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Kultur: Albtraumland

Eine Berliner Ausstellung über Städte des Baubooms

Gekleidet ins edle Tuch eines Geschäftsanzugs, die Beine in Fötusstellung angezogen, liegt ein Frauenkörper unter der arabischen Mittagssonne auf dem Asphalt. Entlang der Straße ziehen sich endlose Lagerhallen bis zum Horizont. Der aseptische Albtraum einer Stadtplanung, die dem Geld folgt, nicht den Menschen. Die Fotokünstlerin Carey Young inszeniert im Rückgriff auf die amerikanische Body Art schöne und zugleich schreckliche Motive. Sie bedrängen mit der Erhabenheit schlafloser Investorenträume, die sich in den Wüstensand schreiben.

Die Ausstellung „Islands + Ghettos“ bei der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) und im Kunstraum Kreuzberg führt vor, was passiert, wenn sich Spekulationsgeschäfte und andere Mächte in Lebensräume einschreiben. Die Grenzen verlaufen heute nicht mehr zwischen Ländern, so Johan Holten, Direktor des Heidelberger Kunstvereins, sondern zwischen reichen und armen Regionen, nicht zuletzt: „zwischen Individuum und Investor“. Letzten Sommer lief die Ausstellung in Heidelberg. Dann brachen die Finanzmärkte ein. Nun erscheinen die Arbeiten am neuen Ort in anderem Licht.

Luis Molina-Pantins Fotografien der absurden Paläste mexikanischer Drogenbarone stehen da den Shopping Malls in Harun-Farocki-Dokuvideos gegenüber. Die palästinensische Künstlerin Emily Jacir hat Freunde gefragt, welche Songs sie hören wollten, wenn sie in ihrem Land eine Stunde lang ungehindert Auto fahren könnten wie auf einem texanischen Highway. „Wild World“ von Cat Stevens wurde da gewählt, Songs, die amerikanische Freiheitsversprechen tragen. Sandow Birks riesige Tuschezeichnung illustriert, welch brüchiges Gebäude diesen Versprechen zugrunde liegt. Im Rückgriff auf Dürers „Ehrenpforte für Maximilian I.“ baut der Künstler ein imperiales Portal um den Text der Bill of Rights. Das Recht auf Waffenbesitz trifft auf das Massaker von Columbine, die Gleichheit vor dem Gesetz auf die Folter in Abu Ghraib. Am Eingang entscheidet das Sicherheitspersonal, wer rein darf und wer nicht.

Dass er reinkommt, beweist Javier Téllez, der sich als menschliches Projektil aus einem Kanonenrohr über die US-Grenze schleudern lässt. Sein Video vom Zirkusfest einer mexikanischer Psychiatrie ist ein herrliches Spiel mit menschlichen Ausschlussmechanismen und eine heitere Abrundung dieser wichtigen Ausstellung. Kolja Reichert

NGBK und Kunstraum Kreuzberg, Oranienstr. 25 und Mariannenplatz 2, bis 26. April, täglich 12–19 Uhr.

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