zum Hauptinhalt

Kultur: Afghanistan: Waffen gegen die Wut

Das Wetter gehört noch zu den geringeren Problemen Afghanistans. Und dennoch haben Schnee in Taschkent und eine geschlossene Wolkendecke über Kabul am Wochenende zwei wichtige diplomatische Reisen vereitelt: die von Außenminister Joschka Fischer, der mit dem Umweg über die usbekische Hauptstadt nach Kabul fliegen wollte, und die von Hamid Karsai.

Das Wetter gehört noch zu den geringeren Problemen Afghanistans. Und dennoch haben Schnee in Taschkent und eine geschlossene Wolkendecke über Kabul am Wochenende zwei wichtige diplomatische Reisen vereitelt: die von Außenminister Joschka Fischer, der mit dem Umweg über die usbekische Hauptstadt nach Kabul fliegen wollte, und die von Hamid Karsai.

Zum Thema Dokumentation: Kampf gegen Terror Fotos: Osama Bin Laden, Krieg in Afghanistan Der Chef der afghanischen Interimsregierung sollte ursprünglich mit dem deutschen Außenminister zusammen zurück nach Berlin zu einem offiziellen Staatsbesuch fliegen, denn in Afghanistan sind Flugzeuge knapp. Das unwirtliche Wetter verdeckt allerdings nur milde die dahinter liegenden zunehmenden Sicherheitsrisiken. Schon die Tatsache, dass der deutsche Außenminister in Taschkent übernachten musste, wenn er nach Kabul will, geht auf eine kritische Einschätzung der Sicherheitslage durch das Bundeskriminalamt (BKA) zurück.

Die letzten Tage mit ihren schwerwiegenden Vorfällen haben diese Einschätzung bestätigt. Erst der Mord am afghanischen Tourismusminister Abdul Rahman, dann die Zwischenfälle um ein Fußballspiel zwischen Soldaten der UN-Sicherheitstruppe Isaf und Einheimischen, in die vor allem auch die deutschen Soldaten verwickelt waren. Dann wurden am Sonnabend erstmals britische Soldaten beschossen, während die Besetzung des Flughafens durch Hadschi-Pilger andauert, die auf eine Maschine nach Mekka immer noch hoffen, obwohl ihr interimistischer Staatschef nicht einmal aus eigener Kraft nach Deutschland fliegen kann. All das hätte wohl auch ohne schlechtes Wetter ausgereicht, damit Fischer nicht nach Kabul hinein und Karsai nicht herausgeflogen wäre.

Dass es zu immer mehr Gewalttätigkeiten in der afghanischen Hauptstadt kommt, kann allerdings kaum überraschen. Erstaunlich ist eher schon wie ruhig es dort in den vergangenen Wochen zugegangen ist. Nach 22 Jahren Krieg und Bürgerkrieg ist die Schwelle zur Gewalttätigkeit politisch wie auch in alltäglichen Situationen niedrig. Wichtiger noch ist, dass die Afghanen nie in ihrem Leben Grund hatten, zu staatlichen Institutionen Zutrauen zu gewinnen. Dem Staat Afghanistan fehlt so ziemlich alles, was ein Staat braucht: von der Verwaltung über das Gewaltmonopol bis hin zu leidlich beeindruckenden nationalen Symbolen. Was Afghanistan jedoch am meisten fehlt, das ist Legitimation, und das nicht erst seit 20 Jahren, sondern schon seit Jahrhunderten.

Verspätete Nation, verspäteter Staat

Immer wieder wurden in dem Vielvölkerstaat verschiedene die Stämme übergreifende Begründungen ausprobiert, wie sich eine Zentralgewalt legitimieren lässt. Im Wesentlichen experimentierte man mit drei Varianten, mit einer Art Schah, mit der Nachfolge Dschingis-Khans und eben wie zuletzt bei den Taliban mit der Nachfolge des Propheten Mohammed. Alle drei Quellen von Herrschaft sind von anderswo her ausgeliehen: aus dem Iran, von den nördlicher gelegenen Völkern von Mekka. In Afghanistan, dem Durchgangsstaat in der Mitte, reichten sie alle auf Dauer nicht aus, um einen Staat zu begründen.

Vielleicht liegt da der historische Grund für die traditionell guten Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan, der verspäteten Nation und dem verspäteten Staat. Insofern ist die Forderung Hamid Karsais nach einer Ausweitung des bislang auf Kabul beschränkten UN-Mandats auf das ganze Land alles andere als harmlos oder auch nur rein pragmatisch.

Was ihm vorschwebt ist eine vierte Begründung, die - mehr oder weniger - demokratische; gestützt aber auf die Waffengewalt fremder Mächte. Was die Vereinten Nationen (UN) und Karsai versuchen, hat etwas kühn Verzweifeltes. Die wirkliche Gewalt liegt in den Händen der Briten, Deutschen und Türken, die aber beständig so tun müssen als seien sie nur das Werkzeug der afghanischen Interimsregierung. Und nicht die eigentlichen Herrscher. Dieses prekäre Experiment auf das ganze Land auszudehnen, davor scheuen die Deutschen und die gesamte internationale Gemeinschaft nicht ohne Grund zurück.

Außer dem Gewaltmonopol braucht ein Staat nach allgemeiner Auffassung auch so etwas wie eine Gesellschaft die ihn trägt. Eine afghanische Gesellschaft im westlichen Sinne gibt es jedoch nicht. Die jahrzehntelange Erfahrung von Gewalt und Korruption hat die Menschen auf die einzigen Beziehungen zurückgeworfen, die fast unzerstörbar und eben zuverlässig sind, die Familien und die Stämme. Die dienen in Afghanistan jedoch nicht nur als Schutz vor Willkür, Gewalt und Verwahrlosung, sie sind zugleich ihre beständig sprudelnde Quelle. Das Bemühen der internationalen Hilfsorganisationen zielt eben darum auch darauf - neben der unmittelbaren Nothilfe -, Vertrauen zu schaffen.

Gegen die räuberische Klasse

Wenn die Helfer von außen einen Kabuler Handwerker mit dem Anfertigen von Fenstern für die neue Mädchenschule der Caritas beauftragen, dann geschieht plötzlich etwas für afghanische Verhältnisse Außergewöhnliches. Ein Schreiner kann Holz kaufen, er kann es bearbeiten und abliefern, er wird dafür sogar pünktlich bezahlt, dann werden die Fenster eingesetzt, und am Schluss dürfen Mädchen darin sitzen und bekommen ein wenig Bildung mit. Ein Wunder der Normalität hat sich ereignet. Ein klein wenig (Selbst-)Vertrauen wurde geschaffen, und ein kleines Stückchen Freiheit hat sich gebildet, von den überkommenen familiär-religiösen kriminellen Strukturen.

Gesellschaft bildet sich von unten, ein staatliches Gewaltmonopol von oben und eine demokratische Legitimation von überall her. Das ist im Kern das Projekt der Rettung Afghanistans. Ein Projekt wider alle Wahrscheinlichkeit natürlich, weil es zu schnell gelingen muss und weil die räuberische Klasse so stark ist. Nur ist eben das Projekt alternativlos. In drei Monaten soll bereits die große Loya Jirga, die große Zusammenkunft, der führenden Familien und Stämme stattfinden, um der Regierung eine neue über die Konferenz im fernen Petersberg bei Bonn hinausgehende Legitimation zu verschaffen. Die Loya Jirga wäre dann zu gleicher Zeit so etwas wie ein germanischer Ring und der parlamentarische Rat der nach dem Krieg das deutsche Grundgesetz schrieb. Sie müsste also zwei Regierungsformen vereinen, die einige Jahrhunderte auseinander liegen. Es wäre jedenfalls mehr als erstaunlich, wenn es angesichts dieser ungewöhnlichen Herausforderung in dem Land am Hindukusch nicht zu Vorkämpfen um die Ausgangsposition bei dieser Loya Jirga käme.

Und die Deutschen? Sie zahlen hier mehr als andere, sie engagieren sich militärisch, wenn auch nicht als Lead-Nation. Sie tun vielleicht nicht genug, aber sie tun was sie können und, wenn man die logistischen Schwierigkeiten betrachtet, sogar manchmal mehr als sie können. Doch was sie jetzt tun ist wahrscheinlich weniger wichtig als das, was sie in einem halben Jahr tun werden, wenn Afghanistan wieder aus der Mode ist, wenn der Anti-Terror-Krieg zum Irak weitergewandert ist. Aber Nachhaltigkeit ist ja angeblich ein Markenzeichen der Regierung von Bundeskanzler Schröder.

Joschka Fischer wird erst dann wieder einen Versuch starten, nach Kabul zu kommen, wenn sich das Wetter bessert, also etwa im April. Hoffentlich gibt es dann noch einen Karsai, den er besuchen kann. Es ist wahr: Sturm und Schnee gehören zu den geringeren Problemen Afghanistans.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false