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Kultur: Älteste Stadt Afrikas: Kuckucksuhren in Beton

Wunder haben die Bewohner der Insel Sansibar schon lange nicht mehr erlebt. Wind und Wetter nagen an den Stuckornamenten der zweistöckigen Altstadtgebäude und haben in den Wänden aus Korallenkalk tiefe Scharten hinterlassen.

Wunder haben die Bewohner der Insel Sansibar schon lange nicht mehr erlebt. Wind und Wetter nagen an den Stuckornamenten der zweistöckigen Altstadtgebäude und haben in den Wänden aus Korallenkalk tiefe Scharten hinterlassen. Die geschnitzten Türen leiden unter Insektenbefall, und viele Balkone sind bereits unwiderbringlich verloren. Selbst die repräsentativen Gebäude befinden sich nach Erkenntnissen der Unesco in dürftigem Zustand. Trotzdem hat die Unesco die Stone Town, die alte Hauptstadt der Insel, zum "Weltkulturerbe" erhoben. Sie ist Schwarzafrikas älteste noch bewohnte Stadt aus vorkolonialen Zeiten.

Im Berliner Haus der Kulturen der Welt ist derzeit - parallel zur Retrospektive über das "Zanzibar International Film Festival" (Tagesspiegel vom 5. Februar) - eine Fotoausstellung über die Altstadt von Sansibar zu sehen. An der Stone Town lässt sich die Problematik der Unterschutzstellung als "Unesco-Welterbe" beispielhaft zeigen. Es mangelt durchaus nicht am guten Willen - es mangelt an einer lebendigen Tradition zur angemessenen Pflege des historischen Erbes. Mit seinem als "Palast der Wunder" bezeichneten Herrschersitz vollendete Sultan Bargash 1883 eine Reihe prunkvoller Bauten. Den Sultanen, die 1820 ihre Residenz von Muskat auf die Gewürzinsel verlegt hatten, verdankt die Stone Town mit ihren Moscheen, Hindu-Tempeln und Kirchen großzügige Grünflächen und eine damals fortschrittliche Kanalisation. Die Sultane lebten vom Sklavenhandel: Von Sansibar aus aus wurden Schwarze auf die französischen Inseln im Indischen Ozean und in der Karibik geschafft.

Als sich Tanganjika auf dem Festland 1964 mit den Inseln Sansibar und Pemba zur Vereinigten Republik von Tansania zusammenschloss, war das Schicksal der Omani besiegelt. Nachfahren der Bantu-Einwanderer empörten sich gegen den Omani-Sultan, dem sie Rassismus vorwarfen. Zehntausende wurden erschlagen oder ins Exil gejagt. Sie flüchteten meist in die Golfstaaten. Mit ihnen verschwanden die alten Handwerkstechniken. Das später als "Revolution" verklärte Blutbad brachte die Stadt um fast 80 Prozent der Bewohner. Schwarzafrikas einzige Revolution, die von der Straße ausging und die Machtverhältnisse grundlegend änderte, war ein Aderlass, den die Insel bis heute nicht verkraftet hat.

In die verwaisten Altstadthäuser zogen Bauernfamilien, die dort bis heute mietfrei leben. Jahre später erwarben gutbetuchte Tansanier viele Gebäude, die sie mit gutem Gewinn weiterverkauften. In der Hoffnung auf den touristischen Aufschwung, der sich bis heute nicht gezeigt hat, investierten Geschäftsleute vorwiegend in Restaurants und Hotels. Nach und nach verschwanden schadhafte Holzbalkone. An ihre Stelle setzte man absurde Holzbaldachine, die den Gebäuden das Aussehen monströser Kuckucksuhren verleihen. Pseudobarock-Balustraden aus Beton dienen als Dachschmuck. Mitte der achtziger Jahre entstand die Stone Town Authority, die den Verlauf der geplanten Sanierung mit den verschiedenen Partnern koordinieren sollte. Finanzmittel sollte die Regierung stellen.

Zunächst erneuerte man mit Geldern der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) das Kanalisationssystem und die Gassenpflasterung. Hilfe gewährte auch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Dann vereinbarte die Authority mit der Genfer Aga-Khan-Stiftung die Rettung mehrerer Baudenkmäler. Vier Jahre lang ließ die gemeinnützige Stiftung das "Old Dispensary" des indischstämmigen Kaufmanns Tharia Topan an der Uferpromenade wieder aufbauen. Heute dient das Baudenkmal, in dessen Stil alle Kunstrichtungen der ethnischen Gruppen Sansibars zusammenfließen, als Sitz von Reiseagenturen und Andenkenläden.

Inzwischen beteiligten sich zu viele Akteure an der Sanierung, deren Einzelschritte schlecht abgestimmt seien und damit oft ins Leere laufen würden. Das spricht nicht für einen schlüssigen Welterbestätte-Managementplan, den die Unesco normalerweise von allen Antragsländern verlangt. Wohl oder übel hat man bei der Stone Town ein Auge zugedrückt und hofft jetzt, dass die Aufnahme auf die Welterbeliste alle Beteiligten veranlasst, künftig gemeinsam vorzugehen. Mit der zerbröckelnden Altstadt im Hintergrund wirkt das erneuerte "Old Dispensary" heute wie ein aufgeräumtes Prunkgebäude, das vor allem Touristen magisch anzieht. Die heutigen Bewohner der Stone Town bleiben von den Bemühungen um die Sanierung unberührt.

Thomas Veser

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