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Gangster Cesar (Hoji Fortuna) erpresst eine Frau (Marlene Longage) in "Viva Riva!" von Djo Tunda wa Munga.

© Berlinale

Afrikanischer Film: Benzin ist ein ganz besonderer Saft

Wilde Thriller gibt es im FORUM: „Viva Riva!“, „State of Violence“, „The Stool Pigeon“ und so manches mehr stehen auf dem Programm.

Erst kommt das Fressen, dann die Moral, heißt es. Vorher aber noch kommt das Testosteron, jedenfalls wenn man jung, männlich und auf der Höhe seiner Kraft ist und gerade den Deal seines Lebens eingefädelt hat. So wie Riva, dessen Spekulationen mit geschmuggeltem Benzin aus Angola in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa verführerische Gewinne versprechen. Einen kleinen Abschlag hat er schon in der Hand. Heikel nur, dass die von Riva heiß begehrte Frau als Eigentum des Noch-Souveräns der Halbwelt-Nomenklatura gilt. Das schafft Probleme. Und auch im geschäftlichen Bereich drängeln sich Neider und Konkurrenten.

Kinshasa, von den Kerlen im Film ehrfurchtszärtlich Kin genannt, wurde bereits letztes Jahr im Forum mit einem dokumentarischen Episodenstück bedacht. Jetzt kommt die quirlige, gebeutelte Neunmillionenstadt mit geballter Genre-Macht zurück und geht mit hochtourigem Tempo in einen Actiontrip voller Gewalt und Sex, der zentralafrikanische Aktualitäten virtuos mit Anleihen aus der Filmgeschichte verschmilzt: Wie Mervin LeRoys Genre-Archetyp Little Caesar heißt der in weißem Hut und Anzug eleganteste und gebildetste von Rivas Kontrahenten Cesar. Mit einer Armeekommandantin und einem Pfarrer hat Regisseur Djo Tunda wa Munga in „Viva Riva!“ auch die Stützen der Gesellschaft involviert. Dazu gibt es neben bissigen Repliken auf angolanisch-kongolesische Rassismen auch bitteren Humor und Dialoge von manchmal fast brechtianischer Scharfsicht: höchst vitales Kino, das hoffentlich nicht nur europäische Festivalbesucher erreicht. Ein Handicap für den Vertrieb in der Heimat allerdings könnten die recht expliziten Sexszenen sein; eine besonders akrobatische Nummer dürfte selbst geübte Kinogänger staunen machen.

In Kinshasa träumt man von einer einigermaßen sicheren Zukunft, zu realisieren ist das für viele nicht. In „State of Violence“ hat Bobedi es geschafft und sich als Minendirektor in Johannesburg komfortabel im Post-Apartheid-Staat eingerichtet – mit einem protzigen Apartment in einem Villenviertel und einer deutlich jüngeren Frau. Doch eines Morgens liegt die hübsche Gattin in einer Blutlache auf dem Boden des Designerbads. Die Suche nach dem Schuldigen führt Bobedi weit zurück in die eigene Vergangenheit als militanter Anti-Apartheid-Aktivist und lässt ihn die unterschiedlichsten Stadtteile und sozialen Milieus durchqueren. Während im Kinshasa von „Viva Riva!“ bei aller Gewalt fiebrige Aufbruchsstimmung zu herrschen scheint, zeigt Khalo Matabane in „State of Violence“ die Nation bis in die Familien hinein zerrissen von den Kämpfen der letzten Jahrzehnte und gelähmt von Traumata, die bis in die jüngste Generation reichen.

Bedrohte Familienbande sind auch in einem Thriller aus der altehrwürdigen Hongkong-Schule ein Hauptmotiv. Wie die Kommandantin in „Viva Riva!“ hat auch der junge Ghost eine gekidnappte Schwester, um deren Schicksal er sich sorgt. 2002 war Dante Lam zum ersten Mal im Forum zu Gast, ist also fast ein Veteran. „The Stool Pigeon“ variiert einen beliebten Topos des Hongkong-Thrillers und untersucht präzise die Frage nach Macht, Verantwortung und Loyalität zwischen einem Agentenführer und dem von ihm eingesetzten Undercover-Mann. Der saß lange im Knast, jetzt soll er sich bei einem brisanten Überfall bewähren.

Dante Lam ist ein Meister in der Kunst, Sympathien im Publikum breit zu streuen. Wie Djo Tunda wa Munga brilliert auch er darin, die Stadtlandschaft dramaturgisch ins Filmgeschehen einzubeziehen. Doch während in Kinshasa verblichener Kolonialeleganz, Straßenleben und Damenunterwäsche-Verkaufsstände ein Panorama reizvoll unverbrauchter Möglichkeiten auffächert, muss Lam in Hongkong angestrengt den Schauplätzen hinterherspüren, die jenseits von Hochhäusern und -straßen lokale Atmosphäre versprechen. So erscheinen die Marktszenen und auch der genre-obligatorische Nachtclub eher nostalgisch herbeizitiert. Wie in den beiden anderen Filmen ist auch bei Lam die Familie der einzig mögliche Rückzugshort vor Verbrechen und Täuschung. Im Unterschied zu Kinshasa aber haben in Hongkong biedere unkorrupte Lebensentwürfe wenigstens eine kleine Chance. Filmisch rächt sich das allerdings – in einer Überdosis Sentimentalität.

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