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"Afrikanische Literatur gibt es nicht", erklärte die englische Schriftstellerin, Fotografin und Multimediakünstlerin Taiye Selasi.

© Mike Wolff

"Afrikanische Literatur" und Postkolonialismus: Noch immer im Dunkel

In der Kolumne „Flugblätter“ geht es um die immer noch vorherrschenden kolonialen Ideen über "Afrikanische Literatur" - ein Genre, das es gar nicht gibt.

Von Caroline Fetscher

Afrika soll Europa retten: vor den Afrikanern. Genauer: Afrika soll Europa vor Wandernden retten, die ein Leben in Europas Wohlstand suchen. Am Montag versammelten sich deshalb im Pariser Élysée-Palast hochrangige Politiker der Europäischen Union mit Kollegen aus Staaten wie Niger und Tschad. Emigrationswillige Afrikaner, hofft die EU, würden künftig von der Seereise aus Nordafrika in Richtung Europa ferngehalten. Der Asylanspruch solcher Zeitgenossen solle in wichtigen Transitländern wie Niger und Tschad vorab „geprüft“ werden. Dass sich die Idee in der Praxis bewährt, erscheint höchst zweifelhaft.

Verblüffend an Konzepten dieser Art ist, wie Europas Eliten „Afrika“ noch im postkolonialen Zeitalter als territoriale Einheit konzipieren – und kaum ein Europäer kann mit dem Finger auf der Weltkarte spontan auf Länder wie Niger oder Tschad deuten. Den Grad an Tradieren kolonialer Ideen zu „Afrika“ analysiert Robert Stockhammer exemplarisch anhand seiner Studien zur „Afrikanische Philologie“, die grundlegend infrage stellen, was die „clichés“ boten und bieten (Suhrkamp, Berlin, 2017, 310 S., 18 €). Das Buch des Münchner Literaturwissenschaftlers schafft eben das ab, was sein Titel verspricht: afrikanische Philologie.

Präkoloniale und koloniale Geschichte, Vielfalt der Sprachen, Texte, Symbolsysteme, aktuelle institutionelle Praxis – wenig von alledem ist außerhalb der Territorien südlich der Sahara bekannt, bewusst. In der gängigen Ikonografie der Entwicklungspolitik oder karitativer Organisationen wechseln Bilder von darbenden „Afrikanern“, die sich nicht zu helfen wissen, und fröhlichen, denen geholfen wurde, ab, den zahlreichen Dekonstruktionen der Postcolonial Studies zum Trotz. Afrika, hatte Hegel Anfang des 19. Jahrhunderts erklärt, sei „das Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichte in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt ist.“ Wie viel weiter ist Europas Denken Anfang des 21. Jahrhunderts?

Sprechregionen diagonal zu kolonialen Grenzen

Noch wird etwa das Genre „afrikanischer Literatur“ behauptet. Taiye Selasi, Jahrgang 1979, eine britische Schriftstellerin, deren Familie aus Ghana und Nigeria kommt, erkläre bei der Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals in Berlin 2013 apodiktisch: „Afrikanische Literatur gibt es nicht.“ Stockhammers hochkomplexe Metastudien gehen dieser Figur nach, indem sie vor allem zwei große Missverständnisse auszuräumen suchen. Eines gilt Afrika als dem „schriftlosen“ Kontinent. Das Gegenteil ist der Fall. Im Maghreb ging man schon vor über 2000 Jahren mit Schriften um, nicht allein in der legendären Bibliothek von Alexandria. Und im frühen 16. Jahrhundert „schrieb ein kongolesischer Herrscher Briefe an den Papst auf Portugiesisch.“

Stockhammer bereist überdies Sprachregionen diagonal zu mit dem Lineal gezogenen kolonialen Grenzen und weist auf den Kontext des englischen Wortes „ruler“ hin, das sowohl Lineal wie Herrscher bedeutet. Kaum ein europäischer Text über „das Imaginarium Afrika“ sei „frei von der Komplizenschaft mit dem kolonialen Unterfangen“.

Was verbindet Ousmane Sembène und Chimamanda Ngozi Adichie?

Das andere Missverständnis, dem der Forscher entgegentritt, gilt demselben Objekt, das Selasis Rede bestritt, der „afrikanischen Literatur“. Um sie als Genre zu behaupten, werde jeweils der synekdochische – also vom Teil auf das Ganze verweisende – Schluss gezogen vom Schauplatz auf den Gegenstand, vom Teilgebiet auf den Kontinent.

Was verbindet Chinua Achebe, Chimamanda Ngozi Adichie, Aimé Césaire, Nuruddin Farah, Ousmane Sembène oder Léopold Sédar Senghor? Welche Sprache? Welcher Raum? Die Annahme lautet: Ein afrikanischer Autor schreibt selbstverständlich „über Afrika“, eine somalische oder kenianische Autorin ist selbstverständlich „eine afrikanische Autorin“. Nur: Von spanischen, deutschen oder finnischen Autoren wird weder erwartet, dass sie über Europa schreiben, noch werden sie als „europäische Autoren“ rubriziert. Bereits diese einfache Beobachtung lässt aufhorchen, fragen, nachdenken. Wie jede Passage in diesem an Kenntnis und Erkenntnissen überreichen Buch.

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