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Christoph Israel (l.) mit Max Raabe, Cassandra Steen und Thomas Quasthoff.

© Bernd Jaworek/Deutsche Grammophon

Album "Ein Wintermärchen": Apfel, Nuss und Marshmallows

Deutsche Weihnachtslieder in neuem Klanggewand: Christoph Israels Album „Ein Wintermärchen“ bringt amerikanischen Swing in die Gemütlichkeit.

Christoph Israel hat sich passend zu seinem neuen Album angezogen: Unter der Gürtellinie trägt er Jeans und Sneakers, oben herum aber Jackett sowie ein weißes Hemd mit Manschettenknöpfen. Seriöses und Lässiges zu einem harmonischen Ganzen fügen – so lautete auch die künstlerische Herausforderung bei der „Wintermärchen“-CD: Für die bekanntesten deutschen Weihnachtslieder sollte der Pianist mit seinen Arrangement neue, unerhörte Klangkleider maßschneidern, inspiriert vom Sound amerikanischer Christmas-Songs.

Das kann nicht funktionieren, war seine erste Reaktion, als die Plattenfirma Universal ihm das Projekt anbot. Doch die Label-Managerin Kleopatra Sofroniou blieb hartnäckig, trug ihm die Idee ein Jahr später noch einmal an. Und weckte dann doch den Ehrgeiz des 50-jährigen Künstlers. Zumal ihm mit dem Filmorchester Babelsberg ein nicht nur üppig besetztes, sondern auch stilistisch äußerst wendiges Ensemble zur Verfügung stehen sollte.

„Die deutschen Weihnachtslieder sind zumeist ernst, getragen und von eher sakralem Charakter, stammen aus der Biedermeierzeit im frühen 19. Jahrhundert oder sogar aus dem Mittelalter“, sagt Christoph Israel. „Oft sind sie aufgebaut wie Kinderlieder: Acht Takte und das war’s dann. Amerikanische Lieder dagegen funktionieren wie Schlager mit Strophen und Refrain.“ Anders gesagt: Unsere Tradition, das ist die Apfel-Nuss- und-Mandelkern-Musik, gerne im vierstimmigen A-Cappella-Chorsatz oder sparsam begleitet von Orgel respektive Blockflötenensemble. Jenseits des Atlantiks dagegen klingt alles nach Marshmallows, nach knallbuntem Zuckerzeug und süßen Kaltgetränken, die von einem dickbauchig-rauschebärtigen Herren gereicht werden. In Deutschland dominiert die Schwarz-Weiß-Ästhetik, dort triumphiert Technicolor.

Christoph Israel mag beide Welten. In dem Vierteljahrhundert, das er nun schon als Künstler aktiv ist, hat er sich den verschiedensten Stilen gewidmet, hat in Berlin ganz klassisch Klavier an der Universität der Künste studiert, um anschließend mit seinem Grundschulfreund Max Raabe das Repertoire der zwanziger Jahre zu erforschen. Filme wurden von ihm mit Musik versorgt, Otto Sander und Udo Samel, Dominique Horwitz und Annette Humpe sind nur einige der Stars, mit denen er Projekte realisieren konnte.

Nachdem Christoph Israel einmal losgelegt hatte, wurde ihm die Arbeit an den Adventszeit-Arrangements zum großen Spaß. Weil er seine Ideen dank des großen Orchesters so richtig schön luxuriös ausbreiten konnte. „Zuerst habe ich für jedes Stück den Charakter definiert, den ich ihm geben wollte“, erzählt er. Dann begann die Klangtüftelei. Allerdings nicht mit Bleistift und Papier am Klavier, sondern am Computer: „Es gibt inzwischen erstaunlich gute Programme, mit denen man durch Orchester-Samples die Klangwirkung der Partitur simulieren kann, wenn auch mit beträchtlichem Programmieraufwand.“

Für die Präsentation bei der Plattenfirma wie auch als akustische Grundlage für die Solisten, die ihre Parts alleine im Studio einsingen, sind solche virtuellen Klangbilder äußerst hilfreich. „Großartig war es dann aber doch, bei den Aufnahmesitzungen mit dem Filmorchester zu erleben, wie die Nummern durch die Persönlichkeit der Musiker zu echtem Leben erwachten.“ Für zweieinhalb Tage waren die Profis gebucht, Christoph Israel saß mit dem Tonmeister im Kontrollraum, während Bernd Ruf dirigierte.

Dass Max Raabe mit „Stille Nacht“ und „Ihr Kinderlein kommet“ dabei sein sollte, stand von Anfang an fest. Ebenso, dass Thomas Quasthoff sein Gelübde brechen würde, nicht mehr als Sänger aufzutreten, um eine lässig im tiefen Bassregister angesiedelte Interpretation von „Süßer die Glocken nie klingen“ beizusteuern. Weitere Solisten wurden von der Plattenfirma vorgeschlagen oder von Israels Managerin. Katharina Thalbach ist die Idealbesetzung für „Morgen, Kinder, wird’s was geben“, weil sie die zappelig-freudige Stimmung vor Heiligabend spielend heraufbeschwören kann. Was die Pop-Interpreten Cassandra Steen und Gregor Meyle mit „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“ respektive „Leise rieselt der Schnee“ anstellen, ist dagegen Geschmackssache.

Die reinen Instrumentalversionen sind sowieso am interessantesten. Weil sich der Hörer hier ganz auf die Israel’schen Winterwunderwelten konzentrieren kann. Sein Vater, ein Organist aus dem Westfälischen, fand die „harmonisch ja ganz schön modern“. Aber sie bestechen zudem auch noch durch jede Menge fein ausgehorchte Details. Weil hier jede Nebenstimme ihr Eigenleben führt, entstehen raffinierte akustische Tiefeneffekte.

Je weiter der ästhetische Horizont des Hörers ist, desto größter sein Wiedererkennungs-Spaß. Weil Christoph Israel stets ein doppeltes Spiel treibt, typisch amerikanische und typisch deutsche Assoziationen mixt. Mal denkt man an Ballettmusik, mal an einen klassischen Walt-Disney-Soundtrack oder auch an aktuelle Lounge-Musik. In einem Moment klingt es wie „White Christmas“, im nächsten schon wieder wie Big-Band-Jazz.

Wie Christoph Israel bei „Ihr Kinderlein kommet“ die Schneeflocken tanzen lässt, mit repetitiven Streichern, Glockenspiel und Harfe, das ist schon extrem ausgeklügelt. Lustvoll schummelt er immer wieder auch Zitate aus anderen Liedern in die Arrangements oder setzt das Cembalo so ein, dass man nicht nur an Barockes denkt, sondern auch an die Beatles oder an „Miss Marple“. Kitsch con gusto eben. Dieses „Wintermärchen“ gehört nicht zu den Alben, die man beim Plätzchenbacken im Hintergrund hört. Dazu sind die kunstvoll gearbeiteten Arrangements einfach zu sättigend fürs Ohr.

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