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Sinn für Übersinnliches. Das Gemälde „Tischerücken“ von 1981 wächst über den Bilderrahmen hinaus. Foto: AKG-images

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Nachruf: Alchemie und Anarchie

Kartoffeln als höhere Wesen: Zum Tod des großen Malers Sigmar Polke

Er hat sie geliebt, die Kartoffel, hat geschwärmt von ihrer Innovationsfähigkeit, Kreativität, Spontaneität, Produktivität, ihrem Schaffen ganz aus sich heraus. „Warum also wendet sich das Kunstpublikum nicht endlich der Kartoffel zu?“ fragte Sigmar Polke verschmitzt in einem Text über sein eigenes Werk, das den Titel „Wie kamen die Affen in mein Schaffen?“ trägt. Nein, das Publikum interessierte sich für die Kartoffel als Kunstproduzent nur, wenn Polke selbst sie zum Einsatz brachte: Wenn er aus ihren Knollen ein Haus baute gleich einem Faraday’schen Käfig oder sie wie Planeten umeinander kreisen ließ, motorgetrieben. Seine Bewunderung für die schöpferische Kraft des Erdapfels mochte das Publikum nicht teilen, da mussten schon höhere Wesen am Werke sein.

Polke selbst hat mit seiner Vielseitigkeit, seinem Hintersinn, seiner unerschöpflichen Lust am Experiment alle Erwartungen erfüllt. Zugleich hat er sich mit seinem Land, der alten Bundesrepublik und danach der wiedervereinigten Nation, hingebungsvoll auseinandergesetzt, sich an ihrem Mief, den Erscheinungsformen der Nachkriegsgesellschaft gerieben und mit seinen aufgespießten Motiven dem Deutschland nach ’89 den Spiegel vorgehalten. Künstlerisch einordnen ließ er sich nicht: weder inhaltlich, so geschickt spielte Polke den Ulk gegen die seriöse Bestandsaufnahme aus, noch formal, so aufgeschlossen blieb er bis zuletzt bei der Suche nach immer neuen, auch chemischen Formen der Malerei. In seinem Kölner Atelier experimentierte er wie im Labor – mit Silbernitrat, Jodid, Kunstharz, Schellack, Eisenglimmer, dazu mit Kopiergeräten und Computertechniken.

Stilverweigerer, Alchemiker sind denn auch Bezeichnungen, mit denen man begrifflich diesem Flüchtigen beizukommen versuchte, der sich ebenso konsequent der Öffentlichkeit entzog. Wenn er doch einmal bei einer Eröffnung einer Ausstellung auftrat wie bei der Retrospektive 1997 in der Bonner Bundeskunsthalle, die anschließend in den Hamburger Bahnhof nach Berlin wanderte, dann fotografierte dieser manische Bildersammler konsequent die ihn verfolgenden Kameraleute mit der eigenen digitalen Kamera.

Diese spontane Geste des gewitzten Widerstandes passte zu ihm, jenes anarchische Moment, das seine Kunst schon immer begleitete. Anfang der sechziger Jahre erfand er unter anderem mit Gerhard Richter, der wie Polke aus der ehemaligen DDR in den Westen übergesiedelt war und auf die damals angesagte abstrakte Malerei offensiv mit Gegenständlichkeit reagierte, den „Kapitalistischen Realismus“ – als Antwort auf den sozialistischen Realismus. Geboren im niederschlesischen Oels war die Familie von Polke 1945 mit dem damals Vierjährigen nach Thüringen geflohen und von dort acht Jahre später nach West-Berlin und schließlich nach Düsseldorf übergewechselt.

Mit Richter verband Polke bis zuletzt der Kampf um den ersten Platz auf internationalen Ranking-Listen. Beider Werke werden heute im sechs- und siebenstelligen Euro-Bereich gehandelt. Mit der Konkurrenz des frühen Freundes ließ sich Polke ködern, sei es mit Auftragswerken für den deutschen Bundestag, wo ihre Beiträge einander gegenüberstehen, sei es mit der Gestaltung von Kirchenfenstern.

Nachdem Richters Südfenster im Kölner Dom 2007 fertig wurde, vollendete Polke seinen Zyklus für das Zürcher Großmünster noch im Oktober vergangenen Jahres. Mit diesem Opus magnum schloss sich für ihn ein Kreis, denn vor seinem Studium an der Düsseldorfer Akademie bei den Informel-Malern Gerhard Hoehme, Karl Otto Götz und Joseph Beuys hatte er eine Glasmalerlehre angefangen.

So gewaltig und auch großformatig Polkes Produktion in den achtziger und neunziger Jahren wurde, die Liebe des Publikums gehört vor allem seinen Werken aus den Sechzigern. In ihnen lässt sich ablesen, wie viel Spaß die jungen Künstler dabei gehabt haben müssen, die Sehnsüchte der nach Wohlstand und sozialer Anerkennung gierenden Nachkriegsgesellschaft zu persiflieren. Immer wieder tauchen Palmwedel als Signet ferner Reiseziele auf, die Strahlegesichter der Magazine, ja sogar Motive aus der Kundenzeitschrift „Bäckerblume“. Wie weit Polke den Spott mit der bundesrepublikanischen Spießermentalität trieb, zeigt die Wahl seines Trägermaterials: Statt traditioneller Leinwand setzte er grob gemusterte Stoffe, Pyjamastreifen, ja sogar synthetische Flauschdecken ein, auf die er seine Funde aus der Welt der Werbung applizierte. Als er Mitte der sechziger Jahre seine Bilder in Rasterpunkte übertrug, galt er endgültig als das deutsche Pendant zur amerikanischen Popart.

Doch da war Polke längst auf einem anderen Trip. Nachdem er halb ernst, halb unernst mit großen Vorbildern telepathisch Kontakt aufzunehmen suchte und sein wohl am meisten zitiertes Bild „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ schuf, durchstreifte er in den Siebzigern Länder wie Mexiko, Australien oder Pakistan auf der Suche nach neuen Motiven und Mythen, immer die Kamera im Gepäck. Das psychedelische Moment, die Überlagerung verschiedener Bildschichten und Motive, blieb erhalten.

Zu seinem eigentlichen Medium fand Polke in den achtziger Jahren, als er die als Bildträger verwendeten Dekostoffe mit flüssigem Kunststoff zu durchtränken begann und transparent werden ließ. Seine Bilder wurden zur „Laterna magica“, in der alle möglichen Motive aufscheinen mochten: Jägerhochsitze, die KZ-Wachtürmen ähnelten, Motive aus der Märchenwelt oder der französischen Revolution, die ebenso bedrohlich wie frivol erscheinen. Auf eine Lesart ließ er sich nie festlegen.

Kulturstaatsminister Neumann würdigte den Maler als einen der bedeutendsten Vertreter der deutschen Gegenwartskunst. Das Lob von Bundestagspräsident Lammert für sein Werk im Reichstag, das dem Haus „mehr Leichtigkeit, einen Hauch von Heiterkeit verleiht“, entspricht ihm noch besser. In der Nacht zum Freitag ist Sigmar Polke an seinem Krebsleiden gestorben, er wurde 69 Jahre alt.

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