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Ein Nigerianer in Deutschland. Pax Nicholas’ Solo-Album von 1973 wurde im letzten Jahr neu aufgelegt. Plötzlich ist der Sänger und Percussionist wieder gefragt.

© G. Rückert

Afrobeat: Pax Nicholas: Rausch und Rhythmus

Mit Fela Kuti brachte er den Afrobeat nach Berlin. Jahrelang hielt er sich mit Trommel-Workshops für Kinder über Wasser. Jetzt erlebt Pax Nicholas ein Comeback. Ein Besuch im Märkischen Viertel.

Es war ein Debakel. Das Publikum in der Philharmonie buhte und grölte dazwischen, als Fela Kuti 1978 mit seiner Band Afrika 70 auf dem Berliner Jazzfestival auftrat. Zu neu, zu frei, zu fremd für konservative Ohren war der Afrobeat, diese explosive Mischung aus afroamerikanischem Funk, Soul und Jazz mit Highlife und anderen afrikanischen Stilen. Noch schlimmer für Fela Kuti war jedoch, dass nach dem Konzert elf seiner Musiker die Band verließen. Es war das Ende von Afrika 70. Unter den Deserteuren war neben dem Star-Drummer Tony Allen auch der weniger bekannte Conga-Spieler und Backgroundsänger Nicholas Addo-Nettey. Er lebt bis heute in Berlin – in einer Ein-Zimmer-Wohnung in den Plattenbauten des Märkischen Viertels.

Hintergrund des Ausstiegs waren die massiven staatlichen Repressionen, mit denen Fela und seine Band in Nigeria zu kämpfen hatten. In den meisten seiner Songs prangerte er in provozierender Offenheit die neokolonialen Verhältnisse in Afrika und das brutale Militärregime an, das in seinem Land herrschte. So wurde er zum Held der Massen und zum Feind der Machthaber.

Seine Musiker litten jedoch oft unter dem Patriarchen Fela Kuti. „Ich werde ihn immer als meinen Meister verehren, aber dennoch gab es einen großen Widerspruch: Er redete viel von Befreiung, aber behandelte uns wie Sklaven“, sagt Nicholas Addo-Nettey. Die Musiker wurden schlecht bezahlt und in keiner Weise am immensen internationalen Erfolg der Platten beteiligt.

Nicholas Addo-Nettey kam als 17-Jähriger nach Lagos, damals das Zentrum der afrikanischen Musikszene. Geboren in Accra, der Hauptstadt Ghanas, hatte er bereits als Grundschüler in Gospelchören und Trommelgruppen seine musikalische Laufbahn begonnen. Als Teenager war er wie die meisten seiner Altersgenossen in Ghana verrückt nach US-amerikanischem Soul. Otis Redding und James Brown hießen seine Idole. Folgerichtig versuchte er sich selber als Soul-Sänger und nannte sich Pax Nicholas. Neugierig folgte er der Einladung eines befreundeten Musikers, der ihn 1971 mit nach Lagos nahm und ihn dort Fela Kuti vorstellte.

Nicholas konnte den Afrobeat-Paten schnell von seinen Fähigkeiten als Sänger und Trommler überzeugen und wurde Afrika-70-Mitglied. Es hätte wohl keinen besseren Zeitpunkt geben können. Kurz nachdem er in die Band aufgenommen wurde, starteten die Aufnahmen für „Shakara“, einen von Fela Kutis größten Hits, der die internationale Musikszene erstmals nach Lagos blicken ließ. Stars wie B. B. King, Manu Dibango, Stevie Wonder und James Brown kamen im „Shrine“, Kutis Club in Lagos, vorbei, um den neuen Sound und die exzentrischen Bühnenshows live zu erleben.

Der junge Nicholas erlebte diese Jahre des Erfolgs wie im Rausch, was durchaus auch wörtlich zu verstehen ist. „Es gab keinen von uns, der nicht fast durchgehend high war“, erinnert er sich heute lachend an seine Zeit im „Shrine“ und in der „Kalakuta Republic“, einem Grundstück in Lagos, das Kuti in provozierendem Größenwahn für unabhängig vom nigerianischen Staat erklärt hatte. Dort lebten ungefähr hundert Band- und Familienmitglieder unter der Regentschaft des Weltverbesserers.

Das Militärregime reagierte mit äußerster Härte auf die ständige Herausforderung ihrer Autorität, für die Fela Kuti und seine „unabhängige Republik“ standen. Bei einer Razzia im Jahr 1977 wurde fast das komplette Anwesen niedergebrannt und Kutis Mutter aus einem Fenster geworfen. Sie starb wenig später an den Folgen. Im selben Jahr wurden Kuti und ein Großteil seiner Band verhaftet. Auch Nicholas verbrachte neun Monate im Gefängnis, wo er schwer misshandelt wurde.

Es waren diese Zustände, die Nicholas und die anderen Musiker ein Jahr später dazu bewogen, Afrika 70, die zu dieser Zeit erfolgreichste afrikanische Band, zu verlassen. Während Schlagzeuger Tony Allen nach Paris zog und dort bis heute als Musiker erfolgreich ist, blieb Nicholas da, wo er aus Kutis großem Bandjet gestiegen war. Er heiratete eine Berlinerin und bekam zwei Söhne. Inzwischen ist er geschieden und hält sich mit Percussion-Workshops für Kinder und kleineren musikalischen Engagements über Wasser. Im Jahr 2003 gründete er mit Musikern aus Westafrika und Deutschland die Band Ridimtaksi, die sich natürlich auch dem Afrobeat verschrieben hat, aber bis auf eine Zusammenarbeit mit dem finnischen Independent-Popstar Jimi Tenor im Jahr 2004 noch keine größere Öffentlichkeit erreichen konnte.

Im letzten Jahr kam es jedoch zu einer glücklichen Fügung. Der Funk- und Afrobeat-DJ Frank Gossner hatte in einem kleinen Plattenladen in den USA ein Exemplar eines Solo-Albums von Pax Nicholas aus dem Jahr 1973 aufgespürt, das dieser damals heimlich und gegen Kutis Willen mit einigen Afrika-70-Musikern im Studio des Cream-Schlagzeugers Ginger Baker in Lagos aufgenommen hatte: „Na Teef Know De Road Of Teef“. Nicholas erzählt, dass Kuti sehr erbost reagierte, als eine seiner DJanes die Platte auflegte und er sie so zum ersten Mal hörte. „Spiel das nie wieder!“, soll er gesagt haben.

Und tatsächlich wurde „Na Teef“ nie von einer Radiostation gespielt und verschwand über Jahrzehnte in der Versenkung. Gossner stellte das extrem rare Album seinen Bekannten beim New Yorker Label Daptone Records vor, das seit einigen Jahren mit der Soulsängerin Sharon Jones Furore macht und dessen Hausband den Sound von Amy Winehouses Erfolgsalbum „Back To Black“ lieferte. Die Retro-Spezialisten waren begeistert und brachten vor einem Jahr eine Neuauflage der verloren geglaubten Platte heraus.

Seitdem hat sich das bis dahin beschauliche Leben von Herrn Addo-Nettey aus dem Märkischen Viertel, der nun wieder Pax Nicholas genannt werden möchte, sehr verändert. Sein Album ist in jedem gut sortierten Plattenladen zu finden, alte Mitstreiter aus Afrika-70-Zeiten rufen nach Jahren der Funkstille an und gratulieren, regelmäßig steht er in Kontakt mit Neal Sugarman, einem der beiden Chefs von Daptone Records. Und heute Abend wird er mit seiner Band Ridimtaksi das Konzert von Sharon Jones und den Dap-Kings eröffnen.

Konzert: Huxleys, heute, 19.10., 21 Uhr. Das Album „Na Teef Know De Road Of Teef“ ist bei Daptone Records erschienen.

Matti Steinitz

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