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© dpa

Agnes Baltsa: Große Noten, kleine Noten

Ginge es nach den Agenten der sich immer schneller drehenden Opernwelt, die Mezzosopranistin Elina Garanca würde um die Welt jetten wie einst Agnes Baltsa.

Rossini-Opern hier, Hosenrollen aller Länder dort, und dazu Carmen, Carmen, Carmen… Tatsächlich führt die gerade mal 32-jährige Lettin auf der Bühne eine Vielseitigkeit vor, die verblüfft: Wer so Verschiedenes singt, kann doch nichts davon richtig singen. Oder?

Oder! Bei jedem Auftritt, jeder Aufnahme zeigt sich die Sängerin perfekt vorbereitet. Dass dabei selbst bei ihrem CDRecital kein leicht verkäufliches Wunschkonzert herausgekommen ist, spricht für die Ernsthaftigkeit, mit der sie ihren Weg geht. Elina Garanca leistet sich den Luxus einer langsamen stimmlichen Entwicklung: Längst könnte sie mit einer Handvoll Rollen auf allen großen Bühnen der Welt die Ernte einfahren. Das Interesse der mit dem Dirigenten Karel Mark Chichon verheirateten Sängerin aber zielt offenbar weiter: Auf ihrer neuen CD „Belcanto“ finden sich mit viel gutem Willen gerade mal zwei Titel, die dem bekannten Arienkanon zugerechnet werden können: Orsinis Trinklied aus Donizettis „Lucrezia Borgia“ und Tancredis „Di tanti palpiti“ von Rossini.

Ansonsten: Echte Raritäten, zu denen man auch die Szenen aus Bellinis „Capuleti“ zählen darf, mit der Garanca unter Leitung von Chichon die Spielzeit der Deutschen Oper Berlin am 6. September eröffnen wird. Dazu gibt es auf der CD noch einen weiteren Vorgeschmack: Die Romanze der Nelly „Dopa l’oscuro nembo“ aus „Adelson e Salvini“ hat Bellini später für seine „Capuleti“-Oper übernommen. Donizetti ist mit Szenen aus „Maria Stuarda“, „Roberto Devereux“ und „L’assedio di Calais“ vertreten. Ob die Auswahl der „Belagerung von Calais“ damit zu tun hat, dass Garanca nicht etwa für große Mezzovorbilder schwärmt, sondern für die Amerikanerin Beverly Sills, die mit diesem abseitigen Werk an der Mailänder Scala und der New Yorker Met reüssierte?

Kaum zu glauben, dass Garanca noch vor kurzem betonte, dem Leichten in der Musik, den „vielen kleinen Noten“, gar nicht so zugetan zu sein: Auf „Belcanto“ klingt ihre Stimme goldrichtig. Eine Überraschung, die bisher für jede CD-Aufnahme der Lettin zutrifft. Live auf der Bühne wirkt ihre Stimme größer. Im Studio dagegen arbeitet sie mit dem Feinzeichner, verzichtet auf große vokale Gesten. Und lässt auch Konventionen links liegen: In Donizettis Borgia-Oper singt der junge Orsini sein Lied vom Geheimnis des glücklichen Lebens in einer alles anderen als glücklichen Situation – darum widersteht sie der Versuchung, die kurze Szene mit einem triumphalen Schlusston zu krönen, wie es die meisten Kolleginnen gerne tun. Technisch wäre es für sie kein Problem – was für eine erstaunliche Höhe Elina Garanca zur Verfügung steht, weiß man seit ihrer herrlichen Adalgisa neben Edita Gruberovas „Norma“.

Das Orchester des Teatro Comunale die Bologna liefert unter Roberto Abbado dazu viel mehr als nur die Begleitmusik. „Belcanto“ ist offenbar ein Produkt langfristiger Planung und gründlicher Vorbereitung. Vorzüge, die man mit der Krise des Plattenmarktes schon glaubte, aufgeben zu müssen. Claus Ambrosius

Elina Garanca: „Belcanto“, Deutsche Grammophon

Claus Ambrosius

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