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Khuon

© Mike Wolff

Alexander Khuon: Die Spielentscheidung

"Man merkt, dass es losgeht“, sagt sein Agent. Alexander Khuon bekommt gerade viel Applaus. Auf der Bühne, und nun auch im Kino. Dennoch kommen ihm Zweifel: Der Film bringt mehr Geld, dem Theater gehört seine Liebe. Ein Schauspieler in der Zeit seiner ersten Erfolge.

Als sich die Aufzugtür mit einem mechanischen Rumpeln hinter ihm schließt und er aus dem lauten Gewirr und Gedränge eines Dachgeschosses hoch über der Stadt hinunterfährt, zurück in die Nüchternheit dieses Februarnachmittags, stellt er fest, dass es harmloser war als erwartet.

Seine Künstleragentur hatte eingeladen. Junge Frauen in türkisfarbenen Stewardessenuniformen und mit sehr roten Lippen haben darauf geachtet, dass die Gäste gut versorgt sind. All die Schauspieler, Agenten, Regisseure, Caster und Produzenten, die Kontakte knüpfen, Verträge anbahnen oder sich nach frischen Gesichtern umsehen.

Die Filmbranche ist nach Berlin gereist, zur Berlinale. Und Alexander Khuon weiß, dass zu Anlässen wie diesen Karrieren wie seine mit beifälligem Kopfnicken oder nachsichtigem Lächeln taxiert und manchmal befördert werden. Dass das dazugehört. Zu Filmfesten und zu seinem Beruf.

Es wäre gut, wenn du dich mal zeigen würdest, hatte der Chef seiner Agentur gesagt.

Khuon gehört zum Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin, einem der großen Theater zwischen Hamburg, Wien und Zürich; er ist einer der besten jungen Schauspieler, die auf deutschsprachigen Bühnen zu sehen sind. Da sind sich Kollegen, Regisseure und Kritiker einig. Nun setzt er an zum großen Sprung ins Filmgeschäft. Er ist 29, im richtigen Alter, frei von Allüren, und er hat ein Gesicht, das sich gut vermarkten lässt. Sympathisch, nicht alltäglich. Vielleicht gelingt ihm, was in Deutschland nur sehr wenigen glückt, eine Karriere am Theater und daneben eine beim Film, ohne dass er sich entscheiden muss für Kunst oder Kommerz, Anspruch oder Geld.

Er spielt gerade in Tschechows „Die Möwe“ eine Hauptrolle, die Vorstellungen sind ausverkauft, die Inszenierung ist zum „Theatertreffen“ eingeladen, der Leistungsschau der besten Bühnenstücke eines Jahres. Ein Film mit ihm hat es ins Programm der Berlinale geschafft, „Deutschland 09“. Und erst am Morgen hat er wieder für ein Theaterstück geprobt, dessen Premiere bald ansteht: Christian Petzold, der Regisseur, ist dafür bekannt, dass er mit geringem Budget anspruchsvolle Filme dreht. „Toter Mann“, „Wolfsburg“, „Yella“, „Jerichow“. „Der einsame Weg“ ist das erste Theaterstück, das er inszeniert. Es kann nicht schaden, Petzold mit Leistung zu überzeugen. Dass Khuon vor einem Jahr an sich zweifelte, erscheint ihm inzwischen seltsam fern.

Anfang März 2008, Deutsches Theater. „Pornografie“ ist ein zeitgenössisches Drama, es krankt sehr daran, dass es sich für seine Figuren nicht interessiert. Der Regisseur ist jung und unerfahren. Und im Ensemble herrscht eine nervöse Stimmung. Wie üblich, wenn ein neuer Intendant kommt und nicht klar ist, welche Schauspieler bleiben und welche gehen müssen.

Am Abend der Premiere interessiert Khuon das alles nicht. Der Saal ist ausverkauft, die Leute haben bis zu 30 Euro Eintritt gezahlt und ein Recht darauf, dass er sein Bestes gibt.

Zwei hohe Stellwände verengen die Bühne zu einem schwarzen Korridor. Keine Möbel, kaum Requisiten. Sie alle stehen fast das ganze Stück über gleichzeitig auf der Bühne. Acht Figuren, die auf eine private Katastrophe zutreiben. Der Autor hat die einzelnen Episoden kompliziert ineinander verschachtelt.

Khuons Partnerin ist nervös, aber es läuft. Sie spielen den allmählich sich anbahnenden Inzest zwischen Bruder und Schwester und die langsame Implosion ihrer Beziehung hinterher: sie ihre reuelose, zärtliche Liebe und er seine Überforderung, den Riss in seiner Seele.

Es ist kurz nach zehn, als nach einem kurzen Moment der Stille der Applaus anhebt. Die begeisterten Jubelrufe des Publikums gelten denen, die in komischen Szenen gespielt haben.

Ein Stockwerk darunter, in der Kantine, sitzen zwei Schauspieler des Ensembles bei einem Glas Wein. Sie gehören zu den Stars, nicht nur an diesem Theater. „Der Alex“, sagt einer der beiden, „müht sich da oben ab, er ist gut, aber bei so einem Stück hast du kaum eine Chance.“

Eine halbe Stunde später kommt Khuon an ihrem Tisch vorbei, geduscht und umgezogen, ein enges braunes Hemd lässig über der Jeans, im Gesicht einen Ausdruck von Missmut. „Komm, Alex“, sagt einer der beiden, „du warst super.“

Khuon holt sich ein Bier und setzt sich etwas abseits an einen kleinen Tisch. Das Adrenalin jagt noch durch seinen Körper, doch er fühlt sich matt und verletzlich, „wie immer nach einer Premiere“.

„Ich habe bisher keinen Schutz dagegen gefunden, wenn mich jemand am Abend einer Premiere kritisiert, ob berechtigt …“

Eine helle Frauenstimme unterbricht ihn. „Tschüüüüß, Alex.“ Eine Kollegin, sie zieht ihren Mantel an, „das habt ihr hübsch gemacht“. Sie macht das Gesicht einer nachsichtigen Tante. „Und was danebengegangen ist, geht auf das Konto des Regisseurs und des Textes.“ Ihr gönnerhafter Ton bringt Khuon auf.

Unter Schauspielern ist es manchmal wie in der Politik. Es lohnt sich, genau hinzuhören, wenn jemand etwas sagt, das wie ein Lob klingt. Freundschaften mit Kollegen? „Sind eher selten“, sagt Alexander Khuon. Konkurrenz, Neid, Bedürfnis nach Distanz.

Er hatte sich schnell etabliert, erstaunlich schnell. Erst in Köln, das Haus hatte keinen guten Ruf damals, aber immerhin, er durfte den Hamlet spielen, und dann am Deutschen Theater. Eine Weile schien alles wie von selbst zu laufen. Plötzlich aber bekamen andere die großen Rollen, und er begann zu grübeln.

Khuon steht im Bauch des Berliner Hauptbahnhofs, das fahle Licht betont die Schatten, die in seinen Augenhöhlen nisten. Es ist ein Sonntagmorgen Mitte Juni, kurz nach sechs. Er wartet auf den Zug nach München. Auf seinen ersten Kinofilm. Seine Partnerin ist Barbara Sukowa, berühmt geworden als Mieze in Rainer Werner Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“. Sie sind zum Filmfest in München eingeladen.

Die Geschichte spielt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Lena, eine Mittvierzigerin, lernt einen jungen Marinesoldaten kennen. Er hat Fronturlaub. Sie nimmt ihn mit zu sich. „Du kannst bleiben“, sagt sie, als er im Bett neben ihr liegt. Als die Deutschen kapitulieren, verheimlicht sie es ihm, um das Glück ihrer Leidenschaft noch etwas festzuhalten.

„Dieser Film hat alles, was man braucht, um Erfolg zu haben“, hatte beim Gespräch in einem Berliner Café ein Kollege gesagt, dessen Gesicht man aus dem Theater und aus großen Kinofilmen kennt. „Ein bisschen Sex, ein bisschen Nazis, eine große Rolle an der Seite einer so überragenden, erfahrenen Schauspielerin wie Barbara Sukowa. Das kann eine Initialzündung für eine Karriere sein.“

Khuon wird, wenn er am frühen Nachmittag in München ankommt, viele Termine haben, Interviews, Treffen mit der Crew, mit Uwe Timm, der die Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ geschrieben hat: die Filmvorlage. Gegen acht am Abend werden sie gemeinsam ins Kino fahren. Und zwei Stunden später wird er eine erste Ahnung davon bekommen, ob das Publikum seine Begeisterung für diesen Film teilt.

Er hatte sich viel Zeit gelassen für die Entscheidung, am Deutschen Theater zu bleiben. All die Fragen, die bald kommen würden. „Na Ali, wie biste denn an die Rolle gekommen?“ Denn der neue Intendant, das war mittlerweile klar, wird sein Vater sein. Ulrich Khuon, langjähriger Chef des Hamburger Thalia-Theaters.

Alexander Khuon ist an einem heiklen Punkt angelangt – auch was das Filmen angeht. Es läuft gut, er dreht wieder; einen Krimi mit Henry Hübchen, Daniel Brühl und Hannah Herzsprung; und einen Film nach der Autobiografie von Marcel Reich-Ranicki. Er sollte im Gespräch bleiben, aber nicht jedes Angebot annehmen. Maßlosigkeit, Beliebigkeit – das kann es schon gewesen sein. Ein Schauspieler, der in zu vielen verzichtbaren Filmen mitgewirkt hat, gibt einem anspruchsvollen Theaterregisseur kaum Argumente, ihm die großen Rollen anzuvertrauen.

„Es ist Teil des Jobs, auch mal zu scheitern. Ein wichtiger sogar, erst recht in jungen Jahren. Aber es ist auch sehr leicht, in diesem Beruf sich selbst zu verlieren, wenn man vergisst, was einem wichtig ist“, hatte der erfahrene Kollege gesagt.

An deutschen Bühnen sind 5000 Schauspieler beschäftigt, etwa die Hälfte davon fest. Jedes Jahr sprechen 1000 junge Anwärter, den Kopf voller Träume, an einer der 20 etablierten Schauspielschulen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz vor. Jedes Jahr gehen 200 diplomierte Schauspieler ab. Nur wenige Gretchen und Hamlets sind darunter. Doch auch sie kommen leicht auf 60 Arbeitsstunden wöchentlich, an Abenden, Wochenenden und Feiertagen.

Es zählt zu den gut gehüteten Geheimnissen der Theater, welche Gagen sie zahlen. 2500 Euro im Monat, sagen Kenner, sei, was jemand in Khuons Alter etwa erwarten könne. Wer frei arbeitet, muss vielleicht mit 900 Euro auskommen.

Theater ist öffentlicher Dienst, die Filmindustrie Marktwirtschaft. Sie kann Schauspieler reich machen, aber nicht ohne Weiteres. Eine Handvoll große Produktionsfirmen kontrolliert den Markt, welche Namen und Gesichter gefragt sind, unterliegt rasch wechselnden Moden. Am Theater ist der Wert eines Schauspielers keine Frage der Tagesform.

Khuons Agent bekommt jetzt eine Reihe neuer Drehbücher. Er hat ihm gerade wieder eines mitgegeben.

Khuon legt es beiseite, zwei Stunden noch bis München. „Ich bin wahnsinnig nervös“, sagt er. Den Film hat er bisher nur im Rohschnitt gesehen.

Am Theater probt er gerade Tschechows „Möwe“ mit Corinna Harfouch. Jürgen Gosch führt Regie. Unter seiner Regie hatte Khuon seinen ersten großen Erfolg. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, an der Seite von Harfouch und Ulrich Matthes, ist seit Jahren eines der Zugstücke des Theaters.

Kurz vor halb neun hält eine schwarze Limousine vor dem „Max 4“ am Münchner Isartorplatz. Ein Pulk aus Fotografen und Fernsehkameramännern stürzt auf die hintere rechte Wagentür zu, wo Barbara Sukowa aussteigen wird.

Zwei Stunden später, der Abspann ist gelaufen, die Regisseurin auf die Bühne gerufen, danach der Produzent, die Caster, Cutter, Herstellungsleiter und all die anderen, irgendwann hört Khuon die Ankündigung der „beiden Hauptdarsteller: Barbara Sukowa ... und … Alexander Khuon“. Aus bravem wird dröhnender Applaus.

Es ist ein Donnerstag Ende September, auf dem Spielplan des Deutschen Theaters steht Shakespeares „Was ihr wollt“. Hinterher trifft sich Khuon mit seinem Agenten in der Theaterbar, einem hageren, sorgfältig gebräunten Mann mit bayerischem Akzent. Tagsüber war er in Brandenburg, bei Dreharbeiten mit „Good bye, Lenin!“-Regisseur Wolfgang Becker für den Film, der auf der Berlinale laufen wird. Vier neue Theaterproduktionen, drei Filme, daneben noch die Aufnahmen für Hörbücher und den Radio-„Tatort“.

„Man merkt, dass es losgeht“, sagt sein Agent. „Ich merke, dass ich an einer Grenze bin, das alles noch zu managen“, sagt Khuon. Er sehnt sich nach Ruhe, Urlaub. Aber daran ist nicht zu denken. Die Proben mit Gosch stehen kurz vor dem Abschluss, die mit Petzold stehen an.

„Film“, sagt der Agent später am Abend, „ist nochmal was ganz anderes!“ Sein Tonfall lässt keinen Zweifel daran, dass er meint: was Besseres, Business. Er hebt zu einer längeren Rede an, sie gerät ihm zu einem Plädoyer. Als er fertig ist, will Khuon etwas einwenden. „Na, Moment mal …“

Er wird immer Theater spielen. Das Kino ist eine Verlockung, die Lust, sich auszuprobieren, Geld zu verdienen. Aber das Theater, das ist Liebe. Er lässt den angebrochenen Satz in der Luft hängen.

Marc Neller

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