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Album-Kritik: Rumba mit dem Teufel

Der letzte Beatnik: Tom Waits läuft in „Bad As Me“ zu alter Form auf. Als Gäste sind Keith Richards, Flea und David Hidalgo dabei.

Jemand hat mal gesagt, die Stimme von Tom Waits klinge, als sei sie in einem Fass Bourbon getränkt, in der Räucherkammer hängen gelassen und dann von einem Auto überrollt worden. Das ist natürlich stark untertrieben. 61 ist der Kalifornier inzwischen, und wie Whiskey wird der letzte Beatnik des Musikgeschäfts im Alter immer besser.

Sieben Jahre mussten die Fans auf neues Material warten, das er wieder zusammen mit seiner Frau Kathleen Brennan geschrieben und produziert hat. Und sicher wird auch diesmal kaum etwas davon im Radio zu hören sein. Waits hat mal behauptet, sogar der französische Pantomime Marcel Marceau bekäme mehr Airplay als er. Was nicht nur an seiner Stimme liegt, auch die Instrumentierung ist ja nicht gerade mainstreamtauglich. Alles könne ein Instrument sein, so Waits’ Credo, es komme nur darauf an, wie man es benutzt.

Wer im Laufe der Jahre vergessen hat, wie ein Waits-Song klingt, der bekommt es schon zu Beginn von „Bad As Me“ direkt um die Ohren gehauen. „All aboard!“, ruft er wie ein durchgeknallter Lokomotivführer, der im Rausch die Kohle in den Ofen schaufelt. Das Banjo pfeift, während Klarinette, Saxofon und Posaune den Rhythmus stampfen. Wer mitfahren möchte, muss auf den fahrenden Zug aufspringen. Kumpel Keith Richards spielt die Bluesgitarre, und Sohn Casey gibt den Takt vor. Außer dem Rolling Stone sind zwei Koryphäen am Bass dabei: Les Claypool von Primus und Flea von den Red Hot Chili Peppers. Doch in den Vordergrund drängen sie sich keineswegs.

David-Lynch-Atmosphäre herrscht in „Raised Right Men“: Augie Meyers Orgel klingt wie eine Kreissäge, die sich durch ein Stahlrohr frisst. Und Waits trommelt wie in Trance auf den Tablas. Neben prominenten Gästen sind auch alte Weggefährten dabei. Latinrocker David Hidalgo lässt seine Surf-Gitarre wimmern, und Charlie Musselwhite presst den letzten Bluestropfen aus seiner Mundharmonika. Mit ungewohnt hoher und klarer Stimme gibt Waits seinen Kommentar zur Finanzkrise: „Well we bailed out all the millionaires / They got the fruit / We got the rind“.

Als er kürzlich in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde, hat Waits seine Position im Musikgeschäft augenzwinkernd auf den Punkt gebracht. Viele würden behaupten, dass er keine Hits hätte und es schwierig sei, mit ihm zu arbeiten – so als sei das etwas Schlechtes. Dass ihm diese Rolle durchaus gefällt, merkt man auch den neuen Stücken an. Schon früh beeinflusst von mexikanischen Mariachis und ihren Rancheras, von Vaudeville, Blues, Jazz, Bob Dylan und Captain Beefheart, führt er auch hier wieder zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört.

„Please, please love me tender“, singt er im Rockabilly-Stück „Get Lost“ und klingt dabei, wie Elvis heuteklingen würde, wenn er genauso weitergemacht hätte. Auf und davon, mit Saxofon, Posaune und Ray Charles im Schlepptau. Dazwischen immer wieder ruhige Töne: Ohne Bläser, dafür mit Geige, erzählt Waits von einem Mann, dem alles zu viel wird. Der einfach weg will, immer den Highway entlang, dem Glockenschlag in der Ferne lauschend. In „Pay Me“ singt eine desillusionierte Bühnendiva und tanzt einen letzten Walzer mit ihren geplatzten Träumen. Dazu Vibrafon, Akkordeon und Violone. Wen das nicht rührt, der hat kein Herz.

Trotz der Vielzahl an Instrumenten und Musikern ist jeder Song auf „Bad As Me“ ausbalanciert, nichts klingt gewollt. Alles hat seinen Platz im kreativen Chaos des Genies mit schottisch-irischen und norwegischen Wurzeln. Wie Roy Orbison mit einer schweren Grippe kräht er vom Liebeskummer eines Mannes, der erkennt, dass es vorbei ist. Und Waits junior wischt mit dem Jazzbesen die Tränen von der Snare.

„Uno, dos, tres, quatro“, zählt er das Titelstück an, knurrt und brüllt sich hindurch, immer nah am Wahnsinn. Gegen das alles dominierende Saxofon trommelt jemand auf ein Ölfass, während der Teufel mit seiner Geliebten eine Rumba tanzt. Der Mann aus Pomona schlüpft in viele Rollen. Mal ist er ein betrunkener Barpianist, der von seiner Frau geküsst werden will, als sei es das erste Mal. Dann ein geistig Verwirrter, der sich in einem Blues-Club über die Stones lustig macht. Zur Versöhnung gibt’s eine wunderschöne Akustikballade im Duett mit Keith Richards, bevor das Album endet, wie das neue Jahr beginnt: mit einem Silvesterfeuerwerk, das in Wahrheit ein gewaltiger Protestsong ist.

„Bad As Me“ erscheint am Freitag, 21. Oktober, bei Anti

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