zum Hauptinhalt

Kultur: Afghanistan: Das Recht der Fäuste

Nach dem Jubel über den Rückzug der Taliban breitet sich in den befreiten Gebieten Afghanistans Ernüchterung aus. Die neuen, alten Herren der Nordallianz sowie unabhängige lokale Herrscher rivalisieren um Macht, um Land, um Geld - vor allem um die Einnahmen aus dem wieder deutlich zunehmenden Drogenschmuggel.

Von Frank Jansen

Nach dem Jubel über den Rückzug der Taliban breitet sich in den befreiten Gebieten Afghanistans Ernüchterung aus. Die neuen, alten Herren der Nordallianz sowie unabhängige lokale Herrscher rivalisieren um Macht, um Land, um Geld - vor allem um die Einnahmen aus dem wieder deutlich zunehmenden Drogenschmuggel. Dass die Warlords ihre Differenzen rasch und friedlich beilegen, ist unwahrscheinlich. Westliche Sicherheitsexperten berichten schon von Schießereien. Aber auch hautnaher Einsatz ist nicht tabu - der Anführer der fragilen Nordallianz, General Mohamed Kassim Fahim, soll sich mit seinem Geheimdienstchef Abdul Rasul Sayyaf einen Faustkampf geliefert haben.

Sayyaf hat sich inzwischen mit Burhanuddin Rabbani verbündet, der den Posten des Staatspräsidenten beansprucht und wieder in Kabul residiert. Schon diese Details lassen ahnen, mit welchem Wirrwarr die Konferenz in Deutschland befrachtet sein wird. Unklar ist auch, welche Rolle die Rest-Verbände der Taliban spielen werden.

Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Schwerpunkt: Wege jenseits der Bomben Fotostrecke: Krieg in Afghanistan Hoffen auf einen Wendehals

Nach Ansicht von Sicherheitskreisen verfügen sie noch über 15 000 Kämpfer, die sich ziemlich "gerupft" in Kandahar sammeln. Dass diese Milizionäre einen Guerilla-Krieg anzetteln können, wird mittlerweile bezweifelt. Es gebe Vorbereitungen, aber die Amerikaner hätten erstmal die Pläne der Taliban durchkreuzt - weil sie nicht vom pakistanischen Quetta aus in die letzte große Bastion der Gotteskrieger unter dem Befehl des einäugigen Mullah Mohammed Omar vorgestoßen sind.

Gedankenspiele des pakistanischen Militäregimes, "gemäßigte" Taliban an einer politischen Lösung des Afghanistan-Konflikts zu beteiligen, sind zwar nicht mehr zu vernehmen - scheinen aber auf bizarre Weise doch noch Gestalt anzunehmen. In den Provinzen, die zwischen Kabul und Kandahar liegen, hat ein Militärführer der Taliban die Macht übernommen. Jalaludin Haqqani kann sich auf regionale Paschtunenclans stützen und führt nun die Wandlung vom Extremisten zum Volksgruppenführer vor. Laut Sicherheitsexperten könnte der Wendehals Haqqani der richtige Mann für die Pakistani sein, um nach dem Zusammenbruch der Taliban wieder Einfluss auf die Entwicklung Afghanistans zu nehmen.

Millionen von Hunger bedroht

Angesichts solcher Manöver ähneln die Versuche der Vereinten Nationen, eine stabile Zentralmacht in Afghanistan zu etablieren, einer Quadratur des Kreises. Sicherheitsexperten halten aber den Versuch für unumgänglich, wie auch den Einsatz einer multinationalen Friedenstruppe. Die Fachleute hoffen, im Lande werde die Notwendigkeit einer solchen Lösung begriffen - schließlich sei es den Afghanen nie zuvor so schlecht gegangen.

Ein Beispiel: Die Hungersnot breitet sich aus. 400 000 Menschen seien akut bedroht, sagen die Experten. Weitere 2,5 Millionen Afghanen verfügten nur noch bis zum Jahresende über Lebensmittelvorräte. Und im Frühjahr 2002 seien vermutlich sechs Millionen Menschen auf Lebensmittellieferungen angewiesen. Angesichts dieser Tragödie, meint ein Experte, sei vielleicht doch zu erwarten, "die Afghanen haben aus ihrer Geschichte gelernt".

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false