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Al Jarreau in Berlin: Tausend Töne Ellington

Al Jarreau und die NDR-Bigband präsentieren in Berlin ein Programm aus dem Duke Ellington Songbook.

Von Gregor Dotzauer

Eben noch war er ein Windhund, athletisch und biegsam, der sich hechelnd, trompetend und flötend durch die Oktaven schwang. Nun humpelt er, rechts von einer Riesenkrücke, links von seinem musical director gestützt, auf die Bühne der Philharmonie und lässt sich auf einen Drehstuhl fallen. Vom Stimmwunder zur Jazzlegende in einem Wimpernschlag: Mit 76 Jahren befindet sich Al Jarreau unversehens am anderen Ende der Geschichte und begibt sich mit den bekanntesten Standards von Duke Ellington zugleich hinter die Zeit seines ersten Ruhms zurück, die ein pop- und fusionbegieriges Publikum für die alten Paradiese des Scat-Gesangs begeisterte.

Alles ist noch da: das perkussive Gewebe der Plosive, Schnalzlaute und Nasale, die Silbenverzerrung und Vokalzerdehnung, das instrumentale, auf Imitation angelegte Verständnis seiner Kunst, das gesamte Arsenal seiner Jarreauismen. Und auch der sich am eigenen Glück berauschende Entertainer, der mit weit aufgerissenen Augen sein Grinsen bis in die letzte Reihe schickt, um vom ersten Stück an mit Standing Ovations als der Menschenfänger gefeiert zu werden, der über den Musiker hinaus Beute machte. Alles ist da, und doch haben sich die Anteile verschoben.

Die Intonationssicherheit liegt nur noch bei 60 Prozent, dafür hat er sein Phrasierungsgeschick auf 140 Prozent hochgeschraubt. Insbesondere beim Übergang von Brust- zu Kopfstimme hapert es. Macht in der Gegenrechnung noch immer eine runde Sache, und die NDR-Bigband unter ihrem Leiter und Arrangeur Jörg Achim Keller überspielt mit Drummer Wolfgang Haffner alle Unsauberkeiten mit kompakt swingenden Bläsersätzen und gestochen scharfen Soli.

Welcher Jubel, wenn bei „Take the A-Train“, Ellingtons größtem Hit, der aber wie „Lush Life“ aus der Feder seines Arrangeurs Billy Strayhorn stammt, Katharina Thomsen mit ihrem Baritonsaxofon Jarreaus Schmeicheleien ziemlich ruppig entgegenbläst. Zwischen den harmonischen Finessen der einer kleinen Sophie im Saal gewidmeten „Sophisticated Lady“ und der demonstrativen Schlichtheit des „C Jam Blues“ (alias „Duke’s Place“), zwischen „Mood Indigo“ und „In a Mellow Tone“, entsteht, zuweilen behutsam modernisiert, eine breite Palette von Stimmungen, deren einziges Manko der undurchsichtige, gerade für einen Meister der Farben wie Ellington schlecht ausgesteuerte Sound ist. Als unvermeidliche Zugabe Paul Desmonds „Take Five“. Die Verschmelzungsbereitschaft mit Al Jarreau bleibt nicht aus: Bei der Aufforderung, den 5/4-Takt mitzuklatschen, gerät das Publikum nicht einmal aus dem Tritt.

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