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Kultur: Akropolis an der Saale

Bauen für nervöse Zeiten: Walter Gropius’ „Stadtkrone“ für Halle – eine Ausstellung in Berlin.

Die verhängnisvolle Aufeinanderfolge von NS- und SED-Regime hat Halle an der Saale als Stadt einer entschiedenen, politisch geförderten Moderne aus dem Bewusstsein gelöscht. So wurde die herausragende Sammlung des Museums (heute Stiftung) Moritzburg durch die Aktion „Entartete Kunst“ dezimiert. Erst seit der Wiedervereinigung konnten wichtige Werke des Expressionismus rück- oder neuerworben werden, die in dem vom spanischen Duo Nieto Sobejano großartig umgebauten Museum die einstige Geltung betonen.

Aber auch in Sachen Architektur war Halle aktiv. 1927 lobte der Magistrat einen Wettbewerb für ein neues Kultur- und Verwaltungszentrum samt Sportanlagen auf einem der Stadt gegenüber liegenden Felsvorsprung an der Saale aus, das in der Öffentlichkeit den Namen „Stadtkrone“ erhielt – in Erinnerung an den Baugedanken, den der schwärmerische Avantgardist Bruno Taut erstmals 1918/19 formuliert hatte. Auch das war nicht ganz neu, man denke an das traumverlorene Projekt eines deutschen „Freundschaftshauses“ für Konstantinopel zu Beginn des Ersten Weltkriegs.

Die Presse jedenfalls sprach von einer „Akropolis für Halle“, und das trifft es recht genau. Allein, der Wettbewerb, dessen Ausführung spätestens mit der Weltwirtschaftskrise obsolet wurde, geriet in Vergessenheit. Erst in jüngster Zeit wurden Unterlagen im Stadtarchiv gefunden, die sich mit den bekannten Materialien des Teilnehmers Walter Gropius zu einem aussagekräftigen Ganzen verbinden.

All dies konnte nun von der Stiftung Moritzburg in einer auf Rekonstruktionen fußenden Ausstellung gezeigt werden, modernistisch korrekt in Kleinschrift überschrieben mit „eine stadtkrone für halle saale. walter gropius im wettbewerb“. Derzeit ist sie im Berliner Bauhaus-Archiv zu sehen.

Walter Gropius, damals Direktor des Dessauer Bauhauses, bereicherte den Wettbewerb mit einem derart ambitionierten Beitrag, dass die Jury ihn gleich in der ersten Runde aussortierte. Denn statt das Programm aus Verwaltungs- und Museumsbauten abzuarbeiten, sah Gropius eine Stadthalle für alle möglichen Zwecke vor, gekrönt von einer frei schwebenden Dachterrasse, die über verglaste Stahltreppentürme erschlossen wird – weniger ein Funktionsbau als ein Manifest. Gleichwohl legte Gropius über die zu erfüllenden Aufgaben penibel Rechenschaft ab, so in Gestalt eines Akustikplans für das 1600 Plätze umfassende Auditorium. Wissenschaft wurde am Bauhaus großgeschrieben; die Hallenser Jury hingegen war eher am architektonischen Entwurf und seiner zeichnerischen Visualisierung interessiert.

Solche Zeichnungen lieferte Peter Behrens, dessen Spätwerk zahlreiche urbanistische Entwürfe umfasst. Sein in der Formensprache gemäßigter Neoklassizismus liegt auf einer Linie mit dem von Wilhelm Kreis, der damals im Zenit seines Ruhms stand. Kreis, der sich später den Nazis andiente, hatte in Halle mit dem wuchtigen Landesmuseum für Vorgeschichte 1913 seinen ersten Museumsbau realisiert. Hans Poelzig, der große Einzelgänger, steuerte den Entwurf eines ovalen Festspielhauses bei, seine Forderung nach architektonischer „Erhöhung des Lebensgefühls“ trifft den Nerv einer zerrissenen Zeit. Paul Bonatz wiederum, dessen Stuttgarter Hauptbahnhof in jenem Jahr fertiggestellt wurde, zeigt einen etwas erschöpften Reduktionismus.

Gropius’ Entwurf einer „Stadtkrone von besonderer Eigenart und Phantastik" – wie er selbst notierte – nimmt offensichtlich eine Sonderstellung ein: Konzeptuell floss ein, was er zuvor im Privatentwurf für den Regisseur Erwin Piscator als „Totaltheater“ ohne definierten Zuschauerraum vorgeschlagen hatte. Gropius wollte Ideen verkünden und ging mit seinen Entwürfen auf Popagandatour. Das mindert nicht den Rang seiner Hallenser Vision.

Heute stünden die technischen Mittel bereit, Gropius’ Kerngedanken einer Multifunktionshalle zu realisieren. Die Zeit ist jedoch darüber hinweggegangen. Dennoch wird seine „Stadtkrone“ die Architekturgeschichte, in der sie bislang als Fußnote figuriert, bereichern – mit Gropius als Entwerfer eines Festraums für eine variable Gesellschaft und deren angespannte Nervosität. Bernhard Schulz

Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis 9. Januar, Katalog 19,80 €.

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