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Kultur: Aktion saubere Maria

Werteverfall? Vor 150 Jahren verkündete der Papst das Dogma von der „UnbeflecktenEmpfängnis“

Eine Messe im Petersdom, eine Andacht an der Mariensäule neben der Spanischen Treppe: Der greise Johannes Paul II. lässt es sich nicht nehmen, vor riesigem Publikum ein Jubiläum zu feiern: Heute vor 150 Jahren hat sein Vorgänger Pius IX. das Dogma von der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“ verkündet.

Die festliche Ausrufung dieser Glaubenslehre war die erste große „PR-Aktion“ eines sich wandelnden Papsttums: geistlicher Triumphalismus angesichts weltlicher Niederlagen. Pius IX., der mit fast 32 Jahren Amtszeit  am längsten regierende Papst der Kirchengeschichte, hatte mit ansehen müssen, wie im Gefolge von Aufklärung und  Französischer Revolution seine alte Welt zerbrach. Die Italiener, auf dem Weg zur ersten nationalen Einigung seit den alten Römern, schüttelten die österreichische und die päpstliche Herrschaft ab; der Kirchenstaat zerfiel; der Papst fürchtete mit das Ende seiner religiösen Unabhängigkeit.

Als sei’s eine aktuelle Geschichte: Das Dogma sollte der Prophanisierung Einhalt gebieten. Europa wurde modern – und Pius schottete seine Kirche im Kampf gegen Liberalismus und Laizismus ab. Anfangs erklärter Publikumsliebling, zerbrach er an der Römischen Revolution 1848, flüchtete nach Gaeta bei Neapel und verweigerte unter dem Einfluss autokratischer Kardinäle jede Verhandlung über die Mitbestimmung des Volks.

„Reaktionär und ungeschickt“, befindet selbst die gemäßigte Kirchengeschichtsschreibung, versuchte Pius nach seiner Rückkehr seine Herrschaft wieder aufzurichten. Und nannte sich einen „Gefangenen im Vatikan“. Doch die Gegenbewegung war schon im Gange. Katholiken aus ganz Europa scharten sich angesichts der postrevolutionär unsicheren Lage, der Säkularisation und der „Christenverfolgung“ immer enger um den Papst. Sie nannten sich „Ultramontanisten“, weil sie ihr Denken auf „jenseits der Berge“ richteten: Nur wenn der Papst jenseits der Alpen seine Macht vergrößerte, sei der Verfall der Werte aufzuhalten. Dissidenten wurden mit  gezielter Personal- und  Denunziationspolitik mundtot gemacht.

Die Verkündigung des Mariendogmas 1854, sechs Jahre nach dem Exil, war die erste machtvolle  Selbstdarstellung des neuen Papsttums. Ein ganzer Saal im Vatikanischen Palast wurde mit den Bildern der Zeremonie ausgemalt: eine Fernsehkampagne vor Erfindung des Fernsehens – die man noch heute besichtigen kann.

Mit dem Dogma entschied Pius IX. eine theologische Streitsache, an die sich Päpste und Konzilien vor ihm nicht gewagt hatten. Ohne dass es in der Bibel belegt wäre, definierte er die Gottesmutter als „vollkommen frei von der Erbsünde“, und zwar von Anfang ihres Lebens, genauer: „vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis“ an. Ein Dogma, das eine Jahrhunderte alte Reinheitsmoral aufgriff: Man konnte sich die irdische Mutter von Jesus nicht „befleckt“ von einem sündigen Zeugungsakt vorstellen. Auch ein fast  medizinisches Desinfektionsdenken war im Spiel:  Jesus sollte in „keimfreier Umgebung“ heranwachsen, ohne ansteckenden Kontakt mit der sündigen Welt.

Und sündig ist die Welt, seit Adam und Eva im Paradies vom verbotenen Baum naschten. Adam war prinzipiell sündenlos erschaffen, er hatte sich mit Eva allerdings in den anderen Zustand hineinmanövriert, in dem sich nach den Stammeltern fortan die gesamte Menschheit befand. Die „Erlösung“ musste folglich wieder von sündenfreien Menschen ausgehen: Christus als neuer Adam. Allerdings brauchte man auch eine neue Eva. Schon die ersten christlichen Denker fanden sie in Maria; im Lauf der Jahrhunderte sprach man ihr alle dafür nötigen theologischen Attribute zu: Jungfräulichkeit, „Unbefleckte Empfängnis“ und die „Leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel“ – das bisher letzte Dogma von 1950.

Pius IX. krönte die geistig-moralische Wende des Papsttums mit einem Dogma in eigener Sache. 1870 erklärte er die „Unfehlbarkeit des Papstes in der Glaubens- und Sittenlehre“. Wer dies bezweifelte, wurde mit dem Bannfluch belegt.

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