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Nach 45 Minuten muss neu gestimmt werden: Joanna Newsom.

© DAVIDS

Admiralspalast: Sternenkind an Erde

Die Lieder der Harfenistin Joanna Newsom stellen Geduldsproben dar. Dabei ist ihr polyfones Spiel nicht mal der extrovertierteste Part dieser Dauerattacke auf abgestumpfte Hörgewohnheiten.

Von Jörg Wunder

Es verwundert wenig, dass die Harfe im Instrumentarium der Popmusik nur eine Statistenrolle spielt. Sperrig, schwer, kompliziert zu bedienen und für all den Aufwand vergleichsweise limitiert in der Klangentfaltung, ist sie auch noch überaus empfindlich: Der Auftritt von Joanna Newsom, der bekanntesten Harfenvirtuosin des Pop, dauert gerade eine Dreiviertelstunde, da muss sie die knapp 50 Saiten ihrer Doppelpedalharfe neu durchstimmen. Eine 15-minütige Pause wäre wohl tödlich bei fast jedem anderen Konzert, aber hier wird die Zeit charmant überbrückt: Das Publikum im ausverkauften Admiralspalast darf Fragen stellen, die von Newsoms Drummer Neal Morgan freimütig beantwortet werden.

Ohnehin stellen die Lieder der 28-jährigen Kalifornierin Geduldsproben dar. Jedes Popsong-Format sprengend, umreißen sie in ihren acht, zehn, manchmal 15 Minuten ein enormes Stilspektrum zwischen wildem Westen und fernem Osten, zwischen Broadway und Appalachen- Folk, zwischen Baumwollpflücker-Blues und europäischem Kunstlied.

Dabei ist Newsoms polyfones Harfenspiel, kongenial abgefedert durch die luftigen, präzisen Arrangements ihrer fünf Begleiter, nicht mal der extrovertierteste Part dieser Dauerattacke auf abgestumpfte Hörgewohnheiten: Mit ihrer Stimme stellt sie noch viel erstaunlichere Dinge an. Wenn man bedenkt, dass ihr Organ auf dem Debütalbum vor sechs Jahren noch klang wie ein außer Kontrolle geratener Dudelsack, ist ihre Entwicklung als Sängerin frappierend. Immer noch kann sie ihrem Gesang die metallische Schärfe eines klirrenden Soprans verleihen, der einem die Ohren klingeln lässt. Doch sie dosiert diesen früher gern als koboldhaft apostrophierten Stil sparsam, kostet vielmehr die Möglichkeiten ihrer gereiften, weicher gewordenen Stimme voll aus. Bei aller Expressivität, die an Folk-Stilistinnen wie Kate Bush, Joni Mitchell oder Laura Nyro erinnert, schafft sie es, nicht in Manierismen zu verfallen – alles ist dem Bewusstseinsstrom der Songs untergeordnet.

Eigentlich bräuchte man ein Libretto, um den gewaltigen Erzählbögen von Stücken wie „Have one on me“, „Good Intentions Paving Company“ oder „Easy“ zu folgen. Doch was würde einem alles entgehen, wenn man die Nase in ein Textheft steckte: wie Newsoms Finger über den Saitenvorhang der Harfe tanzen, kraftvoll Einzelnoten zupfend oder fließende Arpeggien wischend. Wie sie auf dem Klavier, ihrem Zweitinstrument, rustikale Ragtime-Akkorde anschlägt, die von Ryan Francesconis Banjo, Alex Camphouse’ gestopfter Posaune und Neal Morgans beherztem Gepauke zum trunkenen Dorftanz beschleunigt werden. Wie sich bei dem älteren „The Book of Right-On“ ihr Gesang mit dem der beiden Streicherinnen zum dreistimmigen Gospelchoral emporschwingt. Oder wie alle sechs im traumwandlerischen Zusammenspiel die komplexen Orchesterpartituren, die der große Van Dyke Parks für Newsoms zweite Platte „Ys“ geschrieben hatte, auf das kompakte Kammermusikformat herunterbrechen – auf der letzten Tournee eine erstaunliche intellektuelle Leistung, die drei Jahre später fast routiniert wirkt.

Im Umgang mit ihren Begleitern, aber auch in der Kommunikation mit dem Publikum gibt sich Joanna Newsom viel entspannter, als man sich das von einer als kapriziös geltenden Künstlerin vorgestellt hätte. Sicher ist sie nicht gerade eine Humorkanone, aber wenn sie eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht wischt und dann mit gespielter Genervtheit „There’s a hair in my face. Stop the concert!“ keift, hat sie die Lacher auf ihrer Seite. Mit hüftlangen Haaren und wassergrünem Kleid wirkt sie wie eine der allegorischen Sirenen aus dem Film „O Brother, Where Art Thou?“ – jener Südstaaten-Mythologie der Gebrüder Coen, die für die Genese der neuen US-Folk- Szene, der auch Newsom entstammt, wichtige Impulse gegeben hat. Als sie sich nach gut anderthalb Stunden in den Orkan der Beifallsbekundungen stellt und über die „noises of human beings“ wundert, blitzt wieder das weltfremde Sternenkind auf, das sie bei ihrem Auftauchen zu sein schien. Überirdisch ist indes nur das Talent dieser Frau.

Joanna Newsoms triumphaler Auftritt ist eine Schule des Hörens, die den Zuschauern volle Konzentration abverlangt. Diese zeigen sich als ebenso disziplinierte wie begeisterte Eleven und werden mit einem musikalischen Reichtum belohnt, der in der Popmusik der Gegenwart keine Parallelen hat.

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