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Flüssigkristalle auf Farbpapier.

© Manfred Kage

Alge, Milbe, Mondgestein: Mikrofotografen kommen groß raus

Schönheit im Kleinen: Flüssigkristalle auf Silbergelatinepapier, Schneeflocken, Zwillingseizellen und die Nahaufnahme einer Kopfhaut – die fragile Welt des Kleinen fasziniert. Eine Doppelausstellung in Berlin.

Von Albrecht Dürer stammt der Satz: „Wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie.“ Seine Einsicht setzten die Mikrofotografen des 19. Jahrhunderts in die Tat um. Diese Pioniere und ihre Nachfolger werden im Rahmen des Monats der Fotografie in gleich zwei Berliner Einrichtungen geehrt. „Mikrofotografie – Schönheit jenseits des Sichtbaren“ heißt die Gemeinschaftsausstellung der Alfred-Ehrhardt-Stiftung und der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek.

Als der Physiker François Arago 1839 das fotografische Verfahren der Daguerreotypie der Pariser Öffentlichkeit vorstellte, betonte er zugleich die Bedeutung dieses neuen Mediums für die Naturwissenschaften. Ludger Derenthal, Leiter des Museums für Fotografie, präsentiert nun in seinem Haus eine der ersten Mikrofotografien. Sie entstand nur ein Jahr nach der Erfindung der Fotografie und zeigt einen Querschnitt durch den Stängel einer Waldrebe. Die frühen Fotoapparate mit Mikroskopen zu kombinieren – dieser Schritt lag offensichtlich auf der Hand. Auch die Schönheit des Mikrokosmos von Süßwasseralgen und Schimmelkulturen, fotografiert von Robert Koch, sind zu bewundern. Der Medizin-Nobelpreisträger traf außerdem eine Entscheidung, die den Bilderkanon des Mikrokosmos etablierte: Als erster beschnitt er das runde Sichtfeld des Mikroskops zum Rechteck und fügte es so in die kunsthistorische Tradition ein.

Wo endet die Wissenschaft und wo beginnt die Kunst? Wie schwer diese Frage zu beantworten ist, zeigen exemplarisch die Lithografien des Zoologen Ernst Haeckel. Die hundert Drucke, die der Potsdamer Darwinist 1904 in seinem epochalen Buch „Kunstformen der Natur“ veröffentlichte, waren richtungsweisend – nicht nur für Biologen, sondern auch für die Kunst. Seine Darstellungen von Strahlentierchen, Quallen und anderen Kleinstlebewesen beeinflussten die Künstler der Moderne. Vertreter des Jugendstils und die Fotografen der Neuen Sachlichkeit begriffen die organische Natur als bildende Künstlerin und ließen die Formenwelt der Biologie in ihre abstrakten Werke einfließen. Der Kölner Fotograf Hermann Claasen etwa vergrößerte in den Fünfzigern Glassplitter 250-fach und gab den Resultaten Titel wie „Rollende Kugel“, „Schiffe“, oder „Tropfsteinhöhle“.

Flüssigkristalle auf Silbergelatinepapier, Schneeflocken, Zwillingseizellen und die Nahaufnahme einer Kopfhaut – die fragile Welt des Kleinen fasziniert. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaftlern stand für die Künstler nicht der Inhalt, sondern die Schönheit im Vordergrund. Der Berliner Fotograf Konrad Hoffmeister unterschlägt deshalb gleich die Beschreibung seiner Werke und überlässt alles der Fantasie des Betrachters.

Einen Schub erhielt die Mikrofotografie durch die Rasterelektronenmikroskope. Mit ihnen trat eine technisch hochentwickelte Fotografie auf den Plan, mit der sich der Mensch den Nanobereich erschloss. Wie beim Fernsehen tastet ein Strahl zeilenweise das Untersuchungsobjekt ab. Führend auf diesem Gebiet ist Manfred Kage, der unter anderem das erste System zur Kolorierung von Rasterelektronenfotografien erfand. Vor über fünfzig Jahren gründete er das „Institut für wissenschaftliche Fotografie und Kinematografie“, das heute in einem Schloss am Rand der Schwäbischen Alb untergebracht ist. Knapp 80 kleinformatige Bilder sowie drei Videos des gelernten Chemikers zeigt die Alfred-Ehrhardt-Stiftung.

Milben im Hausstaub, Mondgestein, Gespensterkrebse – seine Bilder eröffnen eine Welt, die vor Leben strotzt und doch für das menschliche Auge unsichtbar ist. Besonders skurril ist seine Zusammenarbeit mit Salvador Dalí. Für dessen Film „Impressions de la haute Mongolie“ von 1975 fotografierte Kage die leicht verätzte Oberfläche einer Kugelschreiberhülse mikroskopisch. Im Film verwandelt sich das Schreibgerät in eine unwirkliche Landschaft mit Sandwüsten, Meeresküsten und Stadtruinen.

Im Museum für Fotografie zeigt Claudia Fährenkemper in ihrer Serie „Metamorphosis“ (2000 – 2002) Aufnahmen einer Froschlarve. Die bis zu 3000-fach vergrößerten Fotografien der Beine, Zähne und Augen der Kaulquappe lassen sie wie ein Wesen aus einem Science-Fiction- Film erscheinen. Bevor Fährenkemper sich der Welt des Winzigkleinen zuwandte, fotografierte sie übrigens ziemlich große Objekte: Bekannt wurde sie durch Bilder der riesigen Schaufelradbagger aus dem Braunkohletagebau.

Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, bis 9. 1.; Di - So 10 - 18 Uhr, Do bis 22 Uhr. Katalog (HatjeCantz) 35 €. Alfred Ehrhardt Stiftung, Augusstr. 75, bis 9. 1.; Di - So 11 - 18 Uhr, Do bis 21 Uhr.

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