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Alabama Shakes-Sängerin Brittany Howard.

© AFP

Alabama Shakes live in Berlin: Von der Schürfwunde zur Erlösung

Fulminante Southern-Soul-Show: Die Alabama Shakes spielten im Astra Kulturhaus.

Der Blues ist vielleicht nicht gerade die geeignete Musik, um schwitzende Menschen in dampfenden Konzerthallen zu ekstatischen Reaktionen hinzureißen. Es sei denn, die Musiker, die auf der Bühne den Blues zelebrieren, heißen Alabama Shakes. Eine Band aus Athens, Alabama, die das angestaubte Genre in die Gegenwart katapultiert, indem sie ihre unterschiedlichen Einflüsse von Muddy Waters über James Brown bis hin zu Led Zeppelin in einen Topf wirft, alles mit einer feinen Prise Garagenpunk würzt und die Mixtur bis zum Siedepunkt erhitzt.

Vor drei Jahren ist das Quartett mit seinem Debütalbum „Boys & Girls“ durch die Decke geschossen, wurden dreimal für den Grammy nominiert, ist seitdem viel durchs Land gezogen und hat auch ein Wunschkonzert für Präsident Barack Obama im Weißen Haus gegeben. Für die Live-Präsentation ihres kürzlich erschienenen zweiten Albums „Sound & Color“ (Beggars) hat sich die Band im randvollen Astra mit gleich zwei Orglern und einem dreiköpfigen Gospelchor verstärkt, die den spirituellen Brennstoff noch ein wenig mehr in den Himmel heben sollen.

Im Mittelpunkt steht aber die Sängerin und Gitarristin Brittany Howard, eine Naturgewalt im Sommerkleid, die zu ihren selbstverständlich getragenen Pfunden über ein entsprechend voluminöses Organ verfügt und alles niedersingt, was ihr vor die Hornbrille kommt. Eine Stimme wie eine Badewanne voller Whisky, ein verzweifeltes und stolzes Wimmern und Aufschreien, das wie eine zerfetzte Fahne im Wind flattert, bevor es unvermittelt in ein monumentales Knirschen übergeht. Ist die ehemalige Briefträgerin vielleicht die Reinkarnation von Janis Joplin? Oder doch Bon Scott gefangen im Körper von Tina Turner? Klingt jedenfalls so, als hätte sie sich ihre Vorbilder einverleibt und würde sie nun stückweise ausstoßen. Mitunter wirkt sie wie eine entflammte Gospel-Predigerin, der gerade die Bibel ins Taufbecken gefallen ist, während sie sich die Seele aus dem Leib brüllt und dabei mit ihrer Gitarre feine Rhythm-&-Blues-Riffs wie gekochte Kartoffeln zermalmt. Diese Frau weiß, wie man rockt! Die Intensität ihres Auftritts bleibt immer hoch, selbst wenn sie nur die Bühne entlangschreitet. Die drei Jungs im Hintergrund bauen derweil mit der gleichen Souveränität, mit der andere Leute ihr Bier nach Hause tragen, eine sprühende Kulisse für ihre Erlösungsszenarien.

Jedes Stück hat man irgendwann schon einmal gehört, und auch die Titel sind alt: „Rise To The Sun“, „Miss You“, „Heartbreaker“, „Give Me All Your Love“, „On Your Way“, „Be Mine“, „Always Alright“ und so weiter. Alles ewig klar, aber neu erfunden: Große einfache Hymnen, die so ein mächtiges Soulorgan fast schon von alleine singt und für das nötige Schluchzpotenzial sorgen, bevor dann wieder das Leben im geschrubbten Frohsinn zelebriert wird und die Gitarre feierlich krachend ihren Weg durchs Mississippi-Delta nimmt. Funken aus jedem Takt, ob es nun nach Gun Club, Otis Redding oder Mothers Finest klingt.

Dabei geben einem die Alabama Shakes den Glauben an die Rockmusik zurück. Und zwar nicht an eine irgendwie aufregend neuartige oder abstrakte Rockmusik, sondern an die einfachen Dinge. Eine Musik, die sich der Unerträglichkeit des Lebens in der amerikanischen Provinz annimmt und sie in Energie und Stärke kanalisiert, immer mit dieser mühsam gebündelten, gerade noch kontrolliert triumphierenden Euphorie, die Southern-Soul-Produkte immer ausgezeichnet hat und allen zeigt, wo der Blues mit den Schürfwunden wohnt.

Nach neunzig berauschenden Minuten endet das Konzert mit der Zugabe „Over My Head“, ein letztes Stück Gospel-Ekstase, Brittany Howards erklärtes Lieblingsstück vom neuen Album, das trotz der Zeile „It feels good, I’m never saying goodbye“ zum Abschied ruft. Da steht sie: die Brüllerfrau, die es bis ins Weiße Haus geschafft hat, erschöpft wie eine Briefträgerin, die gerade für ganz Alabama die Post ausgetragen hat, aber immer weiter rockt, um ihre Botschaft zu künden: „Shake it up!“ Und das Publikum antwortet: „Yes, we can!“

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