. Er bescheinigt der jungen, ledigen Wirtin Grazie und Geist, übersieht aber auch die Rachsucht, den Hochmut, die Arglist der von Männern umschwärmten Frau nicht. Mirandolina, in der Vergangenheit oft und gern als verführerische, erfolgreiche, witzige Kämpferin für weibliche Emanzipation auf die Bühne gebracht, lässt sich eben nicht auf das muntere Ding festlegen, das den Männern zeigt, wo es langgeht. Sie hat Anmut und Witz und vielleicht sogar, wie Goethe meinte, „unbezwingliche Kälte“. Zum Schluss dann, der Feldzug gegen hochmütige adlige Mannsbilder ist vergessen, findet sie überstürzt zu „wahrer Fraulichkeit“ – und heiratet den vom verstorbenen Vater längst zur Ehe bestimmten Kellner und Hausknecht. Sie landet da, wo sie den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit nach hingehört.

Ernst Stötzner, der das Lustspiel im Zelt des Deutschen Theaters Berlin inszenierte, bleibt lange unschlüssig, was er mit dem Teufelsweib anfangen soll. Mit Constanze Becker hat er für Mirandolina immerhin die Schauspielerin des Jahres zur Verfügung, aber zunächst läuft alles auf artige Konvention zu. Constanze Becker, barfüßig, spielt das junge Ding ein bisschen schnippisch, ein bisschen verlegen, ein bisschen kokett.

Im Umgang mit den adligen Verehrern zeigt sie eine zurückhaltende Munterkeit, und nur dem dritten Hochgestellten, einem knackig jungen Frauenverächter, begegnet sie mit spürbarer Anstrengung. Der nämlich muss „umgedreht“, zur Liebeserklärung gezwungen werden. Aber auch das bleibt lange im gesitteten Rahmen. Erst zum Schluss geht alle Artigkeit zu Bruch. In einem wütenden Crescendo wehrt sich Constanze Beckers Wirtin gegen die Zudringlichkeit der Männer, steigert sich in einen Zorn hinein, der sie jedes Maß verlieren lässt. Sie richtet den einzigen wirklichen Kerl, der sich nun rasend um ihre Liebe bemüht und vorher die nackten Füße der scheinbar in Ohnmacht Gefallenen zärtlich liebkost hat, regelrecht hin. Und erwacht, dem Davonstürmenden zutiefst erschrocken nachblickend, wie aus einem bösen Traum. In fiebrig nervöser Hast wirft sie sich dem Kellner an den Hals, alle Selbstachtung vergessend.

Vorher allerdings geht die Aufführung seltsame Wege. Auf dem erhöhten Bühnenoval im Zelt dominiert diesmal sauberes Holz, eine spielzeugartige, spartanische Einrichtung mit Tischen, Stühlen und einem handhabbaren Türportal bestimmt den gemeinsamen Ort, den erhöhten Platz für alle Szenen (Bühne Petra Korink). Was Ernst Stötzner dabei besonders interessiert, ist das Treiben der Adelsleute, die er von Kostümbildnerin Christine Meyer aufmunitionieren lässt wie zu einem wüsten Karneval, mit Schminke, Perücken und Gewändern, bestückt durch allerlei albernen Firlefanz. Die Diener, kräftige, selbstbewusste Jungs (Gabor Biedermann, Recardo Koppe) stehen dagegen.

Ein Gesellschaftsspiel also hoch gegen niedrig? Der Regisseur weiß sich da nicht zu entscheiden. Er lässt Stephan Grossmann (Graf von Albafiorita) und Jörg Gudzuhn (Marquis Forlipopoli) jeden Unfug treiben, der nur möglich ist. Der Regisseur hat Lust daran, wuchernden Blödsinn ganz ungebrochen auf die Bühne zu bringen, eben so zum Spaß. Katrin Klein und Lotte Ohm spielen die nicht mehr steigerungsfähige Parodie einer Parodie, den baren, blanken Unfug.

Wo also will Stötzner hin? Er steuert temperamentgeladen auf den Schluss, die Lösung aller Konflikte zu, mit einer fessellosen Schlacht. Es wird gebrüllt, gestampft und grimassiert, in immer hitzigerem Tempo. Eine Gesellschaft ist in Auflösung, zerlegt sich selbst, und fällt zusammen, in eine fade Harmonie. Mathis Reinhardt besonders gelingt es, den listiger Täuschung unterlegenen Ritter von Ripafratta fast schon zur tragischen Figur zu machen. Er zeigt, wie der kräftige junge Mann, selbstbewusst und ehrlich, zerrieben und zerstört wird, weil er der Täuschung nicht gewachsen ist. Ein Liebesverrat, der auch Mirandolina zerstört.

Wieder am 17. und 18. und vom 26. bis 29. September.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false