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Kultur: Ahoi!

Die Philharmoniker spielen „Peter Grimes“

Azurblau wie die Nordsee an schönen Sommersonnentagen erstrahlen die drei Displays der Übertitelungsanlage in der Berliner Philharmonie. Was sie zu verkünden haben, ist allerdings weniger erbaulich: Von der Einsamkeit des Menschen unter Menschen ist in Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ die Rede, von der Sehnsucht, den „Himmel umzudrehen“. Entsprechend karg gibt sie sich, die konzertante Version der diesjährigen Salzburger Osterfestspielpremiere der Philharmoniker. Ein schmales Podest gleich hinter dem Orchester, Treppen rechts und Treppen links für Auftritte und Abgänge der Solisten und des Chores (fabelhaft sicher in Idiomatik und Farben: die European Voices), ein paar Hocker, lose verstreut, sparsame Lichtwechsel – fertig ist das Ambiente jenes imaginären Fischerdorfes an der englischen Ostküste, dessen Bewohner den bärbeißigen Träumer Peter Grimes in den Tod treiben.

Das Drama, sagt diese Szenerie, die keine sein will, spielt in der Musik. Mit Naturalismus oder schauriger Waterkant-Romantik hat Britten 1945 nichts im Sinn. Seine Zwischenspiele sind grandios aufgefächerte Seelengemälde, die „Arien“ und Ensembles bedienen sich einer teils fratzenhaften, teils geradezu lyrischen Gestik. Simon Rattle nimmt diese Aufforderung zur Innenschau sehr ernst, neigt sich dynamisch weit in die Extreme, geht rhythmisch unerbittlich präzise vor. Allein die Gischt ist kalt, die hier spritzt, alles Brüchige und Poröse, jenes spätzeitliche Verglühen, das dieser Partitur auch eignet, bleibt den fabelhaft spielenden Philharmonikern letztlich fern. Umso authentischer die Sänger: Robert Gambill im Matrosen-Shirt als zunehmend heiserer Grimes, Amanda Roocroft als säuerlich timbrierte Ellen Orford und John Tomlinson als wettergegerbter Captain Balstrode. Das Meer ist ein Abgrund.

Noch einmal heute 19 Uhr.

Christine Lemke-Matwey

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