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Kultur: Älteste Quellen, neueste Weltlage

Utopie Fernsehen: Das Berliner Arsenal widmet Alexander Kluge eine große Retrospektive

Am letzten Sonntag führte Alexander Kluge ein Gespräch mit Manfred Osten, dem Generalsekretär der Alexandervon-Humboldt-Stiftung. In der Sendung „News & Stories“ unterhielten sich die beiden über „Das geraubte Gedächtnis“. Bei früherer Gelegenheit hatten sie über „Napoleons gefährlichsten Sieg“ oder „Die Feldzüge Alexander des Großen“ gesprochen: Wie einst der verstorbene Dramatiker Heiner Müller ist Osten ein gern gesehener Gast in Kluges legendären Magazinen. Freilich scheint seine wöchentliche Fernseharbeit inzwischen den Spielfilmregisseur Kluge aus unserem Gedächtnis gestrichen zu haben, der in den Sechziger- und Siebzigerjahren den neuen deutschen Film maßgeblich prägte. Das Arsenal frischt die Erinnerung mit einer umfangreichen Retrospektive auf, in die auch zwei Programmblöcke mit TV-Programmen aufgenommen wurden.

Diese Zusammenschau ist schon deswegen wertvoll, weil sie noch einmal deutlich macht, wie konsequent der Wechsel des Mediums war. In den assoziativen Montagen von „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ oder „Die Patriotin“ ist bereits alles vorhanden, was wir heute als Charakteristikum von Kluges TV-Arbeit begreifen: Fiktive Szenen wechseln mit Interviews; auf Bilder vom Sternenhimmel (mit Musikuntermalung) folgt eine Schrifttafel, die von einem Gespräch über Opern abgelöst wird. Nur dass diese Programmfolge im Fernsehen besser aufgehoben ist, weil man dort nicht an das Format des abendfüllenden Spielfilms gebunden ist.

Keineswegs bedeutet das, ein Blick auf Kluges Filme sei obsolet. Modern bleiben sie schon wegen ihrer Ästhetik, die viel zu dicht ist, um sich jemals zu erschöpfen. In Kluges Steinbrüchen der Erinnerung lässt sich ohnehin immer etwas finden, das erstaunlich aktuell anmutet. So findet sich die Diskussion, ob und wie weit man rechtsstaatliche Prinzipien im Interesse der nationalen Sicherheit aussetzen darf, etwa in der Groteske „Der starke Ferdinand“ (1976) vorformuliert. Sie handelt von einem Kriminalbeamten (Heinz Schubert), der seinen Job quittiert, weil er „mit den lachhaften Vorschriften des Rechtsstaates keine Strafverfolgung betreiben kann“.

In „Die Patriotin“ (1979) gibt es eine kurze Szene, in der eine deutsche Mutter im Zweiten Weltkrieg mit ihren Kindern im Keller einem Bombenangriff ausgesetzt ist. Kluge, der als Kind den Luftangriff auf seine Heimatstadt Halberstadt miterlebte, berührt mit dieser Episode die Debatte um das Leid der deutschen Zivilbevölkerung, die sich in den letzten Jahren an Büchern von Günter Grass („Im Krebsgang“) und Jörg Friedrich („Der Brand“) entzündete. Freilich lässt sich an den Szenen aus „Die Patriotin“ ein Sprechen über Geschichte lernen, das auch dieser historischen Diskussion gut zu Gesicht stünde. Es ist gleichzeitig mitfühlend und sachlich, dabei immer präzise. Es kennt keinerlei Denkverbote, aber erst recht keinen Revanchismus.

Schon in den spärlichen Kommentaren, die seine Filme begleiten, entwickelt Kluges Stimme eine intensive Qualität, die einen noch heute an seinen TV-Gesprächen fesselt – selbst wenn man das Thema uninteressant findet. Eine ähnliche hypnotische Sinnlichkeit geht von Kluges Lieblingsschauspielern aus. Von dem leider verstorbenen Alfred Edel und seinen nuscheligen Bajuwarismen. Von Hannelore Hoger, die trotz ihrer viel gelobten Auftritte als „Bella Block“ nie besser war als bei Kluge.

In der Rolle der Geschichtslehrerin Gabi Teichert besucht sie in „Die Patriotin“ einen Parteitag der SPD, wo sie unverfroren eine Debatte mit den Delegierten provoziert. Weil die deutsche Geschichte nicht positiv genug ist, sei auch der Geschichtsunterricht unbefriedigend, klagt sie mit todernster Miene. Dann fordert sie die Politiker dazu auf, die Geschichte „jetzt, in diesem Moment“ zu verändern. Die Reaktionen sind noch grotesker als Gabi Teicherts Anliegen, das sich freilich nicht im bloßen Slapstick erschöpft. Kluge sucht bewusst den Zusammenstoß von Fiktion und Wirklichkeit, zwischen dem Realismus eines Parteitags und dem irrealen, aber keineswegs unwirklichen Wunsch Gabi Teicherts.

Eigentlich sind Kluges Prinzipien vergleichbar mit denen von Harald Schmidt, dem es mit seiner eigensinnigen Zusammenhangssuche gelang, aus seinem Nischenprogramm ein Tagesgespräch zu machen. Nur das Schmidt dabei gelegentlich eine Ich-mach-halt- was-ich-will-Haltung an den Tag legt, die Kluge völlig fremd ist. Er ist komisch, aber nicht zynisch. Er meint es ernst mit seinem Bildungshunger und der Befragung der ältesten Quellen für Antworten auf die neueste Weltlage. Kluges unerschütterliche Suche nach einem Möglichkeitssinn ist Grundlage seiner Utopie Film, die eigentlich schon immer eine Utopie Fernsehen war. Aber nirgends macht es so viel Spaß, ihr zuzuschauen wie im Kino.

Arsenal Berlin, bis 15. Februar. Weitere Informationen unter www.fdk-berlin.de

Mathias Heybrock

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