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"Rote Sonne", Buchmalerei von Jörg Breu dem Älteren (1531/32).

© bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jörg P. Anders

Alchemismus-Ausstellung am Berliner Kulturforum: Dein ist mein ganzes Erz

Abfallprodukte der Experimentierlust: Die ebenso kluge wie sinnliche Ausstellung „Alchemie“ am Berliner Kulturforum zeigt, wie in Laboren große Kunst entstand.

Ein alter Mann mit phrygischer Mütze beugt sich über seinen mit Büchern bedeckten Tisch, einer Lichterscheinung entgegen, in den kabbalistische Buchstaben aufstrahlen. „Doktor Faust“ wird diese Radierung von Rembrandt genannt. Bei Pieter Bruegel haben Narren, Kinder und die Gegenstände selbst die Macht übernommen. Das Labor versinkt im Chaos, ein Ausblick im Hintergrund zeigt den Inhaber mit seiner Familie bei der Aufnahme im Armenhaus. David Teniers hingegen präsentiert den Alchimisten als reichen Unternehmer in Samt und Pelz. In der einen Hand hält er ein Geldsäckchen, in der anderen die Phiole.

Forscher, Scharlatan, Gründer. Drei Varianten eines Menschentypus, die zum seltsamen Human-Bestiarium der Ausstellung „Alchemie. Die Große Kunst“ am Berliner Kulturforum gehören. Dort hängen die Bilder von Rembrandt und Bruegel in einer „Galerie der Alchemisten“ neben solchen von Spitzweg und Botticelli. Alchimisten waren seit der Antike gleichzeitig Gegenstand der Bewunderung wie der Verachtung. Sie forderten Gott heraus, indem sie in seine Schöpfung einzugreifen versuchten, und mussten immer wieder scheitern.

Scheitern als Chance

Aber im Scheitern, so lautet die These der von den Staatlichen Museen Berlin zusammen mit dem Getty Research Institute Los Angeles organisierten Ausstellung, entstand etwas Anderes: Kunst. „Alchemie und Kunst waren jahrhundertelang quasi verschwistert“, sagt Kurator Jörg Völlnagel. „Alchemie wurde zu einer Technologie, um etwas herzustellen, das wie etwas anderes aussieht.“ Eine Technik des Blendens und – vor allem im Barock – Betrügens. Der Begriff Alchemie entstand im 2. Jahrhundert in der multikulturellen, multireligiösen Metropole Alexandria als Ableitung des griechischen Wortes Chymeia, das „Metallgießen“ bedeutet. Die handwerkliche Praxis reicht 5000 Jahre zurück.

Begrüßt wird der Besucher von einer Hermes-Skulptur aus dem 2. Jahrhundert. Als Gott des Verkehrs, der Reisenden und der Diebe ist er der ideale Schutzpatron der Alchemisten. Hinter dem Marmorkörper des griechischen Jünglings steht sein römisches Pendant Merkur als sich in die Lüfte schraubender Renaissance-Bronzeguss nach Giovanni Bologna. An der Rückwand hängen sieben prunktellergroße Planetensiegel von Rudolf Steiner, deren geschwungene Formen auf den Jugendstil verweisen. Dass Erze göttlichen Ursprungs sind, ist eine alte Vorstellung. Die sieben Planetenmetalle Gold, Silber, Blei, Kupfer, Eisen, Zinn und Quecksilber wurden jeweils einem Gott zugeordnet. Ein Mythos, der von der Antike bis zur Aufklärung lebendig bleiben sollte.

Doch schon ein Goldtäfelchen aus babylonischer Zeit, 1243-1207 v. Chr., ein Prunkstück der Ausstellung, ist dem Sonnengott gewidmet und belegt die frühe Verbindung von Gestirn, Gold und Gebieter. Metallische Mythen. Für Abfallprodukte der Experimentierlust gibt es einen Euphemismus: „Alchemistische Eigenkreationen“. Über Generationen suchten Alchemisten nach dem Stein des Weisen. Die Formel würde ihnen die Macht geben, Metall in Edelmetall zu verwandeln, in Gold und Silber. Um den König-Midas-Traum wahr werden zu lassen, mussten Schwefel, Quecksilber und andere Substanzen in ein perfektes Gleichgewicht, das Equilibrium, gebracht werden. Das war verteufelt kompliziert.

Scherben von der Pfaueninsel

Aber die Nebenprodukte waren erstaunlich genug. Zinnoberlack. Goldrubinglas. Porzellan. Sie alle sind in der Ausstellung über die „große Kunst“ zu sehen. Eine ochsenblutrot strahlende Zinnoberlack-Deckeldose mit dem Schriftzeichen „Chun“ für Frühling stammt aus dem China der Qianlong-Periode im 18. Jahrhundert. Etwas früher erschuf der Glasmacher Johann Kunckel für den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm ein anderes, etwas helleres Rot in Form des Rubinglas. Neben seiner „Vollständigen Glasmacherkunst“ von 1756 liegen Rubinglasscherben, die bei Ausgrabungen auf der Pfaueninsel entdeckt wurden, wo Kunckel seine Werkstatt hatte.

Einem Drama, halb Komödie, halb Tragödie, gleicht die Biografie des Apothekers Johann Friedrich Böttger, der in Berlin seinem Mentor Kunckel begegnete. Zeitweilig auf der Festung Königstein interniert und nach einem Fluchtversuch eingefangen und nach Sachsen zurückgebracht, wurde er 1713 vom König zu einem Schauexperiment gedrängt, bei dem er einen Gold- und einen Silberklumpen herstellte. Besser gesagt, tat der Goldmacher wohl eher nur so und zog die Brocken heimlich aus dem Ärmel.

Berühmt geworden ist Böttger als Alchemist, der die Kunst der in China jahrhundertelang bekannten Porzellanherstellung für Europa entdeckte. Das Porzellan der Meissener Manufaktur, deren Gründungsadministrator er war, wird heute noch in alle Welt verkauft. Weißes Gold. Dem Herrscher, der ihn zwölf Jahre lang einsperren ließ, hat Böttger ein Denkmal in Form einer klitzekleinen Statuette aus Böttgersteinzeug gesetzt, einer Vorform des Böttgerporzellan. Da sieht der absolutistische August nicht stark aus, sondern dick.

„Der Fürstenhof und die neuzeitliche Kunst- und Wunderkammer sind Orte, an denen alchemistische Eigenkreationen florierten“, schreibt die Kunsthistorikerin Veronika Tocha im Katalog. In der pompösen Welt des Barock waren alle Fürsten verschuldet. Deshalb hatte alle Fürsten Alchemisten, die ihnen das Gold für neue Schlösser, neue Regimenter liefern sollten. Tocha spricht von einer „neuerlichen Hochblüte“ in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Die „innere Alchemie“, überhaupt die ganze Esoterik befanden sich auf dem Rückzug. Auch am Homunculus, der Herstellung eines „Menschleins“ in der Phiole, wurde nur noch mit mäßiger Intensität gearbeitet. Seit Goethes Forscherdrama „Faust“ und Mary Shelleys Horrorroman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ waren derlei Selbstermächtigungsfantasien ein Fall für die Literaten.

Der Mensch als Maschine

Der Übergang von Alchemie zu Chemie, von Hokuspokus zu Wissenschaft ist fließend. Schon Paracelsus, Arzt und Alchemist, hatte sich im 16. Jahrhundert den Menschen als Maschine vorgestellt. Der „anatomische Ofen“, den er entwarf, folgte der menschlichen Anatomie. Und der Chemiker Justus Liebig feierte 1844 die Goldmacher Böttger und Kunckel als im „Kern echte Naturforscher“. Neue technische Verfahren ermöglichten es ab dem 19. Jahrhundert Künstlern, sich in die Welt der kleinen und kleinsten Dinge zu vertiefen. Friedlieb Ferdinand Runge brachte chemische Stoffe so zusammen, dass märchenhafte psychedelische Farbexplosionen entstanden. Und der Avantgardefotograf Heinz Hajek-Halke ließ in seinen Lucidogrammen die Bilder sich selber malen, direkt auf dem Fotopapier.

Wo steckt es bloß, das Gold? Die Antwort dieser so klugen wie sinnlichen Ausstellung lautet: in der Kunst. In das Kapitell „Materialkult“ hat sich eine pinkfarbene Luftballon-Venus von Jeff Koons geschlichen. Sieht aus wie hochglanzpoliertes Metall, ist aber aus Polyurethanharz. Augentäuschung. Alicja Kwade stellt denselben Ast gleich drei Mal aus, in echt, als 3-D-Print und vergoldet. Naturveredelung. Und Sarah Schoenfeld präsentiert einen erhaben wirkenden Farbverlauf von Weiß zu Rot zu Blau zu Schwarz in einer schweren Glasvitrine. Gefüllt ist sie mit einem besonderen Saft, gesammelt unter anderem im Berghain: Urin.

Kulturforum, Sonderausstellungshallen, bis 23. Juli. Di–Fr 10–18, Do 10–20, Sa/So 11-18 Uhr. Katalog 29,95 €.

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