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Geduldig. Sampha, 28, ließ sich mit seinem ersten Album Zeit.

© Dominik Schmidt

Album "Process" von Sampha: An der Seite meiner Mutter

Trauer und Entschleunigung: Das empfindsame Debüt des britischen R’n’B-Musikers Sampha, bisher bekannt aus Kollaborationen mit SBTRKT, Drake und Frank Ocean.

Von Jörg Wunder

Im Popbusiness des 21. Jahrhunderts gilt das ungeschriebene Gesetz: Wer etwas werden will, muss sich ranhalten. Da das allmähliche Wachsen einer Karriere unter dem schützenden Dach der Plattenindustrie keine Option mehr ist, müssen Popstar-Aspiranten die Gunst der Stunde nutzen. Wer einen YouTube- oder Streaming-Hit landet und die Aufmerksamkeit der weltweiten Konsumentenschaft erlangt, sollte schleunigst nachlegen.

Obwohl das allgemein bekannt ist, kam es zuletzt oft vor, dass vielversprechende Künstler*innen nicht in der Lage waren, den Schwung des um sie entfachten Hypes zu nutzen. Mit Vorschusslorbeeren überhäufte Acts wie die Sängerin Banks oder die Rapperin Angel Haze ließen wertvolle Zeit verstreichen, ehe sie „richtige“ Alben herausbrachten. Und auch die vier Jahre zwischen Frank Oceans Debüt „Channel Orange“ und dem Nachfolger „Blond“ haben die Karriere des potenziellen Superstars merklich ausgebremst.

Das am Freitag erscheinende Debütalbum „Process“ (Young Turks/Beggars) des britischen Soulsängers Sampha hat eine ähnlich ausholende Vorgeschichte. Seine ersten Songs unterschritten 2010 die Wahrnehmungsschwelle der Hype- Kanäle. Im Jahr darauf machte der Name Sampha die Runde, als seine warme, modulationsreiche Stimme auf dem gefeierten Debüt des Londoner Electronic-Produzenten SBTRKT und bei der Sängerin Jessie Ware zu hören war.

Zuletzt wirkte Sampha an Solanges „A Seat At The Table“ mit

2013 leistete Sampha singend und Klavier spielend einen aufsehenerregenden Beitrag zum dritten Album des kanadischen Hip-Hop-Weltstars Drake. Karrieretechnisch wäre dies ein idealer Zeitpunkt gewesen, um selbst eine Landmarke zu setzen. Doch Sampha beließ es bei einer weiteren Talentprobe in Form einer EP mit nur vier richtigen Songs. Immerhin blieb Sampha im Gespräch und tauchte als Gast bei Kanye West und Frank Ocean auf – und zuletzt auf Solange Knowles’ Soul-Meilenstein „A Seat At The Table“.

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Zwar hat Sampha Sisay, wie der jüngste von fünf Söhnen eines Immigrantenehepaars aus Sierra Leone heißt, zugegeben, dass es cleverer gewesen wäre, das Momentum des Hypes früher auszunutzen. Doch hinter dem Zaudern steckt mehr: Sampha war neun, als sein Vater an Lungenkrebs starb. Nun war auch seine Mutter an Krebs erkrankt, was ihn bewog, wieder ins Londoner Elternhaus zu ziehen. Dieser Rückzug von der Bühne des Showgeschäfts, die er bei Tourneen mit Drake und SBTRKT kennengelernt hatte, ins Private prägt die Platte entscheidend.

2016 starb Binty Sisay, und das Gefühl des Verlusts und der Verletzlichkeit zieht sich durch die zehn Songs. Im Opener „Plastic 100°C“ singt Sampha zu harfenartigen Keyboardklängen und butterweichen Beats von seiner Verunsicherung, als er einen Knoten im Hals zu spüren glaubte, der nie diagnostiziert werden konnte. „Kora Sings“, das mit seinem wie auf Plastikeimern getrommelten Rhythmus eine Brücke zu zeitgenössischen Hip-Hop-Sounds baut, beschäftigt sich mit dem Leiden der Mutter („A mother needs her sons / Oh she needs them near / He don’t have to talk“).

Der Londoner wurde als Kind von seiner Familie gefördert

Die bittersüße Klavierballade „(No One Knows Me) Like The Piano“ rückt die Sehnsucht nach dem häuslichen Behütetsein und Samphas Lieblingsinstrument ins Zentrum. Interessant die Unterschiede zu Benjamin Clementine, dem anderen afrobritischen Klavier-Pop-Emporkömmling. Während der seine Liebe zur Musik in einer bestenfalls desinteressierten Familie durchsetzen musste, wurde Sampha seit früher Kindheit von den Eltern und seinen viel älteren Brüdern gefördert.

Mit beeindruckender Souveränität entfaltet Sampha, der die Songs größtenteils im Alleingang eingespielt und produziert hat, ein Panorama zeitgemäßer Soul-Verinnerlichung. Dass die Stücke meist verhaltenes Temperament entwickeln, liegt in der Natur der Sache. Und doch könnte man sich mehr Dynamik vorstellen – zumal wenn man von SBTRKT die perfekte Verschmelzung von Samphas beseeltem Gesang mit Dancefloor-Beats kennt. So sind komplexer arrangierte Songs wie „Reverse Faults“ mit Trap-Beats und zu Loops geflochtenen Streicherschnipseln oder das mit raffinierten Tempowechseln aufwartende „Incomplete Kisses“ wohltuende Ausreißer einer bei aller Schönheit etwas einlullenden Albumdramaturgie.

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Wie aufregend Entschleunigung klingen kann, beweist Rap-Altmeister Kanye West: Das von ihm mitkomponierte „Timmy’s Prayer“ kreist um ein Sample der Soullegende Timmy Thomas und überragt in seiner hypnotischen Eingängigkeit den Rest der Platte. West hatte ja seinerseits 2008 den Tod der Mutter auf dem Album „808s & Heartbreak“ verarbeitet, dessen Empfindsamkeit zum Vorbild für Sänger wie James Blake, Kwabs oder Frank Ocean wurde. In diesen Kreis gehört auch Sampha, dessen Aufstieg ein spätes Debütalbum nicht aufhalten wird.

Der 28-Jährige wirkt nicht wie jemand, der einer verpassten Chance nachtrauert. Es spricht viel dafür, dass er die Gestaltungshoheit über seine Laufbahn behalten will. Der Albumtitel deutet in diese Richtung: Es geht nicht um etwas, was dir schicksalhaft widerfährt. Sondern um einen „Process“, den du selbst bestimmst.

Sampha: "Process" erscheint am 3.2. bei Young Turks. Konzert: Astra Kulturhaus Berlin, 18.3., 20 Uhr

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