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"Ai Weiwei - Never Sorry": Ein Film über die Kunst, Türen offen zu halten

Nächste Woche endet Ai Weiweis Hausarrest. Jetzt startet im Kino ein Dokumentarfilm über Chinas bedeutendsten Gegenwartskünstler und Dissidenten.

Eine der verrücktesten Szenen in diesem Film ist das Eat-in in Chengdu im April 2010. Ai Weiwei hatte via Twitter veröffentlicht, in welchem Lokal er mit seinem Team essen wird. Gerade haben sie Anzeige erstattet bei der Polizei, die den Künstler und Regimekritiker ein Jahr zuvor derart geschlagen hatte, dass er wegen eines lebensgefährlichen Blutgerinnsels in München operiert werden musste. Das Team sitzt an einer Tafel draußen auf dem Bürgersteig, Dutzende Bewohner der Stadt schauen vorbei, junge Leute, die ihm wegen seines Engagements für die Opfer des Erdbebens in der Provinz Sichuan danken. Die Polizei filmt das Geschehen, was wiederum ein Mitarbeiter Ai Weiweis filmt, was ihrerseits die Polizei per Video dokumentiert und so weiter.

Joseph Beuys’ Idee vom Kunstwerk als „sozialer Plastik“ wird hier Realität. Und mehr noch, man begreift, dass Ai Weiweis beharrlicher Kampf für Öffentlichkeit, für freie Kommunikation und Information sich wie ein Virus verbreitet, von Peking über die Documenta 2007, zu der er mit 1001 Chinesen anreiste, bis in die Provinzen des Riesenreichs. Selbst die Polizisten steckt er an, auch wenn die sich aus anderen Gründen ein Bild machen wollen.

Nächste Woche, am 22. Juni, endet der einjährige Hausarrest von Ai Weiwei, der ein Reise- und Redeverbot einschloss. Im April 2011 war er verhaftet und 81 Tage an einem unbekannten Ort festgehalten worden, trotz internationaler Proteste.

Video: Trailer Ai Weiwei "Never Sorry"

Die Amerikanerin Alison Klayman, die von 2006 bis 2010 in China lebte und als Journalistin arbeitete, hat Ai Weiwei in den Jahren davor begleitet. Entstanden ist ein zwar konventionell auf Tempo montiertes, aber dennoch eindringliches Porträt eines Gesamtkunstwerkers, Teamworkers und Kommunikationsgenies, eines Mannes, der im Zuge der Olympischen Spiele 2008 beim Regime in Ungnade fiel, nachdem er das berühmte Vogelnest-Stadion zunächst mitgeplant hatte, um die Spiele dann aber eine Propagandashow zu nennen und zu boykottieren.

Klayman hat Künstlerkollegen, Kuratoren, Korrespondenten und Museumschefs befragt, besucht die Mutter und den Bruder, spricht mit der Ehefrau, zeigt Ai Weiwei auch als Vater eines eineinhalbjährigen, unehelichen Sohns. Sie ist dabei, wenn Ai Weiwei seine Arbeiten für die Documenta 2007 oder die großen Ausstellungen in München 2009 und der Londoner Tate Modern 2010 vorbereitet und zeigt, wie er mit Freiwilligen in China aufs Land reist, um die Namen tausender toter Kinder im Erdbebengebiet von 2008 herauszufinden. Sie nutzt dafür das Bildmaterial des Berserkers und Maniacs Ai Weiwei, der in zwei Jahren allein 15 Dokumentarfilme realisierte, der unentwegt an Liu Xiaobo und die anderen inhaftierten Dissidenten erinnert, der für die Tate Modern 200 Millionen Sonnenblumenkerne in traditioneller Keramik-Handarbeit anfertigen ließ und mit seiner erschütternden Schulranzen-Installation „Remembering“ an der Fassade des Münchner Hauses der Kunst in alle Welt hinausposaunte, warum beim Erdbeben über 5000 Kinder starben: wegen Pfusch am Schulbau.

Nicht dass Ai Weiwei keine Angst kennt. Er setzt sich ihr offensiv aus

Schon Ai Weiweis Vater, der Lyriker Ai Qing, ließ sich den Mund nicht verbieten und wurde in der Kulturrevolution zu Zwangsarbeit verurteilt. Auch daran erinnert der Film. Sein Sohn, der spätestens in seiner New Yorker Zeit von 1981 bis 1993 zum politischen Konzeptkünstler reifte, spricht gern vom Schachspiel, das Chinas Machthaber mit ihm veranstalten. Er weiß nie, welchen Zug der Gegner als nächstes plant und reagiert ad hoc. Er filmt, bloggt und twittert unermüdlich.

Nicht dass Ai Weiwei keine Angst kennt. Er setzt sich ihr offensiv aus und sucht gezielt den Kontakt zu jenen, die ihn observieren, schikanieren, verprügeln. Wenn er dem Polizisten, der ihn schlug, die Sonnenbrille wegnimmt, sich nach der Münchner OP im Krankenbett filmt oder seine Behördenbesuche in Chengdu dokumentiert – sind das nun Performances, Videoblogs oder politische Aktionen? Die Frage erübrigt sich, wenn man sieht, was ein einzelner Mensch ausrichten kann, sogar aus der Warte der Ohnmacht. Noch kleinlauter wird man, wenn man nach all den Nahaufnahmen dieses Meisters der Offenheit sieht, wie er nach den 81 Tagen Haft in sein Pekinger Atelierhaus zurückkehrt, körperlich unversehrt, aber wortkarg, fast hilflos gegenüber den Journalisten. Er dürfe nichts sagen, „So sorry“.

Der Satz schmerzt, rührt der Filmtitel „Never Sorry“ doch daher, dass es gewöhnlich Chinas Behörden sind, die mit fadenscheinigen Entschuldigungen Auskünfte verweigern. Ai Weiwei zieht sie in die Verantwortung, und nicht nur sie: Jeder tue, was er kann, „Sorry“ lässt der Künstler nicht gelten. „Don’t retreat, retweet!“: Gib nicht nach, schreib zurück!, lautet einer seiner Einzeiler im Netz.

Ein schweigender Ai Weiwei? Unvorstellbar. So hat er sich auch im Schweigejahr immer wieder öffentlich geäußert, schimpfte Peking in „Newsweek“ einen unwirtlichen Moloch, filmte sich tagelang selbst, stellte die Videos online und lud die überwachenden Polizisten ein, bei ihm zu wohnen (die lehnten ab). In aktuellen Interviews berichtet er von der Rundumüberwachung während der Haft, prangert die Verlogenheit des deutsch-chinesischen Kulturjahrs an und die Willkür der chinesischen Justiz, erinnert an das Leid vieler Chinesen, auf denen die Errungenschaften des Landes basieren, und nennt Chinas Politik in der „FAZ“ ein „selbstmörderisches System“. Dort teilt er auch mit, dass er im Oktober in die USA und anschließend nach Berlin reisen wird – wenn die Behörden ihn lassen.

Hier möchte er Arbeitsräume in einem alten Bierkeller unter Olafur Eliassons Atelierhaus im Pfefferberg beziehen und mit der Universität der Künste über die konkrete Gestaltung seiner Gastdozentur reden. Auch seine aktuelle Videobotschaft für Berlin und die Art Basel spricht mutig Klartext: Ai Weiwei weiß genauer denn je, was er riskiert.

Hinter den Mauern seines Pekinger Studios wohnen 40 Katzen, damit beginnt der Film. Eine davon kann die Tür öffnen, indem sie zur Klinke hochspringt. Was unterscheidet die Katze vom Menschen?, fragt Ai Weiwei. Dass sie die Tür nicht wieder hinter sich schließt. „Ai Weiwei – Never Sorry“ ist ein Film über die halsbrecherische Kunst, Türen offen zu halten.

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