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Kultur: Adorno und die Oberhemden

Wie sieht der denn aus? Grauer Pullover, hellgraue Hose, Sportschuhe.

Wie sieht der denn aus? Grauer Pullover, hellgraue Hose, Sportschuhe.Aber alles Markenqualität.Die Sportschuhe mit den orangenen Streifen, erklärt Ulf Poschardt, sind "Nike Airmax in der neuesten Version".Dann zeigt er seine grauen Socken - "von Prada" -, zupft kurz an seiner Hose - "Helmut Lang" -, fährt mit den Händen weiter hoch zum V-Ausschnitt-Pullover - "Kaschmir, auch von Helmut Lang, genauso wie das dunkelblaue Hemd darunter" - und sagt grinsend: "Ich bin heute vielleicht ein wenig einseitig gekleidet." Jetzt springt er auf, die Helmut-Lang-Hose knirscht, und seine Stimme wird etwas feierlich: "Das ist eine Weltpremiere." Poschardt fingert an seinem Hals herum, bis er die Kette mit der kleinen Silberkugel in der Hand hält.Die Kette stammt von Stüssy, auf der Kugel steht: "Open Up Your Mind".Vor sechs Jahren hat Poschardt sie in New York geschenkt bekommen, ab heute will er sie nicht mehr tragen."Wenn so etwas ein Teil von einem selber wird", sagt er, "dann muß man es irgendwann auch wieder wegnehmen." Soso.

"Wie sehen Sie denn aus?" Jan Josef Liefers posiert demonstrativ locker im 30er-Jahre-Anzug für die Kamera.Leider hat ihm niemand erklärt, "daß Bundfalten, die oberhalb des Bauchnabels enden, nicht sexy sind".Christoph Schlingensief guckt unrasiert wie immer.Seine Frisur - "platt und gleichzeitig elektrisch aufgeladen" - läßt nur den Schluß zu, "daß er bis vor kurzem eine Gummibadekappe aufgehabt hat".Und Katja Riemann macht im knöchellangen Glitzerpailettenkleid auf Marilyn Monroe.Nur an ihren Füßen, da trägt sie diese unschönen kleinen Nylonsocken: "Marilyn machte sich kaputt, um die Welt zu umarmen.Riemann will sich nicht einmal die Hacken wund scheuern." Seit einiger Zeit müssen es sich Prominente gefallen lassen, daß ihre äußere Erscheinung im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" kritisch gemustert wird.Die allwöchentlich erscheinende Stilkritik, ein knapper Text unter einem Ganzkörperfoto des Opfers, kennt keine Gnade.Geschmacksverbrechen werden da mit gehässigen Daumen-runter-Urteilen geahndet."Darüber, wie die Leute ausschauen, wird immer schon geredet", sagt Chefredakteur Poschardt, "da war es einfach naheliegend, dies auch mal bei uns im Magazin zu tun."

Poschardt ist beides: Kritiker der Mode und ihr Fan."Heute morgen", erzählt er, "habe ich mir ein neues Paar Strümpfe angezogen.Das kam hammermäßig: die Socken riechen gut, das ist eine topfrische Sache." So sehr fasziniert ist Poschardt von der Welt der Mode, daß er ein dickes Buch darüber geschrieben hat.Es heißt "Anpassen" (Verlag Rogner & Bernhard, Hamburg, 500 Seiten, 33,- DM), hat das Format eines Nylonstrumpfpäckchens und wiegt ungefähr so viel wie ein Paar italienischer Lederschuhe.Anders als die von ihm initiierte Lifestyle-Kolumne des SZ-Magazins ist Poschardt in seinem Mode-Wälzer nicht auf schnelle Pointen aus.Hier geht es um analytischen Tiefgang.Poschardt betrachtet Mode nicht bloß, er versucht sie zu entziffern.Auf die Frage "Wie sieht der denn aus?" folgt sozusagen sofort die Anschlußfrage: "Und warum sieht der wohl so aus?" Anpassen: Die Mode paßt sich an die Zeit an, und wer sie trägt, macht sich passend für die Welt, in der er lebt."Anpassen" ist eine Kulturgeschichte, die das Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft anhand ihrer Hüte und Hosen, Ballkleider und Schuhe erzählt.

Streng und asketisch: So war die Mode am Beginn der Moderne.In der Pariser Reichsständeversammlung von 1789 traten die Vertreter des dritten Standes dem Pomp von Adel und Klerus in schlichten schwarzen Umhängen und mit ungeflochtenem Barett entgegen.Zweihundert Jahre später, am Ende der Postmoderne, heißt der aktuelle Trend "Microfashion".Modemacher wie Helmut Lang, Martine Sitbon oder Jean Colonna setzen bei der Suche nach der perfekten Schönheit auf immer stärkere Verfeinerung und lassen ihre Schriftzüge nur noch klitzeklein auf die von ihnen entworfenen Kleidungsstücke aufnähen.Minimalismen und Verweigerungsstrategien haben schon immer zur Mode gehört, genauso wie der Luxus, die Verschwendung und das Schrille.

Von Beau Brummel, dem Dandy, der die Daumen seiner Handschuhe von einem eigenen Fabrikanten herstellen ließ, bis zu Johnny Lydon, dem "Sex Pistols"-Sänger, der in einem "I hate Pink Floyd"-T-Shirt herumlief: Gegenbewegungen zur bürgerlichen Kleiderordnung haben diese Ordnung nie gesprengt, immer bloß erweitert.Irgendwann wurde jede Anti-Mode selber Mode.Poschardt verfolgt die Spuren dieser Dialektik durch Kunst, Literatur und Musik, verliert sich dabei aber bisweilen in Zitatenhuberei und Theoriedeutsch.Stark ist er, wenn er die Kleidung des Philosophen Theodor W.Adorno - ordentlich sitzender Anzug, Krawatte, weiße Hemden - beschreibt.Weniger stark, wenn er dessen "Ästhetische Theorie" auf fünf Seiten zusammenzufassen versucht.Man kann sein Buch auch kreuz- und querlesen und bleibt dabei immer wieder an den wunderbaren Bildern hängen.Der Entwurf eines Herrenmantels von Tatlin.Marlon Brando in Lederkluft.Ein "Heroin Chic"-Model vor der Brooklyn Bridge.

"Anpassen" sieht mehr aus wie eine Illustrierte als wie ein Sachbuch, und das ist durchaus beabsichtigt."Ich wollte die Mode aus der Zwangsgefangenschaft der Soziologen und Feministinnen losreißen", sagt Poschardt.Daß deutsche Intellektuelle für die Mode lange Zeit nur Verachtung übrig hatten, hält er für einen "total schwachsinnigen Denkstau, der so groß wurde, daß er sich irgendwann erbrechen mußte".Der Punkt scheint erreicht, denn über das Feuilleton ist die Mode und das Reden über sie inzwischen durchgesickert ins Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses.Um über Mode als Ganzes sprechen zu können, meint Poschardt, müsse man aber auch die Details kennen.Er kennt sie: Parallel zu seinem Philosophie-Studium arbeitete er in München als Mode-Redakteur für die "Vogue", später ging er als Journalist nach New York und modelte nebenbei."Ich weiß", erklärt er mit Pathos in der Stimme, "was es heißt, ein Hemd so zu bügeln, daß es später auf dem Foto gut aussieht."

Wir sitzen auf unbequemen 70er-Jahre-Kugelhockern zwischen Fernsehmonitoren und leeren Wänden.In der Berliner Galerie "Schipper und Krome" war am Abend vorher ein Video gezeigt worden, das den Inhalt von Poschardts Kleiderschrank zeigt.Von der Aktion mit dem Titel "Style Games" künden nur noch ein paar Transparente, auf denen Gesichter und Slogans wabenförmig aneinandergeklebt sind.Kate Moss, Andy Warhol, "DJ Culture"."DJ Culture": Das ist der Titel des Buches, mit dem Poschardt vor drei Jahren schlagartig bekannt geworden war.Geschrieben hatte er es als Dissertation, ein Bestseller wurde es trotzdem.Seine Chronik der elektronischen Popmusik verkaufte sich bislang über 11 000mal, Übersetzungen ins Englische und ins Polnische sind in Vorbereitung.Angefangen hatte das alles eigentlich an einem Kiosk in der Fußgängerzone von Hof, wo sich der junge Poschardt damals so coole Zeitschriften wie "The Face", "I-D" oder "Spex" kaufte.Die Faszination für Pop und Mode hat ihn seither nicht mehr losgelassen, und damit ist er inzwischen ziemlich weit gekommen.Gerade mal 31 Jahre alt, ist er nun schon seit zwei Jahren Chefredakteur des SZ-Magazins.Und einen schwarzmetallicfarbenen Porsche fährt er außerdem, "das beste Auto, das es gibt".Nach Berlin aber ist er im Zug gekommen.Unterwegs hat er Epikur gelesen.Für das nächste Buch.In dem soll es "um griechische Philosophie gehen.Und natürlich um Pop".

CHRISTIAN SCHRÖDER

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